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Archiv-Artikel

Der Unerschrockene

ZUFLUCHT Donny Reyes Velásquez kämpft in Honduras für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle. Dafür wurde er beleidigt, verfolgt und im Gefängnis vergewaltigt. Für ein Jahr lebt er nun in Hamburg in Sicherheit

VON KNUT HENKEL

Eine Wohnung am Rande des Hamburger Schanzenviertels. Dritter Stock, Altbau, Wohnküche, Schlafzimmer, Cafés und Restaurants sind um die Ecke. Den meisten, die hier wohnen, geht es gut im Leben. Donny Reyes Velásquez kam, als es ihm nicht gut ging. Im Mai dieses Jahres hat die Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte ihn mit einem Stipendium nach Deutschland geholt, weil sein Leben in Honduras zu gefährlich geworden war. Er ist einer der prominentesten Aktivisten für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle (LGBT) in Honduras. 2003 hat er die Organisation „Arcoiris“ mitgegründet, zu Deutsch Regenbogen. „Arcoiris“ will den Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen eine Stimme geben.

Nun sitzt Velásquez in seiner Wohnung und versucht, mit dem Computer klarzukommen. 38 Jahre ist er alt, sein dunkles Haar wird langsam dünn, er wirkt müde, aber entschlossen. Sein Rechner ist die Brücke zu seinem Freund in Honduras, doch er hat keine spanische, sondern eine deutsche Oberfläche. Also kämpft sich Donny fluchend durch das Menü und verfolgt aus der Ferne, was in Honduras passiert. In Deutschland musste er zuerst einmal lernen, was Sicherheit heißt. „Ich gehe gern auf die Straße, könnte springen vor Erleichterung. Auch wenn die Angst vor Uniformen noch immer da ist“, sagt er und lässt den Blick durch die Wohnküche schweifen. Kein Geschirr steht herum, alles ist ganz ordentlich, auch die Unterlagen neben dem Computer und die paar Ausgaben einer Studie über Gewalt gegen Menschen mit einer anderen sexuellen Orientierung sind säuberlich aufeinandergeschichtet. Die hat er mitgebracht, um Öffentlichkeit herzustellen, zu informieren über die latente Gewalt, der er und seine Mitstreiter ausgesetzt sind, aber eben auch über seinen eigenen Fall.

Eingesperrt, vergewaltigt

„2007 wurde ich von mehreren Polizeibeamten festgenommen, geschlagen, gefoltert und schließlich in eine Zelle mit 57 Insassen geworfen.“ In der Zelle wurde er mehrfach vergewaltigt. Er ist sich sicher, dass die Polizisten wusste, was ihm im Gefängnis passieren würde. Bis heute ist keiner der Täter für diese Verbrechen verurteilt worden.

Ein Indiz für das nicht funktionierende Justizsystem in dem mittelamerikanischen Land und die weit verbreitete Homophobie. Honduras hat eine vom Machismo geprägte Gesellschaft. Schon Velásquez’ Vater, ein Schuster, hat ihn, als er acht oder neun Jahre alt war, vor seinen Brüdern als „Maricón“, als Schwulen, beschimpft. Damals wusste Velásquez nur, dass er anders war, dass er keinen Bock auf Fußball und Raufen hatte. Viele Menschen aus der Stadt Choloma, an deren Rand die Familie lebte, haben ihn damals schlecht behandelt. Nur die Großmutter beschützte den Jungen, der meist außen vor war, wenn die anderen spielten. „Zu Hause fühlte ich mich nicht wohl. Mit 15 bin ich abgehauen, in den Norden, Richtung USA.“

Damals war das noch nicht so gefährlich wie heute. Trotzdem hatte Velásquez Glück. Ein Kfz-Mechaniker in Mexiko nahm ihn auf, bevor er weiterzog und bei der Erdbeerernte im Süden der USA Geld verdiente. Mit 20 Jahren ging er zurück nach Honduras. Eine Ausbildung wollte er machen und stieß zur schwulen Bewegung in Tegucigalpa. „Alles fand im Verborgenen statt, in privaten Bars, in geheimen Discos, und wenn die Polizisten uns erwischten, haben sie uns verprügelt“, erinnert er sich.

