: Eurozone soll deutscher werden
EU-GIPFEL Deutschland und Frankreich stellen einen Plan vor, dessen Verwirklichung eine gemeinsame Wirtschaftspolitik einleiten könnte – orientiert an deutschem Vorbild
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der französische Präsident Nicolas Sarkozy wollen eine europäische Wirtschaftsregierung, die sich gemeinsamen Zielen verpflichtet. Die Kanzlerin hat angekündigt, die Stärkung des Euro-Rettungsfonds sowie seine Ausweitung zu blockieren, wenn dieser „Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ auf dem nächsten EU-Gipfel nicht verabschiedet wird. Ihre Ziele im Einzelnen:
■ Schulden: Eine Schuldenbremse, wie Deutschland sie im vorletzten Jahr verabschiedet hat, soll die Staaten zum Sparen verpflichten. ■ Alter: Das Renteneintrittsalter soll „an die demografische Entwicklung angepasst“ – das bedeutet: erhöht – werden. ■ Löhne: In einigen Ländern wird die Inflation bei Lohnerhöhungen automatisch eingepreist. Merkel will das stoppen. ■ Steuern: Die Körperschaftssteuer soll eine einheitliche Bemessungsgrundlage bekommen. ■ Banken: Für notleidende Banken sind nationale Krisenbewältigungsstrategien vorgesehen. ■ Bildung: Um Arbeitsmobilität zu fördern, sollen die Mitgliedsländer Bildungs- und Ausbildungsabschlüsse gegenseitig anerkennen.
VON NICOLA LIEBERT
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) reiste mit einem Vorschlag an, der so gar nichts mit dem eigentlichen Thema des Sondergipfels der EU am Freitag in Brüssel zu tun hatte. Dort sollte es eigentlich um die gemeinsamen Energiestrategie gehen. Merkel aber wollte nichts weniger als einen ersten Schritt in Richtung einer europäischen Wirtschaftsregierung machen. Das Ziel: die Rettung der europäischen Währungsunion.
„Pakt für Wettbewerbsfähigkeit“ tauften Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy den Vorschlag, den beide gemeinsam vorlegten. Dahinter verbirgt sich ein Sechs-Punkte-Plan, der für eine bessere Abstimmung der Wirtschaftspolitik der Eurostaaten sorgen soll. Unter anderem sieht er eine Schuldenbremse nach deutschem Vorbild und die Erhöhung des Rentenalters vor. Damit wolle man zeigen, so Merkel, „dass wir den politischen Willen haben zusammenzuwachsen, insbesondere in der Eurozone“. Aber auch Nichteuroländer seien eingeladen mitzumachen.
Was macht Stabilität aus?
Das Ganze soll den bisherigen Eurostabilitätspakt ergänzen, der sich auf die Haushaltsdefizite konzentriert, die unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bleiben sollen. Dass das noch keine Stabilität bringt, zeigte sich beim Ausbruch der aktuellen Krise. Etwa in Griechenland, das trotz Stabilitätspakt gigantische Defizite einfahren konnte. Oder in Irland, das ebenfalls in den Strudel geriet, obwohl es vor der Krise die Defizitkriterien problemlos erfüllte.
Die Krise ausgelöst haben eher ganz fundamentale ökonomische Unterschiede. Während Deutschland die Lohnkosten erfolgreich drückte und als Exporteur immer erfolgreicher wurde, ließen Griechenland oder Spanien Lohnerhöhungen durchaus zu. Ihre Ausfuhren wurden so teurer und weniger wettbewerbsfähig. Statt zu exportieren, importierten sie nun lieber, oft auf Pump. Zudem stieg auch die Inflation in den Schuldnerstaaten weit stärker als im Durchschnitt der Eurozone. Die Zinsen aber blieben niedrig, da sie für alle Eurostaaten von der Europäischen Zentralbank gesteuert werden. So lagen die Zinssätze unter Abzug der Inflationsrate in den Südländern oft um null. Das kam einer Einladung zur Verschuldung gleich, vor allem für den Häuslebau, was wiederum zu einem Immobiliencrash in den betroffenen Ländern führte.
Früher hätten diese Länder ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt, indem sie ihre Drachmen oder Peseten abgewertet und so ihre Ausfuhren verbilligt hätten. Wahrscheinlich hätten sie auch eine kräftige Inflation in Kauf genommen – denn mit dem Geld würden auch die Schulden entwertet. Doch durch die gemeinsame Währung ist ihnen dieser Ausweg verwehrt. Die nun propagierte Alternative sind niedrigere Löhne und Lohnnebenkosten. Daher umfasst Merkels Plan neben dem höheren Renteneintrittsalter, das die Sozialversicherung entlasten soll, das Verbot, die Löhne automatisch an die Inflation anzupassen. Denn das liefe dann auf sinkende Reallöhne hinaus.
Deutlicher Widerstand
OTHMAR KARAS, EUROPAABGEORDNETER
Durch den Pakt sollen sich also de facto die anderen Länder der deutschen Politik anpassen. Für die Bundesregierung dürfte das die Gegenleistung dafür sein, dass sie einer Ausweitung des Eurorettungsfonds EFSF zustimmt. „Der Wettbewerbspakt tut so, als müssten nur alle Länder so wie Deutschland agieren, um aufzublühen“, kritisierte der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Umgekehrt will Deutschland keinesfalls Anpassungen vornehmen, die auf eine Stärkung der Binnennachfrage und ein Zurückfahren der Exportüberschüsse hinauslaufen müssten. Und die Arbeitsmarkt-, Sozial- und Steuerpolitik auf EU-Ebene zu vergemeinschaften steht nicht zur Debatte.
Ob der Plan umgesetzt wird, soll auf einem weiteren EU-Sondergipfel entschieden werden. Dies gilt auch für die Verschärfung des Stabilitätspakts und einen dauerhaften Mechanismus zur Krisenlösung.
Gegen eine gemeinsame Wirtschaftsregierung gibt es noch deutlichen Widerstand. Belgien und Österreich äußerten Vorbehalte, in die nationale Tariffreiheit einzugreifen. Kommissionspräsident José Manuel Barroso stemmt sich grundsätzlich gegen jeglichen Versuch, ein neues Machtzentrum außerhalb der bestehenden EU-Institutionen zu schaffen. Und das Europaparlament sieht sich bereits von künftigen Entscheidungen ausgeschlossen. „Ich möchte keine Parallelregierung“, protestierte der Europaparlamentarier Othmar Karas.
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