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Archiv-Artikel

Ein Amt für Zerrissenheit

KUNSTPROJEKT An der Gedenkstätte Berliner Mauer sammelt die Künstlerin Sheryl Oring Erinnerungen

Die rot lackierten Fingernägel huschen schnell über die Tasten der Reiseschreibmaschine. Tick, tick, tick, hacken die flinken Buchstabenhebel ein Wort nach dem anderen aufs Papier. „Die Mauer bedeutet für mich das Einsperren von Menschen und die Trennung von Familien“ steht zum Beispiel darauf.

Seit Donnerstag sitzt die US-Künstlerin Sheryl Oring für ihr Kunstprojekt „Maueramt“ an der Gedenkstätte Berliner Mauer. Immer dabei: ein mobiles Büro aus einem Klapptisch und drei Stühlen. Im schicken Kostüm mit Brille und Haarreif sitzt sie vor der Schreibmaschine und lädt die Vorbeigehenden dazu ein, sich zu setzen und mit ihr im Maueramt zu sprechen. Was die Menschen mit der Mauer assoziieren oder wie der Fall der Mauer ihr Leben beeinflusst hat, möchte sie etwa von ihnen wissen.

„Die Mauer ist für mich etwas Unnatürliches und Absurdes“, erzählt Rudi Baumgartl. Er trägt Vollbart und Sandalen. „Den Aufwand, der betrieben wurde, um zu verhindern, dass Menschen von einer Seite zur anderen kommen, finde ich faszinierend und erschreckend zugleich.“

Auf jedes beschriebene Blatt stempelt Oring „Maueramt“, dann macht sie noch ein Foto mit der Polaroid. Die Geschichten und Fotos sollen ab 7. November in einer Ausstellung des Privatmuseums The Kennedys präsentiert werden. Oring lebte selbst von 1997 bis 2003 in Berlin und beschäftigte sich schon in mehreren Projekten mit der deutschen Geschichte. Mit ihrem neuen Projekt wolle sie verborgene Erinnerungen aufdecken und dokumentieren, sagt sie. „Ich finde es wichtig, solche Fragen zu stellen. Auch heute noch gibt es unüberwindbare Grenzen.“

Eine dieser Grenzen kennt Oring selbst. „In San Diego, wo wir einmal gewohnt haben, gibt es einen Zaun“, erzählt sie, den Grenzzaun zwischen den USA und Mexiko. „Dort treffen sich Freunde oder auch Familien. Sie können miteinander reden, aber nicht auf die andere Seite“, sagt Oring. Auch wenn das nicht mit der deutsch-deutschen Grenze vergleichbar sei, würden doch auch dort Menschen eingesperrt.

Viele Besucher, die im mobilen Maueramt Platz nehmen, erzählen von der Zerrissenheit, die die Mauer zwischen Familien und Freunden bewirkt hat. Und von den vielen Opfern. Unter den Erzählungen sind aber auch Liebesgeschichten und Anekdoten. Oring öffnet ihr Maueramt noch bis zum 9. Oktober immer donnerstags zwischen 11 und 14 Uhr und sonntags zwischen 14 und 17 Uhr in der Ackerstraße Ecke Bernauer Straße. LISA OPITZ