: Soziale Medien
27, ist Illustratorin und Autorin. Auszüge ihres Buchs „Gender in Games“ können im Netz abgerufen werden.
Nina Kiel ist von Düsseldorf nach Berlin angereist – und mit einer heftigen Erkältung direkt ins Hotelbett gefallen. In einer der hässlichsten Städte Deutschlands aufwachsend, sagt sie, habe sie schnell die Vorzüge virtueller Abenteuer erkannt. Sie schreibt Spielerezensionen, ist am Morgen trotz heftigen Schnupfens als Erste da. Francesca Schmidt bloggt unter anderem auf queer-o-mat.de – und lacht, als Anne Wizorek dazukommt, die Initiatorin von #aufschrei. Die beiden haben sich zufällig schon am Vorabend auf einer Feier kennengelernt.
Frau Wizorek, wo im Netz bewegen Sie sich am liebsten?
Anne Wizorek: Bei Tumblr, der Blogging-Plattform, mit der man Bilder, Videos, Zitate, alles mögliche hochladen kann. Da sieht man gut, wie sich feministische Themen und Popkultur miteinander verbinden lassen. Wir müssen nicht immer superakademische Texte lesen, manchmal reicht eine Illustration. Und es begegnet mir dort null Hass.
Unter dem Hashtag #gamergate läuft seit Monaten eine Hetzkampagne gegen Frauen, die sexistische Darstellungen in Videospielen anprangern. Warum, glauben Sie, sind die Reaktionen so heftig?
Nina Kiel: Das hängt mit der klassischen Gamer-Identität zusammen. Die Spieler waren bisher überwiegend heterosexuell, männlich, weiß, und das wird langsam aufgebrochen. Viele sind ernsthaft besorgt, dass man ihnen ihr Spielzeug wegnimmt oder etwas zensieren will.
Wizorek: Die Heftigkeit beim Gamergate ist eine neue Dimension, man kann schon von Onlineterrorismus sprechen. Wir müssen wegkommen von der Formel: Das passiert nur im Internet und ist keine echte Gewalt.
13.26 Uhr: Die Fotografin will, dass Natalie Rosenke, die in der Runde davor Körperideale infrage gestellt hat, ihre Schiebermütze abnimmt. Sie sagt: „No chance, höchstens anlupfen.“
Es wurden private Dokumente bei Gamergate veröffentlicht, Kritikerinnen bedroht.
Kiel: Die irrationale Angst, dass Privilegien weggenommen werden, ist das große Problem. Sie sorgt dafür, dass die Leute sehr aggressiv reagieren. Es findet keine wirkliche Auseinandersetzung mit Kritik statt, es wird sofort zugeschnappt. Einzelne Menschen werden dämonisiert, wie Anita Sarkeesian …
… eine feministische Bloggerin, die sich mit der Darstellung von Frauen in Computerspielen beschäftigt.
Kiel: Oder Zoe Quinn, eine amerikanische Entwicklerin. Sie wurde zum ersten Ziel von Gamergate. Ihr wurde unterstellt, sich eine positive Rezension erschlafen zu haben. Das wurde zwar schnell widerlegt, aber das Gerücht hält sich. Daraus entstand diese riesige Bewegung, die immer mehr Frauen mit ähnlichen Vorwürfen ins Visier nimmt.
Das letzte Aufbäumen einer hegemonialen Männlichkeit?
Francesca Schmidt: Schön wär’s!
35, ist beim Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung zuständig für feministische Netzpolitik und Öffentlichkeitsarbeit.
Kiel: Der kulturelle Wandel ist gerade im Spielebereich nicht aufzuhalten. Es gibt da genug Frauen, die Attacken zum Opfer fallen, sich aber nichts vorschreiben lassen und weitermachen.
Gibt es denn netzspezifische Gewaltformen?
Schmidt: Ja, gibt es. Wenn man selbst betroffen ist, ist das relativ schnell klar. Aber es muss noch gesellschaftlich ausgehandelt werden, was in diesem Bereich Gewalt ist. Bei unschönen Kommentaren unter Zeitungsartikeln würde ich nicht zwangsläufig von Gewalt sprechen.
Wizorek: Im Zuge des Pegida-Klimas haben die Community-Management-Leute vieler Zeitungen quasi zurückgetrollt. Wenn ich das als Einzelperson mache, wird mir allerdings vorgeworfen, dass ich nicht auf alle Meinungen eingehe. Ich werde schon kritisiert, wenn ich einfach nur Leute blocke.
Schmidt: Es gibt Kommunikation im Netz, die wesentlich gewaltvoller ist. Wo man sich auch nicht einfach rausziehen kann, indem man beispielsweise keine Kommentare mehr liest. Es geht dabei auch nicht ausschließlich um Frauen.
Gibt es Stimmen im Netz, die wir überhören?
Wizorek: Klar, zum Beispiel alleinerziehende Mütter. In so einer Lebenssituation hast du nicht einfach die Kapazitäten, dich zu vernetzen oder darüber zu bloggen. Es gibt schöne Beispiele, wo das dennoch gelingt.
Wie Fuckermothers, ein Blog mit feministischer Perspektive auf Mutterschaft.
Wizorek: Ja. Das sind Perspektiven, die wir im Netz brauchen.
Kiel: Wobei es nicht nur ein Ressourcenproblem ist, auch Angst spielt eine Rolle.
