: ZWISCHEN DEN RILLENChristy&Emily singen Songs über erschöpfte Großstädter
Es war die US-Autorin Joan Didion, die einmal gesagt hat, ein mythischer Ort gehöre denjenigen, die ihn am heftigsten für sich reklamieren und sich seiner am obsessivsten erinnern. Denn in dieser radikalen Zuneigung ringen sie ihm etwas ab, das sein Bild verformt.
Wendet man Didions Diktum auf das Duo Christy&Emily an, dann klingt ihre aus dem mythischen Gebilde Folkrock abgeleitete Musik nach einem unheimlich funkelnden Anderen. Sie bedienen sich klassischer Melodien, dehnen diese aber ins Atmosphärische. Ihre Musik ist ein schönes Beispiel für die Abweichung von der Folk-Norm durch undogmatische Herangehensweisen, wie sie seit Dylans Griff zur E-Gitarre immer wieder stattgefunden haben. Ungewöhnlich: Christy&Emily veröffentlichen beim Label der Krautrockband Faust.
Anders als ihr gemütlicher Hausmusik-Bandname suggeriert, verlassen sich die beiden Mittzwanziger-Musikerinnen nie auf festgelegte Songstrukturen oder traditionalistische Erzählperspektiven. Songanfänge und -Schlüsse mäandern, sie stehen dem Gitternetzaufbau von Ambientmusik näher als den Strophen und Refrains von Blues oder Country. Folk hat unvermeidliche Konnotationen von blühenden Landschaften oder desolaten männlichen Gemütszuständen. Von akustischer Virtuosität und sentimentaler Gefühligkeit. Doch die Glühwürmchen, Felder und Bäume, die Christy&Emily etwa in dem Song „Firefly“ auf ihrem neuen Album „No Rest“ besingen, werden vom anhaltenden Reverb einer E-Gitarre verzerrt. Wenn man in Brooklyn aus dem Fenster blickt, sind die Erscheinungen der Natur von den Gedankenwelten einer Musikerin mindestens genauso weit entfernt wie Bluegrass-Fingerpicking-Techniken von Minimal Music Drones. Und trotzdem stellen Christy&Emily einen Zusammenhang her, verknüpfen bukolische Anmutungen in ihrem Albumtitel mit den Erschöpfungszuständen moderner Großstädter. „I cannot catch you/ I cannot find you/ I am not blind but I cannot see“ heißt es in „Firefly“. Es ist anzunehmen, dass die Umwege, über die die Folk-Einflüsse zu ihnen nach Brooklyn gelangt sind, kraftraubend waren. Die ökonomische Verschlankung zur Zweifrauband tut ein Übriges, um Christy&Emily zu spartanischen Arrangements zu nötigen. So klingen ihre elektrifizierten Folksongs auf der Bühne fast wie auf ihren Platten.
„No Rest“ ist, wie auch die beiden Vorgängeralben, nur mit dem Allernötigsten instrumentiert. Auf dem linken Kanal spielt das Wurlitzer E-Piano der klassisch ausgebildeten Musikerin Emily Manzo. Rechts ist die mit wenigen Riffs gespielte E-Gitarre von Christy Edwards zu hören. Dazu in der Mitte die beiden Frauenstimmen, die aus einfachen Songideen das Maximale herausholen. Sie sind auf „No Rest“ effektvoll als Einzelstimmen inszeniert, die wie zwei einzelne Perlen auf einer Kette aus Klang aufgereiht werden. Das Duo bezieht seine Spannung nie aus schwelgerischer Harmonie oder dem Gleichklang der Gefühle. Im Gegenteil, Christy&Emily versuchen Songwriter-Tugenden zu vermeiden. Die eine singt jeweils zum Song der anderen. Wie in jeder Zweierbeziehung gibt es auch im Verhältnis von Christy und Emily manchmal Misstöne.
„Musik“, sagt Emily Manzo, „ist eine soziale Kunstform. Für alles gibt es einen Platz. Ich bringe Persönliches in den Songs unter, und trotzdem wirkt meine Musik abstrakt, weil es zwischen der Motivation zu komponieren und dem, wie die Kompositionen bei den Hörern ankommen, einen Unterschied gibt.“ Christy&Emily denken an die Vergangenheit und landen in der Zukunft, sie verformen Folk, wie es Tim Buckley mit seinem Album „Lorca“ getan hat. JULIAN WEBER
■ Christy&Emily „No Rest“ (Klangbad/Broken Silence)