: Ein Stups und fast alles wird gut
ATLASTHERAPIE Eine Behandlung am obersten Halswirbel soll von Rückenschmerzen, Zähneknirschen und Kopfschmerzen befreien. Was ist dran an der Atlastherapie?
BERND KLADNY, ORTHOPÄDE
VON ANNIKA STENZEL
Es zwickt und zwackt, es zieht und schmerzt. Mehr als 80 Prozent der Deutschen haben in ihrem Leben schon einmal Rückenschmerzen gehabt. Therapien gibt es viele: Chiropraktiker renken ein, es gibt unterschiedlichste Massagen, Akupunktur, Schmerztherapie, Physiotherapie und vieles mehr.
Eine unter den vielen Therapien ist die sogenannte Atlasprofilax. Sie beruht auf der These, dass der Atlas, der oberste Halswirbel, der den ganzen Kopf trägt, bei fast allen Menschen „fehlrotiert“ ist. Atlastherapeuten sehen in einem fehlgestellten Atlas den Grund für zahlreiche Beschwerden und Erkrankungen, die verschwinden können, wenn der Atlas wieder in der richtigen Position sitzt. Auch das seelische Gleichgewicht soll mit dem Atlas zusammenhängen.
Besonders häufig wird die Atlastherapie bei Migräne und Fehlstellungen der Wirbelsäule eingesetzt. „Wir haben auch schöne Erfahrungen bei Epilepsie und Parkinson sammeln können“, sagt Gernot Flick, der in Hamburg gemeinsam mit seiner Frau eine Praxis für Atlasprofilax betreibt.
Über den Nutzen und die Wirkung der verschiedenen Atlastherapien wird viel gestritten. „2002 unterlag die Atlastherapie nach Arlen einer wissenschaftlichen Bewertung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen“, sagt Bernd Kladny, Chefarzt der Abteilung für Orthopädie, M&I-Fachklinik Herzogenaurach, der sich wissenschaftlich mit der Atlastherapie nach Arlen beschäftigt hat. Es wurde entschieden, die Methode nicht als Leistung in der vertragsärztlichen Versorgung anzuerkennen, weil weder Leitlinien vorliegen, welche die Methode empfehlen, noch hochwertige wissenschaftliche Arbeiten, die den Erfolg belegen. Bei der Atlastherapie nach Arlen wird der Impuls auf den Atlas mit dem Finger gegeben, bei der Atlasprofilax wird dazu ein Gerät benutzt.
Orthopäde Kladny sagt über die umstrittene Methode: „Die Atlastherapie ist kein Humbug, es gibt Hinweise, dass sie helfen kann, eindeutige wissenschaftliche Beweise aber gibt es nicht. Dies ist aber bei zahlreichen Therapieverfahren in der Medizin der Fall.“
Flicks Praxis liegt in Hamburg-Blankenese, im Wartezimmer laufen Erklärvideos über die Therapie. In einem kurzen Gespräch erkundigt sich Flick über die Beschwerden: in meinem Fall Zähneknirschen, krummer Rücken, immer wieder Nackenschmerzen, typische Maushand-Verspannungen. Flick prüft meinen Atlas, lässt mich die Arme heben und über die Schultern gucken dann geht’s los.
Mit einem Massagegerät fährt Flick mir am Hals entlang. Es stupst etwas unsanft, ist aber nicht unangenehm. Damit wird die Muskulatur des Halses gelockert, bevor ein zweites, kleineres Gerät zum Einsatz kommt. Auch das stupst – ein wenig fester – und das war es dann auch schon. Sofort kann ich meine Arme höher heben und besser über die Schultern sehen. Der Rücken kribbelt als seien Ameisen drin.
Die Behandlung kostet etwa 180 Euro und die Patienten müssen sie selbst bezahlen. Lediglich „in Einzelfällen würden private und gesetzliche Kassen die Kosten übernehmen“, sagt Flick. Die Behandlung ist laut Flick für jeden geeignet: „Wir korrigieren lediglich keine Frauen während der Schwangerschaft“, sagt er.
In den ersten Tagen nach der Behandlung tut immer irgendwas weh: Das Knie ziept, der Rücken spannt, der Ellenbogen schmerzt. Flick freut sich darüber: „Wie in jedem Naturheilverfahren kann es kurz die berühmte Erstverschlimmerung geben, beispielsweise der Kopfschmerzpatient, der noch einmal Kopfschmerzen bekommt“, sagt er. Zudem sei ein Muskelkaterschmerz am Rücken nicht selten.
Ein bis zwei Wochen später der zweite Termin. Dabei werde ich nur noch mit dem Stupsgerät massiert und bekomme die Aufgabe, in den nächsten zwei Wochen vor dem Schlafengehen den Nacken zu ölen und eine Wärmflasche zu verwenden. Wiederkommen muss man nicht mehr. Nach der zweiten Behandlung ist die Therapie beendet. Denn sitzt der Atlas einmal richtig, bleibt er, wo er ist.
Nach etwa zwei Monaten sollte man Ergebnisse merken. Ich merke was: Ich bin zwar nicht von allen Übeln befreit, das hatte ja aber auch keiner versprochen. Aber: Mein Rücken ist gerader, die Haltung hat sich etwas verbessert und auch das Zähneknirschen ist etwas weniger geworden. Ob das von der Atlasprofilax kommt? „Wenn man von der Methode überzeugt ist, kann auch der Placebo-Effekt zu einer Heilung beitragen“, sagt Kladny.