Trotzdem: „Ich habe mich damals entschieden, mich öffentlich als Schwuler zu outen und mein Gesicht für die Organisation herzugeben.“ Einfach war das nicht für Velásquez. Zwischen 2009 und 2014 wurden laut Menschenrechtsorganisationen 168 Homosexuelle in Honduras ermordet – nur wenige dieser Morde wurden aufgeklärt. Es herrsche, so kritisierten LGTB-Organisationen wie „Kukulcá“ bei einem Protestmarsch Ende Juli, Straflosigkeit in Honduras.

Auch heute noch sind es die Polizisten in Tegucigalpa, die Donny Reyes Velásquez die größten Probleme bereiten. „Ich bin der erste schwule Honduraner, der Anzeige gegen die Polizei gestellt hat.“ Doch warum die Polizei nicht in das Büro von „Arcoiris“ kam, als im September zweimal in einer Woche eingebrochen wurde, wird nicht ermittelt. Kameras, Computer und Festplatten wurden gestohlen, sodass die Organisation erst einmal arbeitsunfähig war. Die Spurensucher des zuständigen Reviers hätten kein Benzin, um zu kommen, hieß es lapidar.

Von der Polizei ignoriert

Das war nicht das erste Mal, dass die Behörden Velásquez ignorierten. Im Juli 2012 wurde er von einem Killer mit der Waffe durch mehrere Straßen von Tegucigalpa gejagt. Da hatte er schon einmal das Gleiche zu hören bekommen. „Es fehlt der Wille von Polizei und Politik, uns zu schützen“, lautet seine Einschätzung. Die deckt sich mit der von Menschenrechtsorganisationen wie dem „Komitee der Familien von Verhafteten und Verschwundenen“ (Cofadeh) aus Tegucigalpa. Doch Donny Reyes Velásquez ist einer, der nicht nachlässt. „Rebellieren gegen die Straflosigkeit“ ist seine Devise. „Wie soll sich sonst etwas ändern?“, schiebt er hinterher.

Immer wieder sind Aktivisten in den letzten Jahren ermordet worden. Erik Martínez, Anwalt, Journalist und Sprecher der LGTB-Bewegung, war einer, den Velásquez gut kannte. Am 8. Mai 2012 wurde er stranguliert aufgefunden. Donny Reyes Velásquez kennt viele solcher Fälle. Sie warten auf ihn.

Für ihn ist klar, dass er zurückgeht. Nächstes Jahr im Mai will er in Tegucigalpa seine Arbeit wieder aufnehmen. Das Rückflugticket liegt schon nebenan im Schlafzimmer. Dann wird er wieder Straftaten gegen Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle dokumentieren, Beweise sammeln, Anwälte löchern und immer wieder die Polizei. Auch seinen eigenen Fall wird er nicht zu den Akten legen, sondern alle juristischen Mittel ausschöpfen, um Polizei und die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Das kostet Kraft. Doch seit der Vergewaltigung steht seine Familie hinter ihm. Er weiß, warum er durchhält: „Für die jungen Homosexuellen, die weinend bei mir am Schreibtisch saßen.“ An den will er zurück, denn Hamburg ist für ihn nur ein Ort, um Kraft zu schöpfen, um sich in Sicherheit neu zu orientieren und um Unterstützung zu suchen.

Genau das ist der Sinn des Stipendiums. Eine Auszeit von der Verfolgung will die Hamburger Stiftung den derzeit vier Gästen bieten, die sich in ihren Heimatländern für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben und deswegen verfolgt wurden. Bei Donny Reyes Velásquez zeigt das schon Wirkung. Die dunklen Uniformen der Polizei bringen ihn auf Hamburgs Straßen nicht mehr aus der Ruhe. Zurück in Tegucigalpa könnte sich das wieder ändern.