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Archiv-Artikel

Schlecht restauriert, aber zweifellos echt

RAUBKUNST Polen will die „Jüdin mit den Orangen“ zurückhaben. Das Gemälde war 1944 aus dem Nationalmuseum gestohlen worden

Versteckt ein Dieb ein geraubtes Kunstwerk nur lange genug, gehört es ihm ganz legal nach Ablauf von 30 Jahren

Die „Jüdin mit den Orangen“ ließen die Kunsträuber, die bereits 1939 im Auftrag Hitlers Polens Museen nach wertvollen Bildern durchkämmten, an der Wand hängen. Doch 1944, kurz nach der Niederschlagung des Warschauer Aufstands, kam ein Wehrmachtssoldat zum Plündern ins Nationalmuseum. Danach noch ein SS-Mann. Seitdem fehlt jede Spur der „Jüdin mit den Orangen“. Jetzt ist das berühmte Ölgemälde Alexander Gierymskis (1849–1901) in einem Auktionshaus in Buxtehude bei Hamburg wieder aufgetaucht. Obwohl das Bild seit Jahren auf der Fahndungsliste für NS-Raubkunst steht, hätte es nun für den Schnäppchenpreis von 4.500 Euro den Besitzer wechseln können.

„Die Apfelsinenfrau ist wieder da!“, meldete Polens bedeutendste Tageszeitung Gazeta Wyborcza die Sensation auf der Titelseite. Wie Experten inzwischen feststellten, handelt es sich tatsächlich um das Original aus Warschau. Sein Wert wird auf bis zu 500.000 Euro geschätzt. Der Galerist und Gierymski-Experte Marek Mielniczuk, der schon vor zwölf Jahren das ebenfalls verschollene Gemälde des Malers „Louvre bei Nacht“ in einem französischem Auktionshaus entdeckt hatte, reiste nach Deutschland, um eine erste Expertise durchzuführen. „Das ist eindeutig ein Gierymski“, befand Mielniczuk nach der Prüfung, „schlecht restauriert, aber zweifellos echt!“

Das polnische Kulturministerium bat um Rechtshilfe, und nur einen Tag vor der Auktion am 28. November stellte die Staatsanwaltschaft Stade das Kunstwerk sicher. Noch wurde der Vorwurf des Kunstraubs (1939–1945) und der Hehlerei nicht erhoben. Möglicherweise kommt es auch gar nicht dazu. Denn 2001 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz, demzufolge Kunstdiebstahl nach 30 Jahren verjährt. Dies gilt zwar nicht für staatliche Sammlungen und Museen, die NS-Raubkunst in der Regel zurückerstatten, aber für Kunstwerke in Privatbesitz.

Für eine Kopie gehalten

Eva Aldag, die Eigentümerin des Auktionshauses, sagte dem polnischen Radio, das Bild für eine Kopie gehalten und deshalb das Mindestgebot so niedrig angesetzt zu haben. Sie wolle es im Februar 2011 erneut bei einer Auktion anbieten – nach einem aktuellen Wert-Gutachten. Die heutige Besitzerin des Kunstwerks wiederum gab an, die „Jüdin mit den Orangen“ von ihrer Großmutter geerbt zu haben. Diese hatte 1948 einen Industriellen und Kunstsammler aus Düsseldorf geheiratet, in dessen Sammlung sich schon damals das Bild befand.

Zwar sicherte Kulturstaatsminister Bernd Neumann seine Hilfe bei der Rückgewinnung des geraubten Gemäldes zu, ohne jedoch konkret zu sagen, worin diese Hilfe bestehen könnte. Ein Prozess hätte nach derzeitiger Rechtslage in Deutschland kaum Aussicht auf Erfolgt. Polens Regierung versucht daher zunächst, die derzeitige Besitzerin zur freiwilligen Rückgabe des 1944 geraubten Gemäldes zu bewegen.

Die Verbitterung über den von der Bundesrepublik legalisierten NS-Raub ist in Polen groß: Denn wenn es dem Dieb und seinen Nachkommen gelingt, das geraubte Kunstwerk nur lange genug zu verstecken, gehört es ihnen ganz legal nach Ablauf von 30 Jahren. Erwirbt ein Kunstsammler in gutem Glauben ein geraubtes Bild, erlischt der Anspruch des Alteigentümers sogar bereits nach zehn Jahren.

So hatte man sich in Polen die Erfüllung des deutsch-polnischen Vertrags über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit nicht vorgestellt. Zum 20. Jahrestag im Juni 2011 war eigentlich ein Jubelfest geplant. Sollten die Verhandlungen Polens mit der derzeitigen Eigentümerin keinen Erfolg bringen, könnte Neumann tief in die Tasche greifen, um die Feier noch zu retten. Dies würde allerdings einen Präzedenzfall schaffen. Denn polnischen Angaben zufolge dürften sich die meisten der seit 1945 noch immer verschollenen Kunstwerke in Privatbesitz befinden. Darunter sind Bilder, die noch wertvoller sind als die „Jüdin mit den Orangen“. So beispielsweise das Porträt eines jungen Mannes von Raffael aus dem Czartoryski-Museum in Krakau. „Zurzeit verhandeln wir über die Rückgabe von rund 20 Kunstwerken, die während des Zweiten Weltkriegs gestohlen wurden“, sagt Jacek Miler vom Kulturministerium in Warschau.

„Auch wenn ein Bild von den Nazis oder Sowjets 1939 bis 1945 gestohlen wurde, kann es eines Tages auf einer Auktion in London oder New York auftauchen“, sagt Karina Chabowska vom Kulturministerium in Polen. Bis heute gelten 10.000 bis 15.000 Bilder aus den Vorkriegssammlungen Polens als verschollen.

GABRIELE LESSER