: Ich kauf mir eine Zeitung
TEST Eigentlich sollen Journalisten bestimmen, was in der Presse steht. Aber kann das auch eine Werbeagentur – mit Geld? Wir haben es ausprobiert. Protokoll einer Undercover-Recherche
■ Undercover: Journalisten dürfen unter falscher Identität recherchieren, wenn es nur durch eine solche verdeckte Recherche möglich ist, Rechtsverstöße oder andere Vorgänge von besonderem öffentlichen Interesse aufzuklären. Vorbild für die taz war die Marienhof-Recherche des Fachblatts epd medien: Damals hatte der Journalist Volker Lilienthal sich als Mitarbeiter einer Werbeagentur ausgegeben, um Schleichwerbung für Schuhe in der ARD-Vorabendserie unterzubringen.
■ Das Urteil: Die Produzenten der Serie wollten die Veröffentlichung der Recherche verbieten lassen. Das Oberlandesgericht München wies ihre Klage im Jahr 2005 ab. Das Gericht erlaubte sogar die Veröffentlichung von verdeckt mitgeschnittenen Tonbandaufzeichnungen. Die Mitarbeiter der Anzeigenabteilungen, die wir für diese Recherche im Sommer 2009 besuchten, haben wir anonymisiert, weil es nicht um ihre persönliche Käuflichkeit geht, sondern um die ihrer Verlage. Die Stellungnahmen der Chefredakteure haben wir aktuell eingeholt.
VON SEBASTIAN HEISER
Wie gründet man eigentlich eine Briefkastenfirma? Eine Firma, die es gar nicht gibt? Während dieser Recherche möchte ich mich anderen Zeitungen gegenüber als Mitarbeiter einer Werbeagentur ausgeben. Denn wenn man als Journalist offiziell bei einer anderen Zeitung nachfragt, ob es dort Schleichwerbung gibt, wird das bestritten. Ab und zu kommen aber doch Fälle von Schleichwerbung ans Licht. Sind das einzelne Ausrutscher? Oder gibt es Zeitungen, die durch und durch käuflich sind? Ich wähle gleich zehn Medien aus, um eine möglichst breite Mischung zu bekommen: Magazine und Tageszeitungen, bekannte und weniger bekannte.
Die Vorbereitung
Für meine neue Identität brauche ich eine Adresse, eine Telefonnummer, eine Website, Visitenkarten und einen Namen. Ich finde einen Anbieter, bei dem neu gegründete Firmen sich Büroräume mieten können – oder auch nur einen Briefkasten. Die Post, die an meiner repräsentativen Adresse in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs ankommt, wird an mich weitergeschickt. Ich bekomme auch eine Festnetznummer. Wenn man dort anruft, meldet sich ein Mitarbeiter des Anbieters für den Sekretariatsservice. Er sieht an der Durchwahl, zu welchem Unternehmen der Anrufer will, und meldet sich dann mit dem passenden Firmennamen.
Der Rest ist einfach: Die Internetadresse registriere ich unter falschem Namen, der Druck von Visitenkarten ist schnell in Auftrag gegeben. Mein neuer Name: Tobias Kaiser. Funktion: Key Account Planning Effizienzer. Mein Auftrag: Termine mit den Mitarbeitern von Zeitungen vereinbaren, um ihnen ein unmoralisches Angebot zu machen. Meine Werbeagentur trägt den Namen: „Coram Publico“. Das heißt: „Vor aller Öffentlichkeit“.
Das Angebot
Ich will testen, ob die Themenauswahl der Medien käuflich ist – ob man also ihre Funktion für die Gesellschaft fremdsteuern kann. Denn die Aufgabe von Medien ist es, aus der Masse von Ereignissen die relevantesten auszuwählen. Sie bestimmen damit, welche Themen wie stark wahrgenommen werden. Was in den Medien groß vorkommt, muss wichtig sein – oder wird es dadurch, dass es groß vorkommt.
Genau hier setze ich an: Kann man Zeitungen dafür bezahlen, dass sie größer über Versicherungen, über Altersheime oder über Fernreisen berichten und diese damit stärker ins Bewusstsein der Leser bringen? Kann man mit Geld bestimmen, welches Thema auf der gesellschaftlichen Agenda erscheint?
