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Archiv-Artikel

Überleben war sein Problem

JAZZ Angst vor dem schwarzen Musiker: Butch Morris, Kornettist, Komponist, Dirigent und Erfinder der „Conduction“, ist tot

Er erwartete vom Ensemble nicht, dass es swingt, sondern dass es brennt. In einem langen Gespräch mit Ornette Coleman war ihm einst klar geworden, dass Jazz nicht existieren würde, wenn es nicht um Spontaneität, Entflammung und Verbrennung ginge. Für ihn war es ständiger Kampf, selbst enge musikalische Freunde zeigten sich lange sehr reserviert. Schließlich erfand Butch Morris das Bindeglied zwischen Jazz und freier Musik, neue Formen für die notierte Komposition, die nicht mehr abhängig von improvisierenden Musikern sind.

Der Kornettist Lawrence „Butch“ Douglas, der in den letzten Jahrzehnten ausschließlich als Komponist und Dirigent tätig war, wurde 1947 in Kalifornien geboren. Seit den 1970er Jahren war er mit der kreativen New Yorker Szene verbunden, leitete die Big Band seines Freundes David Murray und erfand jene neue Art des Komponierens für größere Ensembles, die er „Conduction“ nannte. Morris wirkte bei Aufnahmen von John Zorn, Billy Bang oder Cassandra Wilson mit, die ihn für den wichtigsten zeitgenössischen Jazzdirigenten und -arrangeur hielt.

Unter dem Titel „Testament: A Conduction Collection“ erschienen zehn CDs mit 15 Mitschnitten von 1988 bis 1995, sein Großprojekt „Berlin Skyscraper“ realisierte er 1995 im Rahmen eines mehrmonatigen Stipendiums beim Total Music Meeting. Unter dem Titel „Black February 2005“ feierte er das 20-jährige Jubiläum seiner Conductions mit einer umfangreichen Konzertreihe in New York.

„Überleben, das ist das Problem. Wie bekomme ich das nächste Stück zu Ende, wovon lebe ich“, sagte er dem Autor in einem seiner letzten großen Interviews. Für Butch Morris war klar, dass afroamerikanische Musiker eine Bedrohung des klassischen Musikbetriebs darstellen. Man habe eher Angst vor einem schwarzen Mann namens Butch, als dass man ihn für seine Kunst umarmen würde. „Doch ich begreife mich als Teil des Jazzkontinuums, und wenn ich die europäische Musik verändere, okay, wenn nicht, auch gut. Es gab immer Widerstände gegen die Art, wie schwarze Musiker sich ausdrücken. Ob nun Louis Armstrong, Bessie Smith, Duke Ellington, John Coltrane, Eric Dolphy, Ornette Coleman – sie transformierten die Musik, um dieses neue Ding zu kreieren.“

In 20 Jahren und 143 Conductions will er nicht ein einziges Mal mit den Musikern über Ton- oder Taktart diskutiert haben. Doch die Notation verließ er nie. Butch Morris schrieb konventionell, von links nach rechts, sehr schnell erfassbar, ohne Farben oder grafische Symbole. Mit seinen Händen machte er keine sehr präzisen Gesten, von Charles Moffett übernahm er die ausgestreckte linke Hand als Zeichen für einen anhaltenden Sound, doch wenn er etwas ganz Bestimmtes wollte, schrieb er es auf.

„Wenn man einen neuen Komponisten, einen neuen Dirigenten und einen neuen Musiker hat, dessen musikalische Kompetenz wesentlich weiter greift als das, was in den vorangegangenen Generationen Standard war, dann hat man die Voraussetzung für neue Musik.“ Am 29. Januar ist der große Musik-Erfinder Butch Morris nach langer schwerer Krankheit in New York gestorben. Er wurde 65 Jahre alt.

CHRISTIAN BROECKING