: „Ich will Vegetarier ernst nehmen“
GEMÜSE Michael Hoffmann könnte wie alle Spitzenköche Fleisch und Fisch anbieten. Aber so was gibt es bei ihm nur als Beilage. Spannender findet er seine Gemüseküche
■ Herkunft: Michael Hoffmann wurde 1967 in Dillenburg geboren. Zunächst hat er in einem Gasthof in Nordhessen den Kochberuf erlernt, später ist er in München durch die Schule von Eckart Witzigmann gegangen.
■ Küche: Seit zehn Jahren ist er Chefkoch im Berliner Restaurant „Margaux“, das er vom Luxustempel in eine Küche der Zukunft verwandelt hat. Das Gemüse baut er selbst an. Er hat das Buch „Kräuter“ veröffentlicht, im Dezember erscheint sein Kochbuch „Gemüse“. Foto: Wolfgang Borrs
INTERVIEW TILL EHRLICH
taz: Herr Hoffmann, anders als viele Spitzenköche kochen Sie überwiegend mit Gemüse und bieten fleischlose Menüs an. Geht es Ihnen dabei um Gesundheit?
Michael Hoffmann: Nö, ich rauche zu viel, trinke jeden Abend Riesling und schlafe zu wenig, bin aber gesund. Aber ich versuche, ein gewisses Bewusstsein für mich an den Tag zu legen. Ich esse gern Fleisch, jedoch nicht jeden Tag. Das tut mir gut. Das ist der Anreiz, alles andere ist für mich ausgereizt. Gemüse ist ein neues Kapitel.
Was ist daran denn neu?
Keiner von den guten Köchen hat Lust, das zu machen. Mir macht es Freude. Es ist interessant herauszufinden, wie sich eine Sellerieknolle verhält, wenn ich die mariniere, vakuumiere und bei Niedrigtemperatur gare. Welche Temperatur muss ich da anwenden? Und wie verhält sich der Geschmack zur Konsistenz? Darüber gibt es keine Literatur. Gerade arbeite ich an einem rein vegetarischen Gemüsekochbuch, ich will fünfzig neue Gemüsegerichte entwickeln.
Wie kommen Sie da auf Ideen?
Wenn ich in meinem Garten in Brandenburg stöbere, kommt die Inspiration.
Wie wird ein Koch zum Gärtner?
Diesen Garten gibt es seit zehn Jahren, den hat jemand aus dem Nichts aufgebaut und dort sehr individuelle Sachen gemacht. Er hat aufgehört und niemand wollte übernehmen. Da habe ich gesagt, ich mache es.
Was bauen Sie da an?
Wir haben fünfzig Gemüsesorten, darunter viele alte Sorten und Wintergemüse. Sachen, die man konventionell nicht kaufen kann. Das macht mir große Freude und natürlich der Lernprozess, das Sehen, Pflegen und Ernten. Es tut auch meiner Seele gut, da draußen zu sein.
Warum machen Sie das?
Der Garten ist auch eine Kindheitserinnerung, weil die Initialzündung, warum ich Koch geworden bin, meine Großmutter war, eine gute Köchin, ganz im Kleinen. Sie hatte einen Minigarten, da wurde Salat frisch abgeschnitten, und es wurde viel eingeweckt. Im letzten Jahr haben wir schon knapp 5.000 Gläser Gemüse für den Eigenbedarf eingemacht. Wir wollen ehrlich vegetarisch kochen.
Was verstehen Sie unter „ehrlich vegetarisch“?
Konsequent sein. Wir kochen täglich eine Riesenpalette an vegetarischen Fonds. Angefangen hat es mit einer Gemüsebrühe, schließlich haben wir vegetarische Gerichte entwickelt. Die wollten wir nicht alle mit demselben Fond kochen. Wir begannen Gemüsesäfte herzustellen nach verschiedenen Methoden, mit enormem Aufwand. Haben Zwiebeln, Rotkohl oder Meerrettich entsaftet und Unmengen von Kräutern.
Kann man nur mit Gemüse komplexe Geschmacksbilder erzeugen?