Ich erzähle den Zeitungen: Meine Agentur berät Firmen bei der Entscheidung, in welchen Medien sie ihre bezahlten Anzeigen schalten. Ich habe mich darauf spezialisiert, dass die Anzeigen in einem „geeigneten Umfeld“ erscheinen. Mit Umfeld sind die Artikel gemeint, die in der Zeitung direkt neben der Anzeige stehen. „Geeignetes Umfeld“ ist eines der Codewörter der Branche für Schleichwerbung. Ich knüpfe meine Anzeigen also an die Bedingung, dass auch ein journalistisch anmutender Text zum von mir vorgegebenen Thema in der Zeitung erscheint. Wenn das klappt, taste ich mich weiter vor. Die Zeitung soll das Thema nicht nur aufgreifen, sondern sie soll es positiv und unkritisch machen. In der nächsten Stufe soll sie den Namen eines Unternehmens im Text erwähnen und dessen Produkte loben. In der höchsten Stufe möchte ich den Text gleich selber schreiben. Und natürlich darf der Text weder wie eine Anzeige aussehen noch mit dem Wort „Anzeige“ gekennzeichnet sein.
Eine Zeitung, die darauf eingeht, verstößt gegen die Landespressegesetze.
Die Lockangebote dienen dazu, mit den Mitarbeitern der Zeitungen ins Gespräch zu kommen. Damit sie mir erzählen, was denn allgemein bei ihnen üblich ist. Schließlich will ich ja etwas über die strukturelle Käuflichkeit der Medien herausfinden.
Außerdem versuche ich, anschließend noch eine Stellungnahme von der Chefredaktion einzuholen. Diesmal unter meinem echten Namen und mit der Ankündigung, diese Stellungnahme in der taz zu drucken – ohne von meiner vorherigen verdeckten Recherche zu erzählen. So will ich herausfinden, ob die offizielle Außendarstellung abweicht von den Angaben, die ich undercover bekomme.
Zu den Treffen fahre ich nie allein, sondern nehme immer eine Kollegin mit. Vier Ohren hören mehr als zwei. Und während einer das Gespräch führt, kann der andere die wesentlichen Inhalte gleich mitschreiben. Die Begleitung hilft auch gegen das Nervenzittern. Schlimm sind die fünf Minuten vor dem Treffen. Was ist, wenn ich auffliege? Wenn mich auf dem Weg durch die Gänge des Verlages ein Journalist von einer Fachtagung wiedererkennt, mich mit meinem echten Namen anspricht?
Frankfurter Rundschau
Die Anzeigenabteilung: „Im Prinzip, vielleicht wenn man das mal so darstellen kann, im Prinzip sind wir für alles offen“, sagt mir der Mitarbeiter bei unserem Gespräch im Verlagsgebäude in Frankfurt-Sachsenhausen. „Wir wollen Anzeigenumsatz generieren und insofern – wenn Sie heute mit dem Thema ‚Solarenergie‘ kommen, dann machen wir halt nächste Woche das Thema Solarenergie.“
Ich erzähle, zu meinen Kunden würde auch ein Reiseveranstalter zählen. Ich blättere die Reiseseiten auf. Der Mitarbeiter der Anzeigenabteilung sagt, es sei eigentlich „reine Redaktionsentscheidung“, was dort erscheint, „wenn Sie aber sagen, Sie wollen diese Seite haben, geht das natürlich auch“. Es komme dabei auf unseren Etat an. „Womit kann man denn rechnen für diese Seite?“, frage ich. Er sagt: „Wenn ich eine ganze Seite buche, dann kann man schon über die zweite Seite redaktionell reden. So als Hausnummer.“ Man muss also im samstäglichen Reiseteil eine ganzseitige farbige Anzeige für gut 23.000 Euro schalten, damit auch ein Artikel über die Reise erscheint. Für die Autoseiten gelte „das Gleiche“, sagt der Mitarbeiter.
Er zeigt mir ein paar Beispiele für Texte aus der Zeitung, die erkauft seien. Auf den entsprechenden Seiten steht nicht „Anzeige“, sondern oben rechts „Anzeigensonderveröffentlichung der Frankfurter Rundschau“. Der Name des Auftraggebers, der für die Texte bezahlt hat, erscheint nicht.
