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Archiv-Artikel

Großbürgerliche Probleme

DRAMA Ein Gentleman steht zwischen seiner Ehefrau und einer Suffragette. Die britische Miniserie „Parade’s End“ lädt zum Mitleiden ein (20.15 Uhr, Arte)

VON DAVID DENK

Ein Quickie mit der aufreizenden Rothaarigen im Erste-Klasse-Zugabteil – und schon ist im Leben des Christopher Tietjens nichts mehr, wie es war: Als „der letzte Gentleman“, der Tietjens laut deutschem Untertitel der BBC-Miniserie „Parade’s End“ ist, hört, dass die so schöne wie durchtriebene Sylvia Satterthwaite (Rebecca Hall) ein Kind erwartet, heiratet er sie und behandelt das Kind trotz erheblicher Zweifel wie sein eigenes. Sylvia hat viele Affären, von denen sie nach der Eheschließung nur eine kurze Auszeit nimmt. Christopher jedoch kann von sich selbst, seinen Moral- und Wertevorstellungen, keine Auszeit nehmen – weshalb er sich auch eine Affäre mit der ihn verehrenden Frauenaktivistin Valentine (Adelaide Clemens) verbietet. In seiner eigenen Ritterlichkeit gefangen ist diese tragische Figur, verkörpert von Benedict Cumberbatch.

Der wunderbare britische Schauspieler, bekannt geworden als Titelheld der BBC-Überserie „Sherlock“ und zuletzt als Bösewicht im Kinofilm „Star Trek Into Darkness“ zu sehen, scheitert in der sechsteiligen Adaption der gleichnamigen Ford-Madox-Ford-Romane daran, das Innenleben dieses Großbürgers, der schon Anfang des 20. Jahrhunderts durch sein altmodisches Wesen irritierte, uns Fernsehzuschauern von Heute begreifbar zu machen. Christopher Tietjens Seelennöte lassen einen merkwürdig kalt – wie überhaupt die ganze Serie nicht im entferntesten den gleichen Sog entwickelt wie „Downton Abbey“, die in der gleichen Zeit und einem ähnlichen Milieu angesiedelte preisgekrönte Produktion des privaten Konkurrenten ITV.

Die beiden Serien wirken wie ungleiche Geschwister, lediglich verbunden in ihrer schwelgerischen Liebe zum edwardianischen Dekor: „Parade’s End“, geschrieben von Oscar-Preisträger Tom Stoppard ( „Shakespeare in Love“), ist der Streber, ein neunmalkluges Mustersöhnchen, das durch längliche Reden unsere Geduld strapaziert; „Downton Abbey“ von Headautor Julian Fellowes der Bonvivant, ein gern gesehener Gast an jeder Tafel, dessen größte Furcht es ist, sich einmal nicht zu amüsieren. „Parade’s End“ will Kunst sein, „Downton Abbey“ gute Unterhaltung – mehr nicht (was aber im direkten Vergleich schon ziemlich viel ist). In „Parade’s End“ treffen Thesen aufeinander, in „Downton Abbey“ Menschen aus Fleisch und Blut, mit denen man hoffen, bangen, heulen und lachen kann. Ja, „Downton Abbey“ ist eine Seifenoper mit schönen Kostümen – so what?! Gediegene Langeweile kann ja wohl nicht ernsthaft die Alternative sein.

Tietjens Vater erschießt sich übrigens in Folge 3 aus Kummer über seinen weichen Sohn, dessen enervierende Passivität wilden Gerüchten Tür und Tor öffnet. Der Zuschauer hat zum Glück die Fernbedienung, um sein Leiden zu beenden.