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Archiv-Artikel

Ein spielendes Kätzchen macht Karriere

KOMÖDIE Erstaunlich, wie der Filmstudent Ramon Zürcher mit einer Seminararbeit die Kinowelt begeistert

VON EKKEHARD KNÖRER

Plötzlich sprachen alle vom Kätzchen. Es war im Forum der Berlinale aufgetaucht, den Namen des Regisseurs kannte kaum einer, aber über Nacht war Ramon Zürchers kleiner Film „Das merkwürdige Kätzchen“ der große Geheimtipp des Festivals. Und nicht nur bei den deutschen Besuchern, Kritiker aus der ganzen Welt waren erst auf Twitter und dann in ihren Festivalberichten begeistert. Eine erstaunliche Sache, denn Zürcher studiert noch, ein Schweizer an der Berliner Filmhochschule DFFB.

Meistens erlebt man ihn gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Silvan, der auch an der DFFB studiert, allerdings Produktion. Sie arbeiten stets zusammen, Schweizer Zwillinge, die mit einem Studentenfilm reüssieren, erst in Berlin, dann in Cannes und im Rest der Welt. Inzwischen sind sie fast ein Jahr lang von einem Festival zum anderen unterwegs und räumen einen Preis nach dem anderen ab. Kätzchen kommt rum, Kätzchen macht Karriere, als „The Strange Little Cat“, „L’étrange petit chat“ und so weiter.

Es ist nicht einmal der Abschlussfilm, sondern Produkt eines Seminars, das der ungarische Regisseur Béla Tarr an der DFFB gab. Tarr, ein eigensinniger Mensch und faszinierender Regisseur („Sátántángo“, „Das Turiner Pferd“), hatte sich vor ein paar Jahren sogar als Direktor der Berliner Hochschule beworben; das wurde aber nichts, der Senat hat lieber den ziemlich langweiligen Filmförderkünstler Jan Schütte installiert. Tarr macht inzwischen sein eigenes Ding, seine eigene Hochschule, die film.factory in Sarajewo. Das ist dann aber doch eine andere, wenngleich eine für die deutsche Filmkultur sehr typische Geschichte. In Tarrs Seminar an der DFFB jedenfalls ging es um die Inspiration durch Kafka-Erzählungen. Mindestens ein weiterer sehr schöner Film ist dabei entstanden, der mittellange „Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande“ von Youdid Kahveci.

Spiel auf engem Raum

Ramon Zürchers „Kätzchen“ bezieht sich auf Kafkas „Verwandlung“. Nun gibt es bei Kafka kein Kätzchen und bei Zürcher keinen in einen Käfer verwandelten Gregor Samsa. Es handelt sich auch nicht im Ernst um eine Verfilmung der Erzählung. Eher waren es die Raumentwürfe der Geschichte, für die sich Zürcher interessierte. „Das merkwürdige Kätzchen“ spielt wie die Kafka-Erzählung auf sehr engem Raum. Eine Berliner Altbauwohnung; zentraler Schauplatz ist die Küche, aber das Badezimmer, ein kleines Schlafzimmer und beim Abendessen das Wohnzimmer spielen ebenfalls mit. Ein Kammerspiel, auch wenn es ein paar Mal nach draußen geht, auch wenn einmal ein Ball durchs Fenster in die Wohnung fliegt.

In dieser Wohnung: eine Familie, Vater, Mutter, drei Kinder. Aber auch die Großmutter, ein Schwager, eine Tante und deren Tochter, ein Hund – und das Kätzchen. Man kriegt die Beteiligten nicht so einfach sortiert, es passiert zwischen ihnen auch wenig Spektakuläres. Im Wesentlichen: Abendessenvorbereitungen in der Stadt. Ein Falter flattert herum, die jüngere Tochter schreit und schneidet sich in den Finger, eine Waschmaschine wird repariert, der Hund beobachtet das schlafende Kätzchen, ein Korken fliegt aus einer Flasche und macht die Birne in der Lampe kaputt, die Mutter (Jennifer Schily) steht herum und macht hin und wieder ziemlich giftige Bemerkungen, erzählt aber auch von einem Kinobesuch, die größere Tochter schält eine Orange und erzählt dabei, wie sie einmal eine Orange geschält hat und dass dabei die Stücke der Schale immer auf die Außenseite gefallen sind.

Für die Kino- und die Orangenerzählung verlässt der Film die Gegenwart und die Wohnung als Schauplatz. Er blendet zurück, geht mit der Erinnerung der Figuren nach draußen, ins Kino, ins Freie. Nötig wäre das aus inhaltlichen Gründen nicht, es gibt dabei nichts Besonderes zu sehen. Wichtig daran ist vielmehr die Entscheidung selbst, der Sprung, der gezielte Ausbruch aus dem einen in einen anderen filmischen Raum.