In dem Großstadtmagazin Mainsign, das die Frankfurter Rundschau den Abonnenten in ihrer Region alle zwei Monate beilegt, steht bei den gekauften Beiträgen nicht einmal das Wort „Anzeigensonderveröffentlichung“. Die Texte erscheinen völlig ohne jede Kennzeichnung. Der Mitarbeiter blättert in dem Magazin. „Hier haben wir dann auch noch mal einen redaktionellen Bericht, der mit dem ägyptischen Fremdenverkehrsbüro entsprechend abgestimmt ist“, sagt er. Es ist ein Werbetext, der Ägypten mit vielen positiven Adjektiven anpreist. Unter dem Bild steht etwa: „Inmitten stattlicher Dünen haben Top-Designer international beliebte Golfplätze angelegt.“
Jetzt, wo wir langsam warm geworden sind, komme ich zu einem besonders heiklen Punkt. Zur Steuerhinterziehung. Ich behaupte, zu meinen Kunden zählten auch Banken aus Österreich. Die wünschten sich eine Berichterstattung über ihre Angebote. Ich sage: „Man hört ja immer von einem Nummernkonto, was ist das eigentlich genau?“ In der Zeitung solle auch der hohe Datenschutz bei einem österreichischen Konto beschrieben werden: „Welche Informationen erhält die Finanzbehörde in Deutschland automatisch, und welche muss ich per Hand angeben?“ Es wäre eine kaum verhohlene Anleitung zur Steuerhinterziehung.
Der Mitarbeiter schweigt, und er schweigt lange. Schließlich sagt er: „Grundsätzlich kein Problem.“
Nach dem Gespräch will der Mitarbeiter mir unbedingt noch das Großraumbüro der Redaktion zeigen, das in einem ehemaligen Straßenbahndepot untergebracht ist und auf das die Zeitung sehr stolz ist. Mein Herz schlägt höher. Vor Angst. Erst vor ein paar Jahren habe ich ein Praktikum in der Redaktion gemacht. Garantiert würde mich jemand wiedererkennen. Ich stammele irgendwas von einem nächsten Termin und dass ich leider ganz dringend losmuss.
Einen Monat lang höre ich nichts mehr von der Zeitung. Dann kommt ein schriftliches Angebot für eine Seite mit dem Titel „Geldanlage in Österreich“. Die Seite ist sogar schon im fertigen Layout beigelegt. „Die entsprechenden Informationen und die Grundinformationen würden von Ihnen geliefert“, steht im Angebot. Die Texte würden dann „von unserer Service-Redaktion entsprechend aufbereitet“. Der Preis für eine Seite am Samstag: gut 15.600 Euro. Hier kann man offenbar wirklich alles kaufen, denke ich mir. Sogar Artikel mit einer Anleitung zur Steuerhinterziehung.
Die Chefredaktion: sagt nichts. Trotz vieler Anrufe und vieler Rückrufversprechen des Sekretariats erhalte ich keine Stellungnahme zu der Frage, wie die Zeitung die Trennung von redaktionellen und gekauften Texten handhabt.
Handelsblatt
Die Anzeigenabteilung: „Also, jetzt mal für Ihre Klienten“, sagt der Mitarbeiter im Düsseldorfer Verlagsgebäude und setzt zu einer Gardinenpredigt an: „Das Handelsblatt steht ja für absolute Glaubwürdigkeit.“ Das mache das Blatt für die Leser so attraktiv, und dadurch werde das Blatt auch für die Anzeigenkunden interessant. Meine Anfrage, Anzeigenaufträge an Texte zu koppeln, lehnt er ab, um die Glaubwürdigkeit des Handelsblatts zu schützen: „Da macht es keinen Sinn, wenn ich das unterwandere, indem ich irgendwelche Koppelkisten aufziehe.“ Auf den Inhalt der Artikel habe er „keinen Einfluss“. Man merkt, wie satt er solche Anfragen hat.
Die Chefredaktion achte sogar darauf, sagt er, dass nicht der leiseste Eindruck einer Vermischung von Journalismus und Anzeigengeschäft entsteht. Einmal sei neben einer Anzeige eines Unternehmens ein Interview mit dem Pressesprecher desselben Unternehmens gestanden. Das sei wirklich Zufall gewesen. Doch trotzdem gab es dann „einen auf den Deckel“, bevor die Seite in Druck ging: „Einer aus der Chefredaktion schaut da noch mal drüber. Und gegebenenfalls zerpflückt er die Seiten.“ Dann werden Anzeige und Artikel getrennt, damit sie nicht nebeneinander erscheinen. Ab und zu müsse in der Chefredaktion eben „der ein oder andere sein Alphatier rauslassen“.
