: Der Allesleser
JUBILÄUM Dem Zeitungsforscher und Journalistikprofessor Walter J. Schütz zum Achtzigsten
VON STEFFEN GRIMBERG
Für einen Karrierebeamten is der Zeitungsforscher Walter Schütz angenehm unkonventionell. Dabei hat er allen gedient: Für Adenauer die Presse ausgewertet, zu seinem 65. von Helmut Schmidt den artigen Dank für die tägliche „Kanzlermappe“, „ohne welche das Geschäft des Regierend ziemlich schwierig gewesen wäre“, empfangen. Vor ein paar Jahren schreckte er die Branche mit der Anmerkung auf, das Gros der deutschen Regionalzeitungen sei und bleibe konservativ. Nach der Wiedervereinigung kritisierte er die Privatisierung der DDR-Presse durch die Treuhand, von der nur die großen Westverlage profitierten. 1995 ging Schütz in Pension.
Und obwohl die offizielle Pressestatistik 1997 unter der Kohl-Kanzlerschaft abgeschafft wurde – macht er bis heute unverdrossen weiter. Die „Stichtagssammlung der deutschen Tagespresse“ findet inzwischen in Schütz’ Reihenhaus in Bonn-Lessenich statt. Der ehemalige Leiter des Medienreferats beim Bundespresseamt und heutige Honorarprofessor für Journalistik lässt sich alle zwei, drei Jahre eine Woche lang alle (sic!) Zeitungen mit allen (sic!) lokalen Ausgaben kommen. Und zählt nach.
Wer ihn 2004 beim letzten Durchgang besuchte, kam sich vor wie in einer gut sortierten Bahnhofsbuchhandlung: 1.584 Ausgaben kamen in der Testwoche an – täglich. Und weil das für einen ein bisschen viel ist, hockten neben Schütz und einigen seiner Studenten gestandene Pensionäre wie der langjährige FAZ-Redakteur Kurt Reumann am Boden und blätterten Zeitung um Zeitung durch.
Alle zwei Jahre schreibt Schütz den Trend bis zur nächsten großen vollständigen Erhebung fort, zuletzt im Herbst 2009. Schon in Münster hatte er den Begriff der „publizistischen Einheit“ erfunden – einer Vollredaktion, die den kompletten Zeitungsmantel bestreitet. Nach seinen jüngsten Zahlen waren es 135. „Noch niemals seit 1954 sind in einem Berichtszeitraum […] weniger Veränderungen zu verzeichnen als von 2006 auf 2008“, schrieb Schütz. „Ursache hierfür dürfte sein, dass sich nach Perioden fortgesetzter Kooperationen und Konzentrationsvorgängen ein derart gefestigter Zeitungsmarkt herausgebildet hat, in dem Wettbewerb kaum noch stattfindet.“
Schütz war einer der ersten Bonner Spitzenbeamten mit Adresse in Berlin, gleich nach dem Fall der Mauer, und dann auch noch im Osten. Seitdem ist der bekennende Junggeselle alle paar Wochen zwischen Bonn und Berlin unterwegs, wenn er nicht gerade in Hannover lehrt oder Vorträge in Wien hält.
Schütz kümmert sich um die Lage der Presse und darum, wie er die Freude deutscher Verleger an Redaktionsgemeinschaften und generellem Outsourcing von Journalismus mit der Definition der „publizistischen Einheit“ in Einklang bringen soll. Ein Wettbewerb findet in dieser Disziplin kaum noch statt: Neben Schütz ist nur noch Horst Röpers Formatt-Institut in Sachen Presse unterwegs. Nicht einmal die Verlegerverbände sind ähnlich gut sortiert, sie greifen auf Schütz’ Arbeit zurück. Haben sie im Moment doch auch andere Prioritäten, etwa den Krieg gegen die Onlineangebote der Öffentlichen-Rechtlichen. Vielleicht sollte ihnen zu denken geben, welche Fachzeitschrift Schützens Zahlen seit Jahren veröffentlicht und honoriert: die Media Perspektiven der ARD.
Schon 2006 hat Schütz sein Opus magnum vorgelegt. „Zeitungen in Deutschland“ behandelt „Verlage und ihr publizistisches Angebot 1949–2004“. Doch der Zeitungsforscher bleibt dran – und wird im Herbst seine Pressestatistik wieder weiter fortschreiben. Heute wird Walter J. Schütz aber erst mal 80 Jahre alt. Wir ziehen artig den Hut.