: „Die Bestimmungen sind veraltet“
ATTAC Modellflugbauer werden als gemeinnützig anerkannt, Demokratieaktivisten dagegen nicht unbedingt. Das müsse sich ändern, sagt Lothar Binding, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion
■ 51, ist Mitglied bei Attac sowie finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag.
taz: Herr Binding, Attac wurde vom Finanzamt Frankfurt die Gemeinnützigkeit entzogen. Sie sehen das anders. Was ist am Demonstrieren gemeinnützig?Lothar Binding: Organisationen wie Attac leisten einen großen Praxisbeitrag dazu, unsere Demokratie stabil zu halten. Attac leistet dies in einer Form der Auseinandersetzung – friedlich und auf rechtsstaatlicher Grundlage –, die ich nicht kritisiere. Dafür sollten wir Attac und anderen, die sich für unsere Demokratie einsetzen, dankbar sein, statt ihnen Steine in den Weg zu legen. Wieso sind die SPD-nahe Ebert-Stiftung und so gut wie jeder Schachspielverein gemeinnützig – Attac dagegen nicht? Kompliziert: In der Abgabenordnung gibt es eine Liste, die regelt, wer gemeinnützig ist – zum Beispiel Schachspiel, Modellflug oder Hundesport. Dann ist dort auch geregelt, dass eine spezielle Beeinflussung der Meinungsbildung nicht gemeinnützig ist. Man will so vermeiden, dass unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit Einzelinteressen verfolgt werden. Das war der Versuch, eine Grenze zu definieren. Diese erweist sich in der Praxis als streitanfällig. Was soll diese Grenze? Die Idee dahinter war einmal, dass es in einer parlamentarischen Demokratie die Aufgabe von Parteien ist, die politische Meinungsbildung voranzubringen. Ein konservatives Argument ist etwa: Wenn jemand die parlamentarische Arbeit im Übermaß kritisiert, muss man das nicht auch noch belohnen. Ich glaube dagegen, wir sollten heute eine offenere Idee von demokratischer Willensbildung fördern. Einiges in der Abgabenordnung atmet aber noch den alten Geist. Deshalb hätte ich große Bereitschaft, die Interpretation von Gemeinnützigkeit neu zu justieren, auch auszuweiten auf jene Bereiche, die bei einigen Finanzämtern heute zur Debatte stehen. Derzeit definieren oft die Ämter, was durchgeht. Ja. Und wir müssen einräumen, dass sie es nicht leicht haben. Es gibt in der Abgabenordnung viele unbestimmte Rechtsbegriffe, die die Behörden auslegen müssen. Der Einsatz für den Schutz von Flüchtlingen etwa ist explizit genannt, der für Menschenrechte oder Friedensarbeit nicht. Das führt in der Praxis zu Problemen. Der Abgabenordnung fehlt innere Stringenz und Logik. Wenn die Abgabenordnung nicht funktioniert, dann brauchen wir eine neue. Einerseits ja, aber das ist wirklichkeitsfern. Es ähnelt den Debatten ums Steuersystem: Den großen Wurf, die Abgabenordnung mit ihren historisch gewachsenen Richtlinien und Interpretationen komplett zu erneuern, bekommen wir nicht hin. Zu viele Menschen befürchten Nachteile. Das heißt, es ändert sich nichts? Doch. Die Interpretation des Finanzamtes in Sachen Attac gibt ja sehr wohl Anlass, darüber nachzudenken, ob hier nicht Präzisierungen notwendig sind. Wir müssen nun im politischen Raum darüber debattieren: Was ist demokratisches Engagement unserer Gesellschaft wert? Wir werden das in der SPD-Fraktion thematisieren und schauen, ob mit den Kollegen aus der Union ein neuer Konsens möglich ist. Das ginge übrigens auch untergesetzlich, indem im Anwendungserlass des Ministeriums zur Abgabenordnung entsprechende Hinweise stünden.
INTERVIEW: MARTIN KAUL
Anmerkung der Redaktion: In unserem Artikel „Attac wird zum Opfer des Finanzamts“ vom 18. 10. 2014 schrieben wir, dass in der Vergangenheit Organisationen wie Adopt a Revolution, dem Frauenverband Courage und dem BUND Hamburg von den zuständigen Finanzämtern ihre Gemeinnützigkeit abgesprochen wurde. Richtig ist: Dies ist deshalb nicht zwangsläufig heute noch rechtskräftig. So klagt der BUND Hamburg derzeit in einem Musterverfahren vor dem Finanzgericht Hamburg, um die Streitfrage zu klären. Für 2014 liegt dem BUND nach eigener Aussage ein gültiger Freistellungsbescheid des Finanzamtes vor.