Auf völlige Ablehnung stößt auch meiner Steuerhinterziehungsanfrage. Der Mitarbeiter blafft mich geradezu an: „Es wäre Ihnen sicherlich nicht recht, wenn die Kollegin in der Finanzseiten-Redaktion, die sich um Geldwäsche und um Wirtschaftskriminalität allgemein kümmert, hier mal draufschaut“, sagt er zu meinem Themenplan. „Wir finden es alle nicht lustig, wenn Leute ihre Kohle ins Ausland bringen.“
Die Chefredaktion: „Wenn unsere Leser das Gefühl bekommen, unsere Inhalte seien käuflich, dann nehmen sie uns nicht mehr ernst. Deshalb sind wir da so strikt“, sagt Hermann Knipper, stellvertretender Chefredakteur des Handelsblatts, als ich mit ihm telefoniere.
Die Unternehmen können mit ihren Anzeigen allerdings beeinflussen, wie groß die Zeitung über bestimmte Themen berichtet. Im Herbst macht die Redaktion immer einen Plan ihrer Sonderthemen für das kommende Jahr. Da geht es zum Beispiel um Mittelstandsfinanzierung, um Derivate oder um Leasing. Dann sucht die Anzeigenabteilung nach Unternehmen aus der Branche, die in diesem Umfeld ihre Anzeigen zum gleichen Thema schalten wollen. Davon hängt ab, wie dick die Sonderthemen werden. Knipper: „Wir können nicht 80 Seiten über Derivate schreiben, selbst wenn wir noch so viele Anzeigen bekommen. Aber wir können dazu 6 bis 12 Seiten sinnvoll füllen. Wie viele es innerhalb dieser Spanne werden, hängt dann allein von der Anzeigenlage ab.“
Aber ist es nicht problematisch, wenn Unternehmen durch ihre Anzeigen mitentscheiden können, wie groß das Handelsblatt über ein Thema berichtet? „Diese Sichtweise kann ich nicht nachvollziehen, das ist doch weltfremd!“, sagt Knipper. „Wir machen ein Sonderthema nur, wenn wir das Thema wichtig finden. Auch die Unternehmen schalten bei uns die Anzeigen, weil sie glauben, dass sich unsere Leser dafür interessieren.“ Es gebe Leser, die gezielt die Ausgaben mit den Sonderthemen kaufen, weil sie dort gut informiert würden. Knipper: „Je mehr solcher Seiten es gibt, desto besser ist es für unsere Leser.“
Die Zeit
Die Anzeigenabteilung: „Das ist ja ein thematisches Umfeld, was wir schaffen für unsere Anzeigenkunden“, sagt der Mitarbeiter im Verlagshaus in Hamburg. Ich habe ihm gerade erzählt, dass mehrere christliche Stiftungen zu meinen Kunden zählen. Ideal für die regelmäßig erscheinenden Stiftungsseiten der Zeit. Meine Kunden würden sich wünschen, dass auf den Seiten auch mal über ihre Einrichtungen – etwa Schulen oder Krankenhäuser – geschrieben wird. Dank des christlichen Menschenbildes stehe dort nämlich der Mensch im Mittelpunkt. Die Stiftungen hätten aber Angst, dass die für ihre aufklärerische Haltung bekannte Wochenzeitung sie verreißt. Doch da müssten sie „keine Sorgen“ haben, beschwichtigt der Mitarbeiter. Denn die Anzeigenabteilung habe „den kompletten hundertprozentigen Einfluss darauf, was da geschrieben wird“.
Die Artikel auf den Stiftungs-Seiten würden von einer externen PR-Agentur geschrieben, erzählt der Mann. „Die PR-Agentur spricht dann mit dem Kunden und entwickelt das im Grunde genommen dem Interesse des Kunden gemäß.“ Die Seite mit den bezahlten Texten ist aber nicht als „Anzeige“ gekennzeichnet, sondern als „Anzeigenspezial des Zeit-Verlags“. Das gilt auch für die Reise-Beilagen der Zeit, in der Reiseveranstalter dafür bezahlen können, dass ihre Reisen vorgestellt werden.
