: Muss man Facebook jetzt verlassen?
NETZ Der Datenschutz lässt zu wünschen übrig, mitbestimmen kann man auch nicht mehr
Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt.
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Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.
JA
Ilse Aigner (CSU), 47, ist Bundesministerin für Verbraucherschutz
Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er Mitglied bei Facebook sein will oder nicht. Ich habe mich vor zwei Jahren klar entschieden und mein Konto gelöscht. Leicht fiel mir das nicht, denn ich habe Spaß an Sozialen Netzwerken und finde die Idee faszinierend. Aber als Verbraucherschutzministerin kann ich es nicht akzeptieren, dass ein Konzern permanent gegen Datenschutzrecht verstößt und die Privatsphäre seiner Mitglieder ignoriert. Ich bin zwar ausgetreten, aber am Thema drangeblieben. Es gab seither etliche Treffen zwischen Facebook und meinem Haus, in manchen Punkten, wie der umstrittenen Gesichtserkennung, haben wir auch etwas erreichen können. Aber bei anderen wichtigen Fragen – wie den Grundeinstellungen – bleibt Facebook stur. Daher unterstütze ich die geplante EU-Datenschutzverordnung, die den Nutzern starke Rechte sichern wird. Jeder muss jederzeit die volle Kontrolle über seine persönlichen Daten haben.
Nils Dagsson Moskopp, 25, ist Blogger und Webentwickler, nebenbei studiert er
Viele Menschen haben eine autoritäre Sehnsucht nach Identität. Sie brauchen die Schablone des Facebook-Profils: Nur mit Name, Wohnort, Beziehungsstatus finden sie Freunde. Gemäß der Zuckerberg-Doktrin hat jeder eine Identität innerhalb normierter Parameter ohne Abweichungsmöglichkeit: Kein Profil enthält Vorstrafen, Transsexualität oder mehrere Liebesbeziehungen. Facebook ist ein totales System. Beiträge sind unzugänglich von außen, nicht durchsuchbar. Nutzer denunzieren sich, Zensoren beseitigen Nacktheit, Pornografie. Verweigerer trifft Gruppenzwang: Wer nicht dabei ist, wird nicht auf Partys eingeladen. Zur Motivation erhalten Nutzer portionierte „Like“-Leckerlis für das normierte Leben, vorgetäuschte Orgasmen für eine Milliarde Narzissten. Werbern, Polizei und Nachrichtendiensten gefällt das. Doch Facebook verhindert Kreativität und Kultur: Es ist ein asoziales Netzwerk.
Julia Schramm, 27, ist Mitglied der Piratenpartei, sie nennt sich „Internet-Exhibitionistin“
Facebook ist ein Unternehmen, dessen Firmenpolitik undurchsichtig, nicht nachvollziehbar und unübersichtlich ist. Es geht um Profit – so viel ist klar. Jedoch wird die Nutzerin im Dunkeln gelassen, wie genau die bei Facebook hochgeladenen Daten zu Geld gemacht werden. Irgendwie halt. Gleichzeitig gibt es den Anspruch, das Leben der Nutzer als Ganzes festzuhalten. Wie genau diese Chronik aber funktioniert, bleibt unklar. Ab und an verirren sich mal private Nachrichten auf die öffentliche Pinnwand. Warum? Unbekannt. Trotz der verpassten Sozialevents, die mittlerweile fast nur noch über Facebook koordiniert werden, fliehen immer mehr Menschen von der omnipräsenten Plattform. Auch weil „Von der Wiege bis zur Bahre“ der hyperindividuellen Nutzung des Netzes widerspricht und der praktische Nutzen das notwendige Vertrauen in das Unternehmen kaum generieren mag. Mensch verpasst dabei nicht viel, außer vielleicht die ein oder andere schreckliche Party.
