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Archiv-Artikel

Geld auf dem Mars

WOHLSTAND Der Piketty-Schüler Gabriel Zucman hat herausgefunden, dass weltweit etwa 5.800 Milliarden Euro fehlen. 80 Prozent davon werden nicht versteuert. Wo bleibt das Geld?

Zucman denkt radikal: Luxemburg sollte von allen künftigen EU-Verträgen ausgeschlossen werden, solange es in Steuerfragen nicht kooperiert

VON ULRIKE HERRMANN

Es ist der weltweit größte Diebstahl: Jedes Jahr hinterziehen die Vermögenden etwa 130 Milliarden Euro Steuern, indem sie ihr Geld in Steueroasen parken. Diese konkrete Zahl ist neu und stammt von dem französischen Ökonomen Gabriel Zucman. Der 27-Jährige hat erstmals Statistiken herangezogen, die noch nie systematisch genutzt wurden.

So verwendete Zucman unter anderem die Monatsstatistiken der Schweizer Nationalbank. Dabei kam heraus: In der Schweiz lagert ein Auslandsvermögen von etwa 1.800 Milliarden Euro, wovon 1.000 Milliarden Europäern gehören.

Zwar ziehen einige Kontoinhaber ihr Vermögen wieder ab oder offenbaren sich den Finanzbehörden, weil sie Angst haben, auf einer Schwarzgeld-CD aufzutauchen. Doch dies sind nur „die kleinen Fische“, wie Zucman feststellt. Man sollte sich von so spektakulären Fällen wie dem des Bayern-Managers Uli Hoeneß nicht täuschen lassen, der zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, weil er 28,5 Millionen Euro Steuern hinterzogen hatte. Denn es gibt ein bemerkenswertes Phänomen: 2009 wurde auf einem G-20-Gipfel in London „das Ende des Bankgeheimnisses“ beschlossen. Trotzdem sind die Auslandsvermögen in der Schweiz seither um 14 Prozent gewachsen.

Deutsche bunkern in der Schweiz etwa 200 Milliarden Euro; weitere 200 Milliarden haben sie in Singapur, Hongkong, Luxemburg und auf den Bahamas untergebracht. Allerdings ist diese Differenzierung in die Schweiz und andere Steueroasen oftmals künstlich, weil es Banken in der Schweiz sind, die per Mausklick auch die Investmentfonds in Luxemburg oder auf den Bahamas ansteuern.

In diesen Dreiecksgeschäften verschwinden Billionen Euro. So gibt Luxemburg offiziell an, dass die weltweit gehandelten Anteile an Luxemburger Investmentfonds 2.200 Milliarden Euro wert sind. Doch nur knapp 1.200 Milliarden davon tauchen in den Vermögensbilanzen anderer Länder auf. 1.000 Milliarden Euro sind weg. „Als gehöre ein Teil der Erde dem Mars“, wie Zucman spöttelt.

Spuren verwischen

Zucman hat die Vermögensbilanzen aller Länder miteinander abgeglichen und kam zu dem Ergebnis, dass weltweit etwa 5.800 Milliarden Euro fehlen, wovon etwa 80 Prozent nicht versteuert werden. Umgerechnet bedeutet dies, dass rund 8 Prozent des globalen Finanzvermögens in Steueroasen geparkt werden.

Deutschland gehört zu den großen Verlierern dieser massiven Steuerflucht. Der Bundesrepublik entgehen jährlich Einnahmen von etwa 10 Milliarden Euro. Weitere 20 Milliarden Euro kostet die aggresssive „Steueroptimierung“ der multinationalen Konzerne, bei der die Profite durch interne Verrechnungstricks in jene Länder verschoben werden, in denen die Körperschaftsteuer am niedrigsten ist.

Wie Zucman zugibt, sind seine Zahlen „alles andere als perfekt“. Er kann nur Näherungswerte liefern, solange die Steueroasen die Spuren des Geldstroms verwischen. Zucman fordert daher ein weltweites Wertpapierregister, das die Besitzer von Aktien und Anleihen namentlich aufführt. In Schweden existiert eine solche Übersicht bereits, und Privatunternehmen wie die luxemburgische Firma Clearstream führen ähnliche Verzeichnisse.

Freiwillig werden die Steueroasen jedoch nicht mitwirken, weswegen Zucman hohe Strafzölle fordert. So sollten Einfuhren aus der Schweiz mit 30 Prozent belastet werden, was die Eidgenossen empfindlich treffen würde. Denn das geparkte Schwarzgeld steuert nur 3 Prozent zur Schweizer Wirtschaftsleistung bei; viel wichtiger ist der Export von Maschinen, Uhren und Chemikalien. Rechtlich wäre es kein Problem: Die Welthandelsorganisation (WTO) erlaubt Strafzölle, wenn ein Land indirekte Subventionen gewährt – und dazu zählen Sonderkonditionen für Steuersünder.

Bleibt nur ein Steueroase, der mit Strafzöllen nicht beizukommen ist: Luxemburg, das inzwischen zu 40 Prozent von seiner Finanzbranche lebt. Gleichzeitig ist es EU-Mitglied und kann jede europäische Richtlinie torpedieren. Zucman denkt daher radikal: Luxemburg sollte aus allen künftigen EU-Verträgen ausgeschlossen werden, solange es in Steuerfragen nicht kooperiert.

Zucman ist Juniorprofessor an der London School of Economics und Schüler von Thomas Piketty. Dessen Buch „Kapital im 21. Jahrhundert“ wurde jüngst zum Weltbestseller, obwohl es extrem sperrig und langatmig ist. Zucman hingegen hat eine Abhandlung geschrieben, die knapp und gut lesbar ist.

Gabriel Zucman: „Steueroasen. Wo der Wohlstand der Nationen versteckt wird“. Suhrkamp, Berlin 2014, 120 Seiten, 12 Euro