Die Chefredaktion: „Die Trennung zwischen redaktionellen Texten und Anzeigen ist entscheidend für die Unabhängigkeit einer Zeitung“, sagt Chefredakteur Giovanni di Lorenzo am Telefon. „Und auch die Leser sagen: Ich brauche eine Zeitung nicht mehr, wenn ich das Gefühl habe, ich werde beschissen.“
Und was ist mit den Stiftungs-Seiten oder den Reise-Veranstaltungshinweisen? „Das hat mit Redaktion nichts zu tun. Das sind alles Anzeigen“, sagt er. Und verteidigt das offensiv: Die Texte „unterscheiden sich aber auch im Layout, von der Spaltenbreite, der Schriftart und der ganzen Aufmachung von den redaktionellen Seiten. Und zusätzlich steht auf jeder Seite noch ‚Anzeigenspezial des Zeit-Verlags‘.“ Er wäre noch nicht darauf gekommen, dass die Texte nicht als Anzeigen erkennbar seien. „Wenn der Eindruck einer redaktionellen Berichterstattung entstehen würde oder sogar beabsichtigt wäre, müssten bei uns alle Alarmglocken schrillen.“
Aber warum steht über den bezahlten Artikeln nicht das im Pressegesetz vorgeschriebene Wort „Anzeige“? Di Lorenzo kann das spontan nicht beantworten. Ich maile ihm den Gesetzestext und ein paar Urteile. Di Lorenzo mailt nach ein paar Tagen zurück: „Derzeit prüft der Verlag, ob die internen Richtlinien zur Trennung von redaktionellen Texten und Verlagstexten der neuesten Rechtsprechung und dem Hamburger Pressegesetz entsprechen.“
Darmstädter Echo
Die Anzeigenabteilung: „Bei diesem Objekt ist der Redakteur immer sehr wohlgesonnen“, sagt der Mitarbeiter bei meinem Besuch in Darmstadt. Es geht um die Artikel im Immobilienmagazin der Zeitung, das achtmal im Jahr dem Echo beiliegt. Der Titel des Magazins: i2 – Bauen, Wohnen, Finanzieren. Auf der Titelseite steht einmal unten rechts relativ klein, es handele sich um eine „Anzeigensonderveröffentlichung“. Dort können Anzeigenkunden sich wünschen, dass sie auch mal in einem Artikel vorgestellt werden, und dann kommt der wohlgesonnene Redakteur vorbei – so ist gesichert, dass am Ende kein Verriss herauskommt. Ähnlich läuft es beim Automagazin der Zeitung, das den Titel Die Hupe trägt. Der Mitarbeiter sagt: „Bei der Hupe, das kann man einfach davon abhängig machen: Wer zahlt, den nehmen wir.“
Die Chefredaktion: Die Trennung von Anzeigeninteressen und Artikeln sei „traditionell sehr wichtig, weil wir klar zu erkennen geben wollen, dass wir nicht der Büttel der Werbewirtschaft sind“, sagt Chefredakteur Jörg Riebartsch. Die Zeitung lebe von ihren Abonnenten, und die hätten den Anspruch, dass sie „nicht mit versteckten Werbebotschaften eingeseift werden“. Zwar würden manche Unternehmen verlangen, dass sie zusätzlich zu ihrer Anzeige auch einen redaktionellen Artikel bekommen. Aber „das machen wir nicht“, sagt Riebartsch. Auch in der Hupe oder im Immobilienmagazin könne man keine Artikel mit Anzeigen erkaufen: „Berichtet wird über die Themen, die relevant sind.“
Ich habe bisher gelernt: Man weiß nicht genau, was man als Leser eigentlich vor sich hat, wenn eine Seite eine „Verlagsbeilage“ oder „Anzeigensonderveröffentlichung“ ist. Die Zeitungen handhaben das unterschiedlich. Und selbst bei Seiten, die mit keinem dieser Begriffe gekennzeichnet sind, muss man aufpassen. Merkwürdig, denke ich mir. Warum machen die Zeitungen ihren Lesern gegenüber nicht transparent, welchen Einfluss die Anzeigenkunden nehmen können? Sie alle betonen doch, wie wichtig Glaubwürdigkeit ist.