Fabian Gottschlich, taz.de-Leser, er hat die Frage per E-Mail kommentiert
Sobald man beginnt darüber nachzudenken, ob man aus dem System Facebook aussteigt, kann man es gar nicht mehr. Zwar gibt es genug datenschutzrechtliche Dinge, die für einen Ausstieg sprechen. Aber dem entgegenzusetzen ist das einfache Kommunizieren mit Freunden weltweit. Es ging früher ohne Facebook und es geht auch heute noch. Einfach online gehen und unüberlegt auf „Benutzerkonto löschen“ klicken. Ich garantiere, man wird entspannter leben …
NEIN
Antje Schrupp, 48, ist Politikwissenschaftlerin, Journalistin und passionierte Bloggerin
Wieso denn? Wenn man mit Menschen außerhalb des engen Zirkels von Netzgemeinde und Medienprofis kommunizieren möchte, geht das ja zurzeit nur über Facebook. Keiner anderen Internetplattform ist es bisher gelungen, das Interesse breiterer Bevölkerungskreise zu wecken. Ich glaube, das liegt gerade an den vielen Voreinstellungen, mit denen Facebook quasi eigenmächtig alles Mögliche schon festlegt, auswählt, herausfiltert. Für internetaffine Menschen ist das natürlich ein Graus. Für Netzneulinge ist es aber wunderbar, denn es hilft, schnell „Freundinnen“ zu finden und Informationen zu bekommen, die für eine selbst relevant sind. Gefährlich und falsch finde ich es allerdings, die eigene Netzpräsenz bei Facebook zu konzentrieren. Facebook ist gut zum Plauschen, zur Informationsverbreitung und für Katzenfotos. Wichtige Inhalte und Debatten gehören aber in ein eigenes Blog.
Mara Koch, 15, Schülerin des Immanuel-Kant-Gymnasiums in Leipzig
Ob man Facebook verlassen sollte? Das werde ich jedenfalls nicht. Für mich ist Facebook im alltäglichen Leben viel zu wichtig. Es gibt mir die Möglichkeit, jeden Tag schnell und kostenlos meinen Freunden zu schreiben. Eigentlich nutze ich Facebook hauptsächlich aus diesem Grund. Natürlich nervt es, wenn immer wieder die Nutzungsbedingungen geändert werden. Und die viele Werbung fällt auch mir auf. Aber beim Schreiben stört das ja nicht.
Ali Alqataani, 34, ist Journalist in Libyen und schreibt u. a. für correspondents.org
Als Journalist bietet mir Facebook eine gute Austauschplattform mit anderen. Aber Facebook schränkt auch meine Freiheit ein und raubt mir unnötig viel Zeit. Ich versuche schon lange, eine Balance zu finden. Aber bisher leider ohne Erfolg. Ich kann nicht verleugnen, dass Facebook durchaus nützlich sein kann. Aber wenn die Schreie meines einzigen Sohnes durch die verschlossene Tür des Zimmers dringen, in dem ich mich vor dem Bildschirm verschanze, dann frage ich mich: „Was ist wichtiger? Meine Familie oder Facebook?“ Wenn sich der Stapel unerledigter Aufträge häuft, frage ich mich: „Was ist wichtiger? Meine Arbeit oder Facebook?“ Wenn ich mir Gedanken über die Zukunft meines Landes mache. Gedanken, die ich beabsichtige als politische Kommentare aufzuschreiben und die ich am nächsten Tag vergesse, dann frage ich mich: „Was ist wichtiger? Mein Vaterland oder Facebook?“
Jens Gustedt, 52, Mathematiker und Informatiker, kommentierte die Frage per E-Mail
Das klingt schon als Frage viel zu pathetisch. „Muss“ und „verlassen“ ist ein sehr verräterisches und emotionales Vokabular. Aber ja, wer die Frage so, auf diese Weise stellt, sollte sich von Facebook abmelden. Sie oder er ist süchtig und braucht vermutlich eine Therapie. Für normale Menschen reicht es, genauer aufzupassen:
– Facebook funktioniert nur mit Cookies, also sollte man alle Cookies nur für die Sitzung erlauben und nachher wegschmeißen.
– Facebook kann keine E-Mail-Adressen oder Fotos weitergeben, die es nicht hat. Zum Beispiel kann man eine „Wegwerf“-E-Mail-Adresse für Facebook nehmen, sodass man sofort sieht, wenn diese weiterverkauft worden ist.
– Werbung kann man mit Adblock blockieren.
Und dann kann man sich bei Zeiten nach Alternativen umsehen und neue Kontaktlisten bei anderen Providern aufbauen. Kein dramatisches Scheidungsgetue, sondern langsames, gemütliches Auseinanderleben.