34, ist Netzfeministin. Aus ihrer Twitter-Aktion gegen Sexismus – #aufschrei – wurde ein Buch: „Weil ein Aufschrei nicht reicht“.
Angst?
Kiel: Angst davor, sich zu äußern. Gamergate hat es sich zum Ziel gemacht hat, explizit Frauen zum Schweigen zu bringen. Ich verstehe jede, die irgendwann aussteigt.
Schmidt: Es gibt auch keine Regulierungsstrategie, weder juristisch noch in der Community selbst. Es gab gerade bei Wikipedia in den USA ein Schiedsverfahren zum Gamergate-Artikel, bei dem Feministinnen gesperrt wurden.
13.40 Uhr: Die Rapperin Sookee kommt rein, mit lila Pudelmütze und Kinderwagen. Darin ein Baby, viereinhalb Monate. Sookee soll später über Musik reden, sie setzt sich trotzdem schon dazu.
Wenn wir über die Gesellschaft nachdenken wie über ein Videospiel: Können wir sie umprogrammieren oder sogar hacken?
Wizorek: Ja. Zum Beispiel die Frauenquote. Ich spreche da gern von einem Hack des Systems. Es kann neue Formen zeigen, und Menschen dazu inspirieren, weiterzudenken.
Schmidt: Haben Spiele überhaupt den Anspruch, gesellschaftlich visionär und progressiv zu sein?
Kiel: Mittlerweile wollen immer mehr Leute einbezogen sein. Es geht nicht darum, bestimmte Entwürfe aus den Medien zu verbannen, sondern neue zu integrieren. Nehmen wir zum Beispiel die sogenannten Genderswaps: Indem man das Geschlecht vertauscht, wird gezeigt, wie eingeschränkt Rollenbilder sind. Frauen sind in Videospielen meist erotische Anschauungsobjekte und erfüllen sekundär eine Rolle, die bestimmten Idealen entspricht.
■ Community: „Internet-Gemeinschaft“; Oberbegriff für Menschen, die im Netz kommunizieren
■ Community-Manager: verwalten z. B. die Facebookseite eines Unternehmens: Sie erstellen neue Beiträge, antworten Nutzern
■ Minion: Figur aus einem Animationsfilm
■ Genderswap: „Geschlechtertausch“, etwa: eine typisch männliche Actionfigur wird weiblich– oder umgekehrt
■ trollen (ugs.): provozieren
■ tumblr.com: Bloggerplattform
■ fuckermothers: Blog mit feministischen Perspektiven auf die Mutterschaft. fuckermothers.wordpress.com
■ #gamergate: Schlagwort auf Twitter, unter dem seit Monaten gegen Feministinnen gehetzt wird
Wir zeigen auf dem Tablet ein Comic-Bild, das Wolverine, den Superhelden des Actionfilms „X-Men“ in der leichtbekleideten Pose einer anderen Heldin darstellt: Er trägt Tanga und Bustier.
Kiel: Das erinnert mich an das „Female Armour Bullshit Bingo“, das entwickelt wurde, um zu zeigen, wie absurd die Kleidung der Figuren ist. Manchmal ist alles drin: Hochhackige Schuhe auf dem Schlachtfeld, kaum Kleidung am Körper, Make-up ohne Ende. Anscheinend muss man darauf hinweisen, weil viele Leute das so gar nicht bewusst wahrnehmen.
Wobei man, ruft jemand in den Raum, bei Umkehrungen aufpassen muss: Dass man nicht selbst in eine Falle tappt und andere Stereotypen produziert.
Sookee: Das kann leicht passieren. Wie beim französischen Kurzfilm „Majorité opprimée“, der auf YouTube die Runde machte …
… darin wurden die Geschlechterverhältnisse umgedreht, um ein Bewusstsein für Alltagssexismen zu schaffen.
Sookee: Auf den ersten Blick ging es darum, dass eine männliche Figur erlebt, was an Harassment und Zuschreibung den ganzen Tag einer weiblichen Mutterfigur passiert. Bis hin zu einem sexualisierten Übergriff. Es gab auch islamstereotypisierende bis rassistische Anleihen. Ein Mann hat einen anderen Mann mit einem Kopftuch hinsichtlich seiner Unterdrückung belehrt.
Welche Frauenbilder wünschen Sie sich im Netz?
„Wir müssen wegkommen von der Formel: Das passiert nur im Internet und ist keine echte Gewalt“
ANNE WIZOREK, INITIATORIN VON #AUFSCHREI
Schmidt: Ich möchte ganz viele Heldinnen sehen. Ich möchte ein offenes, auch auf der technischen Ebene diskriminierungsfreies Internet. Das soll es natürlich auch im analogen Leben geben.
Wizorek: Eine solche Heldin sollte sich nicht nur darüber definieren, dass eine Frau stark ist und im Grunde männliche Attribute vertritt. Für mich sind alleinerziehende Mütter Heldinnen.
Kiel: Ich wünsche mir mehr Vielfalt, um einzelne Rollenbilder zu entkräften. Die haben ja durchaus eine Daseinsberechtigung, aber es sollte eben nicht so eingegrenzt werden. Mich stört die Floskel: Frauen sind so und Männer sind so. Es wäre schön, wenn das in Videospielen deutlicher repräsentiert würde. Es muss aufhören, dass man Weiblichkeit auf wenige Accessoires runterbricht.
Ein Schleifchen?
Kiel: Wen interessiert es schon, ob so ein Minion männlich ist oder weiblich. Das ist doch total egal.