■ Die Beispiele: Links die Seite, die die Frankfurter Rundschau zum Kauf anbot. Oben rechts steht: „Anzeigensonderveröffentlichung der Frankfurter Rundschau“. Rechts zwei Seiten aus der Reisebeilage der Zeit zum Layoutvergleich. Die linke der beiden Seiten ist nicht käuflich. Auf der rechten Seite stehen Anzeigen und Texte. Auch die Texte sind hier von Unternehmen geschrieben und bezahlt, oben auf der Seite steht klein „Anzeigenspezial des Zeitverlags“.
■ Das Gesetz: Wenn eine bezahlte Veröffentlichung nicht schon durch ihr Layout als Anzeige zu erkennen ist, muss sie mit dem Wort „Anzeige“ gekennzeichnet werden. So steht es in den Landespressegesetzen. In dem von Martin Löffler herausgegebenen maßgeblichen juristischen Nachschlagewerk zum Presserecht heißt es, bei der Verwendung anderer Begriffe sei „ein anderes Motiv als das der Tarnung ihrer entgeltlichen Werbung kaum erkennbar“.
■ Die Urteile: Immer wieder haben Gerichte geurteilt, dass nur das Wort „Anzeige“ dem Gesetz genügt. Eine Zeitung, die den Begriff „Anzeigenbeilage“ verwendet hatte, klagte sogar bis zum Bundesgerichtshof – und verlor. Dem Urteil zufolge „deutet der Wortsinn der Bezeichnung ‚Anzeigenbeilage‘ allein darauf hin, dass diese Veröffentlichung mehr Anzeigen enthält als der gewöhnliche redaktionelle Teil der Zeitung“. Der Leser könne aber nicht erkennen, dass alle Texte in einer solchen Beilage Anzeigen seien.
Märkische Allgemeine
Die Anzeigenabteilung: „Das wäre durchaus denkbar“, sagt der Mitarbeiter. Ich habe ihm gerade von meinen angeblichen Kunden erzählt: „Einige größere Versicherungen haben sich zusammengetan, um einen Marketingpool zu bilden, weil sie sagen, das Thema Versicherungen kommt insgesamt zu wenig vor.“ Die Versicherungen würden dafür bezahlen, dass die Märkische Allgemeine Zeitung ein Jahr lang monatlich über das Thema Versicherungen berichtet. Dabei müsse sie gar nicht die Namen einzelner Anbieter nennen, denn unsere Kunden würden zusammengenommen ohnehin den größten Teil des Marktes abbilden: „Es geht darum, dass man mehr über ein Thema berichtet, über das sonst in Zeitungen so nicht berichtet würde, und Aufmerksamkeit dafür zu schaffen.“
Der Mitarbeiter erklärt, für eine halbe Seite mit Anzeigen könnten wir eine weitere halbe Seite mit Artikeln bekommen. Die Seite wird, wie von mir gewünscht, nicht als „Anzeige“ gekennzeichnet, sondern als „Sonderveröffentlichung“. Für das Schreiben und Recherchieren der Artikel sei dann die Redaktion zuständig, sagt der Mitarbeiter. Ich verlange: „Die Grundmelodie soll natürlich sein, das serviceorientiert vorzustellen: Für wen lohnt sich das, für wen lohnt sich das nicht?“ Wenn die Redaktion einen Versicherungsskandal aufdecken wolle, dann dürfe sie das nicht auf der Seite mit den Versicherungsanzeigen machen, fordere ich. „Keine Skandale“, verspricht der Mitarbeiter.
Ich habe auch gleich einen Themenplan für die Artikel mitgebracht. Versicherungen seien „besser als ihr Ruf“, heißt es darin: „Statt Risiken und Problemen bieten sie Sicherheit und Schutz. So lässt sich das Leben ganz unbeschwert genießen.“ In dem Plan beschreibe ich auch, über welche Aspekte die Zeitung auf den einzelnen Seiten berichten soll. Eine Seite hätte ich gerne über Handyversicherungen, eine Seite über Musikinstrumentenversicherungen und eine über Hochzeitsversicherungen. Der Mitarbeiter sagt zu, das mit der Redaktion zu besprechen.