Überhaupt muss man jetzt mal mit der Wahrheit herausrücken: Für Inhaltisten und Freunde simpler Spannungsbögen oder schlichten Humors ist dieser Film eher nichts. Die Spannung, die es gibt, und der Humor, der nicht fehlt, ergeben sich viel eher aus der höchst eigenwilligen Form, die Zürcher für seine Erzählung gewählt hat. Wer nicht auf Form achten will, sieht in diesem Film vermutlich nicht mehr als ein verschrobenes Familienbeziehungsgefüge mit sehr geschriebenen Dialogen und mitunter etwas rätselhaft agierenden Charakteren.

Aus einer Grundentscheidung ergibt sich hier vieles: Ramon Zürcher und sein Kameramann Alexander Haßkerl bewegen die Kamera nicht. Jede der durchaus zahlreichen Einstellungen ist starr, wenngleich selten sehr lang. Man hat immer wieder Bilder, die an die der „Berliner Schule“ erinnern: Figur im Gegenlicht, gemäldehaft schön. Aber diese Bilder stehen nicht lang. Und etwas bringt spätestens mit dem nächsten Schnitt schnell Unruhe rein, der Ton aus dem Off, ein Geräusch, eine das Bild kreuzende andere Figur, etwas, das man nur halb hört oder halb sieht. Ständig tut sich was, und sehr oft ist das, was sich tut, nicht oder nicht ganz im Bild. Was fehlt, ist Überblick. Es ist nicht nur so, dass man nichts als Ausschnitte sieht (das ist im Kino schließlich nie anders), sondern diese Ausschnitte machen ohne Unterlass darauf aufmerksam, dass sie Ausschnitte sind. Sie lassen den Betrachter spüren, dass gleich nebenan, im Raum, den man nicht sieht, etwas passiert, und sei es nur, dass Clara schreit.

Oft geht das nächste Bild dann dahin, wo etwas passiert. Die Kamera, so starr sie auch ist, zwingt einen nicht in die Unwissenheit. Die Bewegung der Montage holt die Information aus dem Off meist ein. Es ergibt sich dadurch aber ein sehr eigener, verzögerter, synkopierter Rhythmus. Ein Bild setzt sich zusammen, ohne dass sich die einzelnen Teile puzzlegleich fügen. Stattdessen: Überlappungen, Auslassungen, Dopplungen, so etwas wie eine kubistische Raumimpression. Dazwischen, als Atempausen mit Musik, Rekapitulationen, in denen die Kamera in schneller Montage die Objekte, die eine Rolle gespielt haben, noch einmal jedes für sich ins Bild rückt und so das Ganze wie in einer Wiederholungsübung memoriert: Hund, Katze, Falter.

Familie mit Pointen

Es ist, als hätte Zürcher die Grundelemente des Films – die Einstellung, die Bewegung der Figuren darin, den Rahmen, den die Kamera setzt, die Montage, den Sound – noch einmal grundsätzlich durchdacht und anders zusammengesetzt, als es die Filmsprache fast immer tut. Eigentlich ein typischer Experimentalfilm-Move. Wobei Ramon Zürcher das spielerisch tut, wie eine Katze, die – wenngleich sehr systematisch – ein Wollknäuel erst abrollt und dann auf merkwürdige Weise wieder aufrollt. Was dabei herauskommt, ist erstaunlich: ein Experimentalfilm, der als Spielfilm funktioniert.

Es ergibt sich ein Familienporträt mit Pointen. Komischen Effekt macht der Widerstand des Objekts: die spritzende Wurst, die im Wasserbad kreisende Flasche, der in die Lampe springende Korken. Aber Widerstand des Objekts ist auch der Grundzug der Form: Das Geschehen entzieht sich störrisch dem Kamerablick. Weil „Das merkwürdige Kätzchen“ aber eine Komödie und keine Tragödie der Form ist, kriegen sie sich dann doch: Handlung und Bild, Inhalt und Form.

Wie schön, dass auch die Rezeption da nun mitmacht. Nach den ausgedehnten Festivalreisen und ungezählten Festivalpreisen kehrt das Kätzchen wieder nach Deutschland zurück. Ein Studentenfilm kommt ins Kino und zeigt dem oft so starren und dummen Fördersystem, wie man es auch machen kann. Zwei Zürchers und ein merkwürdige Kätzchen haben wir nun. Wir brauchen mehr davon.