Ist schwierig, aber es geht. Irgendwann brauchten wir eine würzige, kräftige Jus. Statt wie üblich dafür Knochen zu nehmen, haben wir Artischocken mit Zwiebeln angeröstet. Daraus wurde der Artischockenfond. Dann haben wir einen Tee entwickelt mit orientalischen Gewürzen, Minze und Verveine. Darin werden bestimmte Gemüse gegart. So haben wir eine breite Palette an Vegetarischem entwickelt, das vegan ist und schmeckt.
Die Spitzengastronomie basiert immer noch weitgehend auf Fleisch, Fisch und Geflügel. Wie kommt ein Fleischkoch dazu, sich mit vegetarischer Küche zu beschäftigen?
Ich will Vegetarier ernst nehmen. Sie haben es schwer, weil es leider wenige gute Köche gibt, die Lust haben, sich damit auseinanderzusetzen. Nicht, dass sie es nicht könnten, sie haben keinen Bock darauf, weil es mühsam ist. Deshalb werden vegetarische Gäste oft abserviert.
Wie sind Sie in das Thema eingestiegen?
Mir hat geholfen, dass ich ein Buch über PKU-erkrankte Kinder mitgeschrieben habe. Das sind Kinder, die kein Eiweiß abbauen können. Dafür habe ich eiweißarme Rezepte entwickelt, auch Brot- und Nudelteige. Ich habe das dann weiter vertieft. Nun kann immer jemand kommen, etwa mit Glutenallergie, dem kann ich was Tolles kochen, das ist kein Problem. Wir haben jetzt auch einige Vegetarier als Stammgäste. Ich versuche aber das klischeebehaftete Wort „vegetarisch“ zu vermeiden, ich spreche lieber von „Gemüseküche“.
Welches Verhältnis haben Sie zum Geschmack?
Geschmack ist für mich Ehrlichkeit, auch Nähe zu mir selbst. Ob ich essen gehe oder selbst koche, ich suche die Ehrlichkeit des jeweils eigenen Geschmacks, das vermisst man oftmals.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Warum muss man das so oft missen?
Weil es nicht als Wert vermittelt wird. Es wächst in Deutschland eine Generation heran, die kaum Produktverständnis und -kenntnis hat. Man sieht das auch am Berufsbild Koch. Die Lücken werden immer größer, weil zum Teil schlecht ausgebildet wird. Berlin ist das größte Ausbildungszentrum für Köche in Europa. Aktuell sind etwa dreitausendzweihundert Köche in Ausbildung – Durchschnittsnote vier. Ich bin da auch im Prüfungsausschuss. Es ist immer eine Katastrophe, die Prüfungen abzunehmen, aber die Prüfer sind zum Teil auch katastrophal, alt, vergraut, nicht weiter gebildet. Das Lehrmaterial kann man auch vergessen, das Einzige, was sich ändert, sind alle zwei Jahre die Hygienevorschriften.
Warum ist das so?
Auszubildende werden von vielen Gastronomen als billige Arbeitskräfte angesehen. Das ist ein Unding, ich kann an einer Hand abzählen, wie viele Spitzenköche ausbilden. Ich bilde selbst aus, und die kriegen von mir Topleute geliefert. Warum bilden die nicht aus?
Die wollen sich damit nicht belasten.
Absolut. Die Auszubildenden bekommen beim Vorstellungsgespräch alle Flausen aus dem Kopf. Ich sage denen, dass es ein beinharter Job ist, weil man konsequent sein muss, wenn man es ernsthaft machen will. Man muss nicht einmal einen schönen Teller herstellen, sondern immer. Dazu braucht es schon in jungen Jahren Ehrlichkeit, Selbstdisziplin, Selbstkritik und Respekt vor dem Produkt. Viele bekommen das aber nicht beigebracht. Das sind blutjunge Menschen, die fangen irgendwo an zu lernen und werden erst mal nur geknechtet. In den Küchen ist es laut, ständig werden versaute Witze erzählt.
Wie geht es in Ihrer Küche zu?
Es ist ruhig, kein Radio, niemand spricht. Es wird konzentriert gekocht.
Was bedeutet es für Sie, ein guter Koch zu sein?
Das ist eine innere Haltung, entweder mache ich den Beruf konsequent oder nicht. Wenn ich es gesundheitlich nicht mehr so machen könnte wie jetzt, wenn ich beispielsweise einen Bandscheibenvorfall hätte, müsste ich mich öfters setzen und die Küche anders einrichten. Aber ich würde noch genauso kochen, ohne Abstriche – oder ich höre auf.