: Für acht Monate ins Kittchen
VOLL LUSTIG Jesse Peretz’ „Our Idiot Brother“ leuchtet die Unzulänglichkeiten eines armen Hippie-Irren gnadenlos aus Perspektive seiner Schwestern aus
„Idiot“ ist gar kein Ausdruck: Eigentlich wollte der Cop, der den Hippie Ned Rochlin (Paul Rudd) am Gemüsestand auf dem Marktplatz um Dope für den Feierabend bittet, schon abziehen, als Ned dann doch was zum Einkauf obendrauf legt. Sogar gratis, Ned ist Menschenfreund. Das könne er nicht annehmen, meint der Cop und insistiert auf einen Betrag. Kein Wunder: Erst wenn Bares fließt, klicken die Handschellen. Tun sie dann auch, Neds Gefeixe zum Trotz, der alles für Ironie hält, die ihn aber doch noch vor dem Filmvorspann für acht Monate ganz unironisch ins Kittchen bringt.
Neoliberales Diktat
Ned also ist auf ganz besonders schmerzhafte Weise blöde. Doch blöde ja eigentlich nur insoweit, als er dem neoliberalem Diktat, die eigenen Schäfchen stets im Trockenen zu halten, aus einem bis an die Grenze zur Selbstaufgabe betriebenen Altruismus heraus zuwiderläuft: Ned ist im Herzen von jener naiven Güte, die keinem Gebot, keiner strategischen Abwägung folgt, sondern mit sich voll identisch ist. Und das macht manipulier- und ausbeutbar, es bahnt den Weg für Katastrophen, wo sie mit einer Welt zusammenprallt, in der changierendes Taktieren und stete Kompromisse bare Münze sind.
Ganz gleich, was man Ned anvertraut: Da er ein Falsch im Herzen nicht kennt, plaudert er es stets an falschen Stellen wieder aus. Diese Erfahrungen machen auch Neds Schwestern, die ihren Bruder nach dem Knast widerwillig einander zuschieben. Ihre Biografien haben sich in den sich einer kulturell und liberal aufgeschlossenen Mittelschicht in New York jenseits der 30 bietenden Individualnischen mit Ausblick auf ein wenig Mehr in naher Zukunft eingerichtet, mit allen kleineren und größeren Lebenslügen, die es für das glückende Leben braucht: ein wenig zwischenmenschliche Verkommenheit für die Karriere, ein bisschen Ehebruch, die paar im Laufe des Lebens angeeigneten Neurosen, vor denen man die Augen schließt.
Mit sonnigem Gemüt und adäquat schafigem Grinsen verkörpert Ned nun jenes lieb-anarchische Prinzip, das jegliche biografischen Manöver mit seinen Widersprüchen verzettelt. Neds eigene Ziele sind ohnehin bloß auf knappe Etappensiege eingestellt: Eigentlich will er nur seinen Hund zurück, den ihm seine frühere, ziemlich scheußliche Landkommune vorenthält. Um dazu seine watteweiche Schluffigkeit zu überwinden, muss ihm überhaupt erst die Butch-Freundin Cindy (Rashida Jones) seiner lesbischen Schwester klarmachen, dass er als Mann das Sagen hat.
Im Spagat zwischen der derberen Apatow- und der jüngeren Indiekomödie, die die Lebenseinrichtungsversuche der Thirtysomethings mal beschaulich, mal schmerzhaft in den Blick nimmt, lässt „Our Idiot Brother“ die Lebensuntauglichkeit eines biografisch glücklich Gestrandeten mit den krampfhaften Versuchen, mehr aus sich zu machen, auf größtenteils vergnügliche Weise kollidieren. Neds Gelassenheit ist fast Methode: Dass er seinem Neffen Filmausschnitte auf YouTube zeigt, registriert „Our Idiot Brother“ als lebensweltliche Gegebenheit. Zum Küsschen für den zweiten Mann beim versuchten, aber abgebrochenen Dreier kommt es auch. So ist „Our Idiot Brother“ schließlich ein kaum gebrochenes Plädoyer für das stille, epikureische Glück, das gefunden scheint, wenn Ned am Ende mit einem zweiten Hippie-Dude eine Kerzenzieherei eröffnet. Wobei für diesen vertrottelten Kumpel „Idiot“ dann wirklich der passende Ausdruck ist. THOMAS GROH
■ „Our Idiot Brother“, Regie: Jesse Peretz. Mit Paul Rudd, Elizabeth Banks, Zooey Deschanel u. a. USA 2011, 90 min.