: Fahler Gram, kühle Wut
ARBEITERIN Wie wurde die Frau in der repräsentativen Kunst der DDR inszeniert? Die Kunststiftung Poll zeigt sozialistische Role-Models
VON SOPHIE JUNG
Ihr Gesichtsausdruck ist fahl, ihre Haare sind fahl, alles so fahl wie die Wand im Hintergrund. Mit verschränkten Armen sitzt sie an einem ebenso fahl aussehenden Tisch, eine Zigarette scheint gerade erst neben ihr ausgedrückt. Mit geschlossenen Lippen richtet sie den geraden, emotionslosen Blick zum Betrachter. Ramona Gailus heißt die Person, die Jost Alexander Braun 1985 porträtierte. Dieses Gemälde einer ernst, ja frustriert ausschauenden Textilarbeiterin im Stil des Kritischen Verismus ist ein „offizielles“ Kunstwerk der DDR, in Auftrag gegeben und angekauft vom Staatsapparat, installiert im Berliner Zentralrat der FDJ.
Es ist heute aus dem allgemeinen Bewusstsein gerückt, dass die Kunst, die in öffentlichen Gebäuden der Parteien und Massenorganisationen in der DDR dieses Land repräsentierte, auch von den Brüchen und Identitätskonflikten in der Gesellschaft erzählt. Das Kunstarchiv Beeskow sammelt seit Beginn der 90er-Jahre diese Kunstwerke aus öffentlichen Einrichtungen des sozialistischen Deutschlands. Das Archiv hat nun, gemeinsam mit der Kunststiftung Poll, eine Ausstellung organisiert, in der staatlich geförderte Kunst aus der DDR gezeigt wird. „Role Models“ heißt die Schau, für die Kuratorin Claudia Jansen eine Reihe von Gemälden im realistischen Stil aus Beeskow in die Berliner Räumlichkeiten der Stiftung Poll holte. Bei ihrer Auswahl ließ sie sich von einer Frage leiten: Wie wurde die Frau in der repräsentativen Kunst der DDR inszeniert?
In einem politischen System, dessen ideologischer Urvater Friedrich Engels die „Wiedereinführung des ganzen weiblichen Geschlechtes in die öffentliche Industrie“ forderte, steht die werktätige Frau im Zentrum des geförderten Kunstschaffens. Ihr ist ein großer Abschnitt der Ausstellung gewidmet und an ihr zeigt sich am stärksten das Wechselspiel zwischen einem idealisierten Bildnis und einer kritischen Auffassung ihrer gesellschaftlichen Rolle. Walter Womacka stellt in seinem Gemälde „Arbeitspause“ von 1956 vier junge, fleißige Frauen in reinen Farben und vereinfachten Formen in die Idylle einer proletarischen Gesellschaft. Karl-Heinz Kummers „Bandwärterin“ und Horst Bahrs „Kraftwerkerin“ stellen in vermännlichter Pose und mit kantigen Gesichtszügen die selbstbewusste Werksarbeiterin in kühler Schönheit in Szene. Brüchig und zwischen ihren sozialen Rollen gespalten scheint hingegen Lea Grundigs „Baumwollspinnerin“ von 1957 zu sein. Mit einem überproportioniert muskulösen Unterarm bedient sie eine große Maschine, aus der an der Stelle ihrer Brustwarze ein Baumwollfaden sprießt. Claudia Borchert findet in der Abstraktion einen kritischen Unterton: ihre „Arbeiterin“ von 1983 findet nur noch als entfeminisierte Anonyme ihr Porträt.
In der DDR wurde zwar die geschlechtliche Gleichberechtigung propagiert, in den künstlerischen Berufen waren Frauen aber unterrepräsentiert, nur 22 Prozent zählte 1983 ihr Anteil unter den hauptberuflichen Künstlern. Wie fällt bei solch einer Geschlechterverteilung der künstlerische Blick auf den weiblichen Körper aus? Unter dem Thema „Weiblichkeit“ sind Exponate versammelt, die eine Reflexion der Künstler über ihre geschlechtsspezifische Perspektive dokumentieren. Christina Braun oder Margot Schmidt begreifen Feminität mit Nüchternheit. Sie zeigen reale, desidealisierte Frauenkörper. Ihre männlichen Kollegen stellen den weiblichen Körper in der Gefährdung durch den Mann dar: eine Demonstrierende wird zum Vergewaltigungsopfer, das Bildnis eines Sitzenden wird zum Ausdruck von körperlicher Dominanz und Aggression.
Frauenfigur, die sich befreien, kämpfen und ausbrechen, offenbaren sich erst im Zusammenhang mit mythologischen Darstellungen, denen ein letzter Abschnitt der Ausstellung gewidmet ist. Plötzlich beißt sich auf einer Lithografie von Angela Hampel eine glatzköpfige Penthesilea mit animalischer Wut in den Hals des Achilles. Elke Riemer zeigt in expressionistischer Überzogenheit den Gram der Kassandra. Mythologische Figuren gaben für die Künstler der DDR eine dankbare Folie, hinter der sie sich eine eigene, inhaltliche Freiheit nehmen konnten. Gabriele Mucci nutzte diese Möglichkeit für eine ganz eigene Dreistigkeit: Seine Lithografie der Erweckung der Venus von 1975 zeigt die Göttin in barbiesker Figur mit Wespentaille und langen Beinen und weist frech darauf hin, welche Ideale trotz aller Ambivalenz der Kunst aus der DDR nicht repräsentiert werden sollten.
■ Role Models. Die Frau in der DDR in Selbst- und Fremdbildern. Kunststiftung Poll, Gipsstraße 3, Di.–Sa. 15–18 Uhr, bis 31. Juli