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Archiv-Artikel

EL ARENAL IST TOT, ABER DAS HOTEL VOLL. UND WENN GLITZER-PEDRO SPIELT, DANN GEHT DIE LUZIE ERST RECHT AB. STÖSSCHEN! Die Ballermann-Rentner

MARTIN REICHERT

Antizyklisches Reisen wird überschätzt. Zwar stimmt es natürlich, dass die touristisch stark frequentierte Balearen-Insel Mallorca im Februar nicht gerade Hauptsaison hat, doch von Dornröschenschlaf könnte nur sprechen, wer Deutschlands krakelige Kinder des Wirtschaftswunders nicht auf dem Schirm hat: die rüstigen Rentner.

Ja, im Februar blüht die Mandel auf der Insel und auch der Rosmarin. Menschen spielen zum Selbstzweck Gitarre vor malerisch gelegenen Kirchen, während in der berüchtigten Schinkenstraße von El Arenal – Ballermann! – alle Läden geschlossen haben. Keine Bratwurst beim „Wurstmeister“, kein Strammer Max bei „Elfi’s Bierschwemme“ und im MEGA-PARK wird gebaut statt gesoffen. Doch das Hotel ist voll.

Eben noch lag man windelweich im Viersternebett, doch kaum taumelt man aus der Zimmertür, bekommt man von zäh aussehenden Ü60-Landsleuten in Trekking-Kleidung ein zackiges „Guten Morgen“ an den Kopf geworfen. Entweder sie kamen gerade von einer Inselumradlung oder vom Fünfkilometerschwimmen im eiskalten Meer.

Der Frühstücksraum sieht aus wie ein Seniorenheim – auch die Kellner haben noch mit Franco im Sandkasten gespielt –, doch von Totenruhe keine Spur. Im Gegenteil wird hier reingehauen, was das Zeug hält. Spiegeleier, Rühreier, Berge von Backwaren – es ist ja alles bezahlt und man braucht ENERGIE für den Tag. Die Kegel-Clique am Nachbartisch hat sich vorsorglich gleich den ganzen Kübel mit Frühstücks-Prosecco auf den Tisch gepackt, „Stößchen!“.

Macht man einen Ausflug ins bergige Hinterland, bei dem man mühsam steinerne Pfade erklimmt, sind die Rentner garantiert schon da und trinken Rosé, „Grüß Gott“.

Am späteren Nachmittag besetzten sie entweder den Hotel-Pool zwecks Leistungsschwimmen oder ziehen auf der Terrasse eine Schachtel Marlboro zum Sangria durch.

Denn gleich ist ja schon wieder Abendessen, und da muss man sich sowieso wieder zwei Flaschen Rotwein reinpfeifen, um die ganzen frisch gegrillten Fleischberge und fettigen Mayo-Salate runterzuspülen. Dazu Törtchen, Torten und Käsebatzen. Das gibt dann Kraft, und die brauchen die Rentner.

Der Abend ist ja noch nicht vorbei. Punkt 19 Uhr startet der Alleinunterhalter sein Programm, Pedro in der Glitzerweste an seiner Elektro-Orgel. Und jetzt geht die Luzie erst recht ab. Eimergroße „Carlos“-Weinbrand-Gläser werden gestemmt, voluminöse Biere und Cocktails, während grell geschminkte Großmütter eine sogenannte FLOTTE SOHLE auf das Parkett legen: Rock ’n’ Roll. Und zwar: Around the Clock.

DIE FÜNFTAGEVORSCHAU| KOLUMNE@TAZ.DE

Donnerstag Ambros Waibel Blicke

Freitag Michael Brake Nullen und Einsen

Montag Anja Maier Zumutung Dienstag Jacinta Nandi Die gute Ausländerin

Mittwoch Konservativ Matthias Lohre

Später dann, wenn Glitzer-Pedro längst nass geschwitzt auf der Notfallliege röchelt, zwitschern die Renter Schnäpschen und Likörchen auf den Balkonen, wozu sie Schlager singen und Slim-Line-Zigaretten rauchen, deren Kippen sie dann dreist in den Außenpool …

Wenn ich noch einmal an den Ballermann reisen sollte, dann nur zur Hauptsaison. Im Urlaub will man ja in meinem Alter auch mal seine Ruhe haben.