RUDOLF BALMER ÜBER HOLLANDES BEMÜHUNGEN UM TRANSPARENZ : Keine Frage der Moral
Dass man Französinnen und Franzosen nach dem Skandal um Schwarzkonten mit Moral kommt, ist haarsträubend. Die DurchschnittsbürgerInnen sind längst nicht so überrascht und perplex, wie sich die Regierungspolitiker und Opposition gebärden. Dass herausgekommen ist, dass Ex-Haushaltsminister Jérôme Cahuzac ein Steuerbetrüger mit Einlagen im Ausland ist, hat das Volk weniger erstaunt als dessen Ex-Regierungskollegen. Aus den Konversationen im Café ist zu schließen, dass die Franzosen ein viel nüchterneres Bild ihrer politischen und wirtschaftlichen Elite haben. „Tous pourris!“ („Allesamt korrupt!“), so resümiert der Volksmund in Frankreich schon lange.
Zu oft schon hat man nach Finanzaffären um Korruption und illegaler Parteifinanzierung gesagt, das seien individuelle Ausrutscher und tragische Ausnahmen. Aber man hat diese Präzedenzfälle ebenso wenig vergessen wie die Versprechen der Regierenden, umfassend Abhilfe zu schaffen. Vor Hollande, der von seinen Ministern jetzt ein „moralisch exemplarisches Verhalten“ verlangt, hatte Sarkozy bereits von einer „Moralisierung des Finanzkapitalismus“ gesprochen.
Ein wenig mehr Transparenz wäre ja auch schön. Wer hingegen verspricht, das System „moralisieren“ zu wollen, schafft bloß neue Illusionen, die darauf warten, vom nächsten „Cahuzac“ mit Klamauk zerstört zu werden. Denn seit wann hat dieses kapitalistische System – das in Frankreich auch von seinen Anhängern ohne ideologische Scheu beim Namen genannt wird – etwas mit Moral zu tun?
Die Marktgesetze basieren darauf, durch Konkurrenz die bestehende Ungleichheit noch zu vergrößern, die Reichen noch reicher werden zu lassen. Das ist ein Frage der Effizienz, nicht der Moral. Sozialreformer wie Hollande möchten das mit einer gerechteren Steuerpolitik korrigieren. So verleiht man der brutalen Wirklichkeit einen scheinheiligen Anstrich.
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