: Spitzfindiges aus Kiel
SCHLESWIG-HOLSTEIN Landesregierung kritisiert per Pressemitteilung die Polizeiberichterstattung
„Polizei am Limit“, titelten die Lübecker Nachrichten (LN) vor einigen Tagen. Die Regionalzeitung beschreibt, dass in der schleswig-holsteinischen Großstadt Beamte fehlen, und zitiert unter anderem die Gewerkschaft der Polizei und den örtlichen Polizeidirektor. Die Reaktion folgte aus dem Kieler Innenministerium: per Pressemitteilung, die zahlreiche Journalisten, aber auch die Landtagsfraktionen, andere Ministerien und weitere Adressaten erreicht.
Das Schreiben, für das Ministeriumssprecher Thomas Giebeler verantwortlich zeichnet, wirft der Zeitung „falsche Zitate und unterdrückte Stellungnahmen“ vor. „Da die LN der Bitte der Polizeidirektion Lübeck um Korrektur nicht nachgekommen sind, übernimmt das Innenministerium die journalistische Sorgfaltspflicht einer wahrhaftigen Berichterstattung“, so der Text weiter.
Details und Gekürztes
Er kritisiert allerdings nicht die Grundaussagen des Artikels, sondern nur Details. Unter anderem wird dem Journalisten vorgeworfen, er habe eine Aussage des Polizeichefs „nicht erwähnt“, sondern zum gleichen Thema – es geht darum, ob und wie schnell ein Streifenwagen bei einer Ruhestörung anrückt – den Gewerkschafter zitiert.
„Aber Aussagen auszuwählen ist das gute Recht eines Journalisten, es ist sogar seine Pflicht“, sagt Michael Frömter, Landesvorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV).
Außerdem bemängelt das Innenministerium ein Zitat, in dem der Polizeichef von 200.000 Einsätzen pro Jahr sprach. Dies sei falsch, der Polizist habe von „einer Einsatzzahl zwischen 150.000 und 200.000“ gesprochen, heißt es in der Mitteilung. Dazu sagt Frömter: „Natürlich wird von Journalisten erwartet, dass sie präzise und sauber zitieren.“ LN-Chefredakteur Manfred von Thien dagegen schüttelt bei solchen Spitzfindigkeiten nur den Kopf: „Der Redakteur, der in der Pressemitteilung auch noch namentlich genannt wird, hat nicht den Sinn verändert, also aus Rot Schwarz gemacht, sondern nur Rot zu Dunkelrot verstärkt. Meiner Meinung nach ist das vollkommen legitim.“ Hätte das Ministerium den presserechtlich üblichen Weg beschritten, also eine Gegendarstellung gefordert, „bin ich überzeugt, dass das nicht durchgekommen wäre“, so von Thien.
Offiziell gab es vonseiten des Ministeriums keine Reaktion, die Pressemitteilung steht nach wie vor im Internet. Mehr noch: Polizeipressestellen haben offenbar die Anweisung erhalten, Anfragen des für den Artikel verantwortlichen Redakteurs nur schriftlich zu beantworten – eine Behinderung seiner Arbeit.
Das Innenministerium bleibt auf Anfrage dabei, richtig reagiert zu haben: Der Ärger über den Text sei die „Spitze eines Eisberges“, das Ende einer Reihe weiterer Fälle, in denen es Unstimmigkeiten mit den LN gab. Im konkreten Fall ergäben die bemängelten Stellen ein Bild, „das am Ende nicht mehr nur ungenau, sondern falsch ist“, so ein Sprecher. Natürlich könne nicht jedes Zitat wiedergegeben werden, aber der Sachverhalt müsse für den Leser klar werden.
„Aus unserer Sicht war die Pressemitteilung richtig und logisch.“ Warum nicht zuerst eine Gegendarstellung versucht wurde, „kann ich nicht sagen“, so der Sprecher.
Für die Lübecker Nachrichten ist der Fall nicht beendet. Es sollen Gespräche geführt werden, auch die Landespressekonferenz, die Vertretung der landespolitischen Journalisten, ist eingeschaltet. Grundsätzlich hat Chefredakteur von Thien kein Problem mit Streit: „Wir sind eben kein Sprachrohr der Regierung.“ Die LN, eine der drei großen Zeitungen in Schleswig-Holstein, gehört seit 2009 überwiegend der Verlagsgruppe Madsack. Vorher hielt die Axel Springer AG einen Mehrheitsanteil. ESTHER GEISSLINGER