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Schwarze Bohnen

SCHLAGLOCH VON GEORG SEESSLEN Kuba muss die Pressefreiheit zweifellos noch lernen. Aber bitte nicht von uns

Georg Seeßlen

■ ist Publizist und Filmkritiker. Er lebt in Kaufbeuren und hat über 20 Bücher über das Kino geschrieben. Zuletzt erschien von ihm und Markus Metz: „Blödmaschinen: Die Fabrikation der Stupidität“ (bei Suhrkamp).

In Kuba gibt es wenige Zeitungen, und ein Zeitungskiosk in Havanna macht für unsere Augen einen trostlosen Eindruck. Noch desolater scheinen Bibliotheken, wo man seit Jahrzehnten nichts Neues mehr angeschafft hat. Der Aufmacher von Granma heute: die Notwendigkeit, den Preis für schwarze Bohnen um einige Cent pro Kilo zu erhöhen. Man würde einer Gesellschaft, die sich in einem Übergang befindet, aber mehrheitlich nicht bereit ist, sich einfach fressen zu lassen von Kapital und Entertainment, mehr Diskurskultur, mehr Pressefreiheit wünschen.

Niedertracht und Bordlektüre

Ja, das würde man. Jedenfalls so lange, bis man wieder in den heimischen Gefilden gelandet ist. Schon bei der Lektüre der ersten Zeitung an Bord des Flugzeugs wird einem klar, was ein gut recherchierter Artikel über die Preiserhöhung von schwarzen Bohnen wert ist. Wenn man nämlich die (für unsereinen zugegebenermaßen etwas mühsame) Lektüre vollzogen hat, weiß man etwas über den Zusammenhang von Wetter, Düngemittel, Versorgungsauftrag und Weltmarkt. Und natürlich weiß man, was die Erhöhung des Preises für schwarze Bohnen für das Leben einer kubanischen Familie bedeutet. Was aber weiß ich nach der Lektüre einer deutschen Zeitung, jedenfalls der Art, wie sie in Flugzeugen verteilt werden?

Nach einem Monat Abwesenheit scheint es, als könnte die Zeitung von heute genau so gut die Zeitung von vor vier Wochen sein. Ist man gelandet, so erwarten einen die schreienden Medien der Niedertracht. Nichts zum Preis von schwarzen Bohnen (oder Kartoffeln), aber alles über faule Griechen, Dschungelcamps und Ferienfreunde des Bundespräsidenten, wie gehabt. Die einen interessieren sich dafür, was Models anhaben, die anderen dafür, was sie ausziehen. Die kubanischen Zeitungen versprechen, davon zu berichten, was im Eigentlichen die Menschen angeht, unsere Zeitungen versprechen, davon zu berichten, was uns eigentlich nichts angeht. Sie kriegen das beide nicht in letzter Konsequenz hin. Aber zur Überheblichkeit gibt es weiß der Himmel keinen Grund.

Die politische Ökonomie unserer Medien hat aus der Pressefreiheit in der Demokratie eine Pressefreiheit auf dem Markt gemacht. Es ist, gewiss, nur noch die Freiheit einiger weniger Konzerne. Auch unsere Gesellschaft ist eine des Übergangs, doch anders als die kubanische will sie sich das partout ausreden lassen. Selbst die Granma vermittelt, bei aller Linientreue, dass es nicht einfach so weitergehen kann und dass es für die anstehenden Veränderungen einen gesellschaftlichen Konsens geben muss. Kleine Veränderungen, gewiss, ohne Glamour, und noch entfernt von dem, was man „Freiheit“ nennen darf. Hier indes macht man, von Schaudern der moralischen Hysterie und des schlechten Geschmacks durchzogen, immer so weiter. Immer so weiter. Immer.

Und dann noch Wulff

Unsere „Presselandschaft“ wäre außerstande, einen realistischen und detaillierten Artikel über die Erzeugung des Preises von schwarzen Bohnen (oder Kartoffeln) hervorzubringen. Und das aus gleich drei Gründen: Ein solcher Artikel „verkauft“ sich nicht. Ein solcher Artikel benötigt eine journalistische Arbeit, die im Lohndrückerkapitalismus unbezahlbar ist. Und: Wer wirklich dahinterkäme, wie der Preis von schwarzen Bohnen (oder Kartoffeln) auf dem Markt zustande kommt, der würde unbequem, der lebte gefährlich.

Der moralische Anfall unserer Journalisten im Falle des Bundespräsidenten ist aber vielleicht doch etwas mehr als eine der mittlerweile gewohnten Volten, in denen das FAZ.-Feuilleton plötzlich marxistisch schwärmt, queere Pfarrer den Glauben an die Kirche retten und die CDU zur Umweltpartei wird. Es könnte der Beginn eines Weges zur Einsicht sein, dass generell die politische Ökonomie unserer freien Presse auf dem Prüfstand steht. Was da passiert, auf Mailboxen und anderswo, zwischen einem Bundespräsidenten und einem Medium der Niedertracht, das ist ja nur ein Symptom.

Aber das eigene Leben?

Dahinter stecken drei schwerste Erkrankungen der freien Presse: die Verflechtung von Politik und Medium bis hin zu einer gegenseitigen Abhängigkeit von Mafia-Ausmaßen. Die Verwandlung der Medien in ökonomische Instrumente, bei der die Vermischung von Werbung und redaktioneller Aussage überführt wird in einen Metatext des Marktes; Nachricht und Ware als vollendete Einheit. Die Konzentration der Macht über den Pressemarkt und durch den Pressemarkt in wenigen Händen und Firmen, die global spielen und für deren Protagonisten es ein Leichtes ist, einen nationalen oder regionalen Kommunikationsmarkt aufzufressen. Die Medien der Niedertracht haben die Politik und die populäre Kultur ungefähr so unterwandert, wie die Neonazis den Verfassungsschutz unterwandert haben: Unterwanderung als Wechselspiel.

Selbst die „Granma“ vermittelt eine kleine Idee von Veränderung. Hier indes geht es nur ums Weitermachen. Immer weiter

Wir trauen gewiss keinem unserer famosen Politikerinnen und Politiker zu, für die Entflechtung von Politik und Medien einzutreten und Bedingungen für eine Rückkehr zur wirklichen Pressefreiheit zu schaffen. Aber genauso wenig trauen wir unseren famosen Journalistinnen und Journalisten zu, ihr eigenes System so weit aufzuklären, um die Erkenntnis zu kommunizieren: Es darf so nicht weitergehen. Die Demokratie wird auch am Zeitungskiosk verspielt. Und die wenigen verbliebenen kritischen Stimmen sind keine Ausrede.

Wer die Zeitschriftenregale eines deutschen Supermarkts betrachtet, der möchte ganz einfach kotzen. Nicht weil etwas besseres wäre, sondern weil hinter den Grinse- und Blutfarben die große Verzweiflung sichtbar wird über das nicht gelebte Leben. Nicht weil diese Presse so lügt, wirkt sie so erschreckend, sondern weil sie so die Wahrheit über die Welt sagt, in der wir leben. Die ökonomisierte und privatisierte Presse kann nur über eines wahrheitsgemäß berichten, über die Ökonomisierung und Privatisierung unseres Lebens. Nur von unserem eigenen Leben, darüber, warum es so ist, wie es ist, erfahren wir nichts.

Kuba muss Pressefreiheit lernen. Aber bitte nicht von uns.

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