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Archiv-Artikel

Der deutsche Mutterkomplex

LOHNUNGLEICHHEIT Dass Frauen in fast allen Berufen weniger verdienen als Männer, hat auch mit einem kulturellen Phänomen zu tun: dem zählebigen Ideal von der „deutschen Mutter“, das Frauen in einen Teufelskreis aus schlecht bezahlten Jobs und Familienfürsorge drängt

„Wir steuern auf eine gigantische weibliche Altersarmut zu“

JUTTA ALLMENDINGER

AUS BERLIN HEIDE OESTREICH

Minderleister. Leichtlohngruppen. Worte aus den Fünfzigerjahren. Die Zeiten, in denen man annahm, Frauen leisteten wegen ihres Geschlechts im Beruf weniger und bräuchten daher nur einen „Leichtlohn“, sind eigentlich vorbei. Lohndiskriminierung ist verboten. Warum gibt es dann den Equal Pay Day, den Tag, bis zu dem Frauen arbeiten müssten, um den Vorjahresverdienst der Männer zu erreichen?

In Deutschland verdienen Frauen 23 Prozent weniger als Männer, das ist der fünftgrößte Abstand in der EU. 90 Prozent der Bevölkerung sehen hier eine Ungerechtigkeit, fand das Sinus-Institut heraus, Männer übrigens ebenso wie Frauen. Aber wie ist es zu lösen?

Es handelt sich um einem Teufelskreis, der sich um ein kulturelles Phänomen dreht: die deutsche Mutter. Diese sucht, vereinfacht gesagt, einen Beruf, der ihre sozialen Fähigkeiten fordert und sich mit der Familie vereinbaren lässt. Diesen Beruf verlässt sie nach kurzer Zeit für einige Jahre, um die Kinder zu betreuen. Zurück kehrt sie auf eine Teilzeitstelle. Und die gibt es zumeist in schlecht bezahlten „Frauenbranchen“.

Der Chef nimmt den Wunsch nach Teilzeit als Signal für eine „Minderleistung“ wahr: Die Frau ist weniger flexibel, fällt aus, wenn die Kinder krank sind, und möchte keine Überstunden machen. Dafür zahlt er ihr keinen Spitzenlohn. Fertig ist die Lohnlücke. In Zahlen: Nur 16 Prozent der Mütter mit Kindern unter 18 Jahren arbeiten Vollzeit. Und Deutschland hat europaweit die geringste Anzahl von Müttern in Führungsjobs: 42,8 Prozent der Frauen in Chefsesseln haben Kinder – in Luxemburg sind es 75, in Litauen 79,4 Prozent. Der Teufelskreis schließt sich, wenn Paare bei der Frage, wer für die Kinder aus dem Beruf aussteigt, beschließen: natürlich derjenige, der weniger verdient.

Das besonders Fiese an dem „mütterlichen“ Frauenbild ist, dass es sich verfestigt und dort niederschlägt, wo überhaupt keine typische „deutsche Mutter“ mehr am Werk ist. So gehen die deutschen Tarifverträge pauschal davon aus, dass soziale und psychische Herausforderungen wie die Verantwortung für Kinder, Patienten oder Alte in typischen Frauenberufen wenig wert sind. Diese mütterlichen Fähigkeiten stehen selbstverständlich umsonst zur Verfügung, während die technischen Fähigkeiten eines „Männerberufs“ oder deren Verantwortung für Geld oder Personal in allen Einzelheiten gewürdigt werden.

Und das Mutterbild lebt fort, auch wenn Frauen ihre Familie quasi unsichtbar organisiert haben oder gar kinderlos sind. Die Chefs gehen davon aus, dass Frauen weniger leisten wollen. „Statistische Diskriminierung“ nennt die Forschung das.

Was tun? Dreierlei wäre nötig, heißt es in einem Dossier des Familienministeriums zum Thema „Entgeltgleichheit“. Zum einen müsse die unsichtbare Diskriminierung in Tarifverträgen und Firmen bekämpft werden. Der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes etwa solle schon einmal überprüft werden.

Doch die öffentlichen Arbeitgeber sind nicht darauf erpicht, Frauen höhere Löhne zu zahlen. Firmen können ihr Lohngefüge mit der Software „Logib D“ überprüfen. Allerdings zeigt sie nicht an, ob die Anforderungen bereits im Tarifgefüge ungerecht formuliert worden sind. So kann der christliche Krankenhausbetreiber Marienhaus nach dem Logib-Check verkünden, keine Ungerechtigkeiten gefunden zu haben. Doch der Tarifvertrag ist ähnlich strukturiert wie der des öffentlichen Dienstes, der nachweislich diskriminierend ist.

Expertinnen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung haben deshalb mit eg-check.de eine Alternative entwickelt, die solche Faktoren berücksichtigt. Der schönste Test nützt aber wenig, wenn er im Firmensafe verschwindet. Die Arbeitsmarktexpertin und WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger fordert deshalb, die Gehälter offenzulegen: „Die Regierung sollte dem skandinavischen Beispiel folgen. Dort sind alle Gehälter im Netz einsehbar. Ohne Transparenz kann man versteckte Diskriminierungen nicht angehen“.

Punkt zwei wäre, so das Familienministeriums, eine Umverteilung der Erwerbsarbeit. Wenn Frauen mehr arbeiten könnten und Männer mehr Familienarbeit übernähmen, würden sich die Gehälter angleichen. Dafür braucht es vernünftige Kinderbetreuung und mehr Teilzeitjobs für Männer, sagt auch WZB-Präsidentin Allmendinger: „Wir steuern auf eine gigantische weibliche Altersarmut zu. Wir müssen ernsthaft über große Teilzeit reden, für Frauen und Männer. Dass die Politik das nicht thematisiert, halte ich für fahrlässig.“

Der dritte Punkt sind die Frauen selbst. Ist Arzthelferin ein Beruf, mit dem man seine Rente sichern kann? Wie lange sollte man für Kinder aus dem Beruf aussteigen? Das Hamburger Institut für Weltwirtschaft hat in einer erstaunlichen Studie gezeigt, dass jeder Monat, den man aussteigt, steigende „Lohnstrafen“ nach sich zieht. Die Firmen gehen davon aus, dass der Ausstieg einen Verfall des Humankapitals mit sich bringt. Sechs Monate Unterbrechung kosteten 9 Prozent des Lohns, ein weiteres halbes Jahr nach der Elternzeit machen weitere 15 Prozent aus. Die Lücke wird bis zur Rente nicht wieder geschlossen.

Wiedereinstiegsprojekte, wie sie das Bundesministerium nun verstärkt fördert, setzen damit schon fast zu spät an. In Coachings wird versucht, die Frauen auf lukrativere Branchen aufmerksam zu machen. Auch der Wunsch, „erst mal auf 400-Euro-Basis“ oder „nur für 20 Stunden“ zu arbeiten, wird dort hinterfragt. „Wir rechnen den Frauen vor, wie ihre Rente aussehen würde. Zusammen mit den Scheidungsraten bringt sie das durchaus zum Nachdenken“, erzählt Christiane Lindecke vom Kasseler Wiedereinstiegsprojekt. Sie unterstütze bei Diskussionen in der Familie. Wenn der Ehemann keine Lust verspürt, mehr im Haushalt zu tun. Oder die Kinder rebellieren, weil sie selbständiger werden sollen. Denn das ist das Hauptproblem mit dem Phänomen „deutsche Mutter“: Es wohnt bei Ihnen zu Hause.