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Archiv-Artikel

Die Karlsruher Richter haben das Wort

Vom Überleben in der Krise

VON RUDOLF HICKEL

Der Termin ist schicksalhaft: Für den 11. und 12. Juni hat das Bundesverfassungsgericht die Hauptverhandlung in Sachen Zustimmung Deutschlands zum Rettungsfonds angesetzt. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) sitzt wegen ihrer milliardenschweren Aufkäufe bestimmter Staatsanleihen aus den Euro-Krisenländern auf der Anklagebank. Und die deutschen Kläger gegen die EZB-Politik erhalten prominente Unterstützung: Die Deutsche Bundesbank tritt als Kronzeugin auf.

Deren Präsident Jens Weidmann wirft der EZB vor, sie habe ihr eigentliches Ziel, nämlich die Vermeidung von Inflation, opportunistisch den „fiskalischen Interessen“ der Staaten untergeordnet. Damit habe sie die Geldpolitik instrumentalisiert, um die europäische Integration zu stärken – und ihre eigene Unabhängigkeit aufs Spiel gesetzt. Sollte das Bundesverfassungsgericht diese Fundamentalkritik anerkennen, dann bleibt der Euro eine Dauerbaustelle mit der Gefahr des Abbruchs.

Umso ärgerlicher ist, wie Weidmann argumentiert: Rechthaberisch beschwört er die zur geldpolitischen Glückseligkeit vernebelte Bundesbank aus alten Zeiten. Dass sie auf funktionierenden Geldmärkten basierte, ist ihm egal. Weidmann überträgt das Modell der in der nationalstaatlichen Souveränität verankerten Bundesbank eins zu eins auf die Euro-Bank.

Anders als die Fed in den USA oder die Bank of Japan, die mit dem früheren Bundesbank-System vergleichbar wären, steht die EZB unter dem permanenten Druck, dass das Währungssystem zusammenkrachen könnte. Aber das haben die Chefideologen der Bundesbank noch nicht begriffen. Die EZB-Politik muss sich neben der normalen Geldmengenversorgung zur inflationsfreien Förderung des wirtschaftlichen Wachstums gegen ein auch durch Spekulanten getriebenes Auseinanderbrechen des Euro stemmen.

Diesem Ziel dienen vor allem die Aufkäufe von Staatsanleihen aus den Krisenländern, die die Bundesbank für Teufelszeug hält. Und da diese Anleihen auf Sekundärmärkten gehandelt werden, ist die Behauptung falsch, dass die EZB mit den Käufen die Staaten direkt finanziere.

Abgesehen davon sind die währungspolitischen Erfolge unübersehbar: Bisher ist es mit den milliardenschweren Geschäften gelungen, die exzessiven Renditeaufschläge zu dämpfen. Und auch von der viel beschworenen Inflation ist nichts zu sehen. Den Spekulanten sind Geschäfte auf den Euro-Absturz vermiest worden. Damit schafft sich die Euro-Notenbank den Spielraum, den sie für eine angemessene Geldpolitik braucht. Die bitter ernst gemeinte Aussage von EZB-Chef Mario Draghi, den Euro mit jedem geldpolitischen Instrument vor dem Absturz zu bewahren, trägt zur Stabilisierung bei.

Rudolf Hickel

■ ist emeritierter Professor für politische Ökonomie und Finanzwissenschaften an der Universität Bremen. Unter anderem gehört er zu den Gründern der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftswissenschaft, die mit ihrem jährlichen „Memorandum“ seit 1977 ein Gegengewicht zum Gutachten des Sachverständigenrats schafft. Zuletzt veröffentlichte er das Buch: „Zerschlagt die Banken – Zivilisiert die Finanzmärkte!“

■ An dieser Stelle wechseln sich wöchentlich unter anderem ab: Sabine Reiner, Gesine Schwan, Niko Paech und Ulrike Herrmann.

Allerdings kann die Notenbank ihr monetäres Bekenntnis zur Gemeinschaftswährung alleine auf Dauer nicht durchhalten. Dazu ist auch eine klare Politik zur gleichgerichteten gemeinschaftlichen Rettungs- und dauerhaften Fiskal- sowie Wirtschaftspolitik nötig. Derzeit geschieht aber das Gegenteil. Finanzhilfen aus den Rettungsfonds müssen mit dem Zwang zu einer Austeritätspolitik durch öffentliche Einsparungen, Privatisierungen und steuerlicher Belastung der Masseneinkommen erkauft werden. Gegen diese die Wirtschaftskrise verschärfende Fiskalpolitik kommt die bestgemeinte Geldpolitik nicht an.

Das Bundesverfassungsgericht muss beim Urteilsspruch die Konsequenzen für die Währungsunion zu Ende denken. Letztlich gibt es nur die Alternative, dass es entweder für eine Euro-Geldpolitik ohne weitere Abgabe nationalstaatlicher Souveränität optiert – dann wäre das Ende der Euro-Währung gewiss – oder den Weg zu einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion weist.