: Neue Ideen für die südliche Friedrichstadt
NEUES QUARTIER Rund um den ehemaligen Blumengroßmarkt an der Kreuzberger Besselstraße soll ein neues Stadtviertel wachsen. Weil das Konzept mehr zählt als der Kaufpreis, könnten beim Verkauf der Grundstücke auch ungewöhnliche Bieter zum Zuge kommen
■ Das Kunst- und Kreativquartier Südliche Friedrichstadt soll rund um den ehemaligen Blumengroßmarkt entstehen, in dem derzeit die jüdische Akademie entsteht.
■ Ursprünglich wollte die Berliner Großmarkt GmbH als Eigentümerin drei Grundstücke an den Höchstbietenden vergeben. Dieses Verfahren wurde aber durch ein sogenanntes Konzept- und Dialogverfahren ersetzt.
■ Noch bis Samstag ist im Jüdischen Museum die Ausstellung mit den fünf Entwürfen für das Quartier zu sehen. Der Eintritt ist frei.
■ Am Samstag findet von 10 bis 19 Uhr eine öffentliche Dialogwerkstatt zu den Entwürfen statt.
■ Die Entscheidung über die Vergabe treffen Großmarkt GmbH und Bezirk am 6. Dezember. (taz)
VON UWE RADA
Bildungsprojekte gegen einen Großinvestor? Aufregende Architekturentwürfe oder ein multikulturelles Metropolenhaus? Baugruppen und eine Genossenschaft versus den russischen Erfolgsarchitekten Sergej Tchoban? Seit einer Woche wird um die städtebauliche und gestalterische Zukunft der südlichen Friedrichstadt in Kreuzberg gerungen. Im Mittelpunkt stehen fünf Baufelder rund um den ehemaligen Blumengroßmarkt, in dem derzeit die jüdische Akademie entsteht (s. Grafik). Eine Entscheidung soll am 6. Dezember fallen.
„An diesem Ort wird sich zeigen, wie eine neue Liegenschaftspolitik in Berlin aussehen kann“, sagt Florian Schmidt. Er hat die vorliegenden Entwürfe zu einer Ausstellung zusammengetragen, die noch bis Samstag im Jüdischen Museum zu sehen ist. Schmidt ist Projektleiter des Kunst- und Kreativquartiers Südliche Friedrichstadt und hat mit dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg lange dafür gekämpft, dass die Grundstücke nicht an den meistbietenden Investor vergeben werden, sondern im Rahmen eines sogenannten Konzeptverfahrens. „Das Konzept ist bei der Vergabe nun zu 60 Prozent entscheidend“, freut sich Schmidt, „der Kaufpreis zählt nur noch zu 40 Prozent.“
Das „Metropolenhaus“ ist einer von fünf Bewerbern, die es aus dem ursprünglich 23 Teilnehmern zählenden Bieterfeld in die Endauswahl geschafft haben. Im Erdgeschossbereich soll sich das multikulturelle Kreuzberg in Gestalt von Restaurants, Läden und Projekten widerspiegeln, während in den Stockwerken darüber Wohnungen entstehen sollen. Ein Schirmherr des Entwurfs ist Michael Wolffsohn, Historiker und Eigentümer der Gartenstadt Atlantic in Gesundbrunnen. Mit dem Metropolenhaus konkurriert für das Baufeld V ein Investor, der bereits einen Architekturwettbewerb durchgeführt hat. Die Botschaft des Projekts „Grenzenlos“ lautet: In der südlichen Friedrichstadt muss Raum für experimentelle Architektur sein.
Auch die Baugruppen- und Genossenschaftsszene ist mit einer Bewerbung vertreten: Auf dem Baufeld IV sollen Wohnungen verschiedener Preiskategorien entstehen. Möglich macht das ein ausgeklügeltes System der Quersubventionierung, heißt es auf dem Poster des „integrativen Bauprojekts“, das mit dem Entwurf von Sergej Tchoban konkurriert. Mit von der Partie ist unter anderem die Genossenschaft Selbstbau, die in der Rykestraße zwei Häuser hat. Auch die Baugruppe in der Ritterstraße 50 und das Architektenbüro Jesko Fezer/ifau gehören zum „integrativen Bauprojekt“.
Aus dem Kiez an der unteren Friedrichstraße selbst kommt das Konzept „Frizz 23“. In diesem Netzwerk haben sich neben anderen das Forum Berufsbildung und das Bildungswerk der Heinrich Böll Stiftung zusammengeschlossen. Der Leitspruch: „Erst der Dialog, dann das Design“. So wollen alle beteiligten Nutzer herausfinden, wie viel Platz sie brauchen und wer wie viel bezahlt. Geplant sind auf Baufeld II auch „Minilofts“, die Berlinbesuchern temporär zur Verfügung stehen. Auch dieses Projekt konkurriert mit dem Investorenprojekt „Grenzenlos“, das sich für zwei Baufelder bewirbt.
„Mit dem Dialogverfahren sollen Anwohner, Bewerber und Entscheidungsträger ins Gespräch kommen“, sagt Koordinator Florian Schmidt. Zum Symbol für einen neuen Umgang mit den landeseigenen Liegenschaften wurde der ehemalige Blumengroßmarkt aber schon vor der Entscheidung zwischen den nun vorliegenden Entwürfen. Obwohl die Großmarkt GmbH 2010 als Eigentümer einem Konzeptverfahren zugestimmt hatte, begann der Liegenschaftsfonds im vergangenen Jahr eigenmächtig mit der Vermarktung unter dem trendigen Namen „Checkpoint Art“. Als Protest dagegen gründete sich damals das Bündnis „Stadt Neudenken“, das inzwischen zum wichtigen Akteur in der Berliner Stadtentwicklungspolitik geworden ist. Zudem hatte der Bezirk das Leitbild „Kunst- und Kreativquartier“ als Sanierungsziel im „Sanierungsgebiet Südliche Friedrichstadt“ verbindlich gemacht.
FRANZ SCHULZ, BÜRGERMEISTER
Umso erstaunlicher ist es, dass zwei der fünf Baufelder nicht Teil des Dialogverfahrens geworden sind. So will der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die beiden Grundstücke, die nicht zum Portfolio der Großmarkt GmbH gehören, direkt vergeben. Baufeld III soll an die Berliner Ärztekammer gehen. Baufeld I, das Filetgrundstück der südlichen Friedrichstadt, will Franz Schulz, der grüne Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, an das Unternehmen Landau Media vergeben. Aufgrund noch ausstehender Abstimmungen mit der Wirtschaftsverwaltung hat Finanzsenator Ulrich Nußbaum den Deal aber vorerst gestoppt.
Gegenüber der taz begründete Franz Schulz die geplante Direktvergabe mit einem „übergeordneten Interesse“: „Wir wollen die südliche Friedrichstadt als Zeitungs- und Medienstandort erhalten und weiterentwickeln“, sagte der Bezirksbürgermeister. „Wenn sich ein Medienbetrieb vergrößern will, unterstützen wir ihn gerne.“ Wichtig sei es, die Friedrichstraße auch wieder zur Geschäftsstraße zu machen. „Vor dem Fall der Mauer war da vor allem Wohnen das Thema, nun müssen auch wieder Arbeitsplätze und Geschäfte entstehen.“
Schulz hält das Verfahren zur Vergabe der übrigen Grundstücke für einen Erfolg. „Die Mischung aus Konzeptverfahren und Bürgerdialog ist bislang einzigartig und sollte Beispiel machen“, meinte Schulz. „Das geht viel weiter als das, was der Senat zur Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik beschlossen hat.“