Gegen Ende des Gesprächs wird es unangenehm für mich. Der Mitarbeiter hat nämlich überprüft, ob es meine fiktive Werbeagentur wirklich gibt. Er habe „versucht zu recherchieren, aber wir haben da niemanden gefunden“. Er informiere sich bei neuen Kunden vorab über die Bonität. Die Zeitung könne nämlich aus technischen Gründen keine Rechnungen vorab stellen und müsse daher wissen, ob wir die erschienenen Anzeigen auch zahlen könnten.
Ich hatte auf der Website geschrieben, die Werbeagentur sei eine GmbH. Alle GmbHs sind in öffentlichen Registern geführt. Doch da hatte der Mitarbeiter nichts gefunden. Ich komme ins Schwitzen. Ich stammele, das Unternehmen sei bis vor kurzem eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gewesen – die müssen nirgendwo eingetragen sein. Die GmbH sei noch in Gründung, die Prüfung beim Amtsgericht ziehe sich leider länger hin als erwartet. Ob das wohl glaubwürdig klang? Er hakt jedenfalls nicht nach. Noch am selben Tag ändere ich die Website: „GmbH in Gründung“ steht nun dort.
Eine Weile später mailt mit der Mitarbeiter: „Anbei erhalten Sie die Themenvorschläge unserer Redaktion mit der Bitte um Rückruf.“ Angebote wie die Handyversicherung sind rausgeflogen, dafür würde die Redaktion über Angebote wie eine Krankenzusatzversicherung berichten. Ich rufe an, er sagt: Die Redaktion halte meinen Themenplan für nicht seriös und habe ihn umgeschrieben. Aber es bleibe bei den zwölf Seiten in einem Jahr, wenn die Versicherungen ihre bezahlten Anzeigen schalten.
Die Chefredaktion: „Die Trennung von Journalismus und Anzeigengeschäft wird hier im Hause noch fein säuberlich eingehalten“, sagt Chefredakteur Klaus Rost am Telefon. Bei der Zeitung aus Potsdam, die eine hundertprozentige Tochter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist, würden die Sonderveröffentlichungen zu Beginn des Jahres geplant. Die würden „allein danach ausgewählt, was interessant für unsere Leser ist“, sagt Rost. Ich frage ihn: Und was wäre, wenn mehrere Versicherungen auf die Zeitung zukommen, um ihre Anzeigen nur dann zu schalten, wenn die Zeitung ein Sonderthema über Versicherungen schreibt? „Das würden wir nicht machen“, sagt Rost.
Westdeutsche Allgemeine
Die Anzeigenabteilung: „Sie können den Titelplatz hier vorne kaufen“, sagt der Mitarbeiter bei unserem Gespräch in Essen, und zeigt mir das Automagazin Mein Auto. Für 66.666 Euro plus Mehrwertsteuer kommt das Auto nicht nur auf die Titelseite des Magazins, sondern wird auch innen auf einer Doppelseite vorgestellt. Der Text ist dabei nicht als „Anzeige“ gekennzeichnet. Auf jeder Seite steht oben nur klein „Verlagssonderveröffentlichung“.
Bei der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung kann man Artikel per Katalog bestellen. Der Katalog liegt schon für mich auf dem Schreibtisch bereit, als ich den Raum zu dem Gespräch mit dem Mitarbeiter betrete. „Sonderwerbeformen – Daten und Preise“ steht auf dem Titel, und dahinter kommen rund 60 Seiten voller Angebote zum Kauf von Anzeigen und Artikeln.
Zum Beispiel bietet die Zeitung Telefonaktionen an, bei der die Leser einen Experten anrufen können. Im Blatt steht dann: „Heute für Sie am Telefon: Unser Experte zum Thema Kaminofen.“ Die Zeitung wählt als Experten aber nicht immer den aus, der sich am besten auskennt, sondern den, der zahlt – mindestens 4.680 Euro.
Auch eine Reiseseite lässt sich kaufen. In dem Katalog heißt es: „Wir unterstützen Sie! In unserer Werbeform ‚Reise extra‘ können Sie ihre ‚klassische Anzeige‘ um einen passenden PR-Text ergänzen!“ Die Seite kostet 30.776 Euro.
Ich erzähle dem Mitarbeiter, dass unsere Werbeagentur auch eine Reihe von deutschen Banken berät, die sich seit der Finanzkrise Sorgen um das Image ihrer Branche machen. Ich sage, die Banken wollen nun „erklären, wo Fehler lagen, was dagegen unternommen wird, und auch die Maßnahmen der Bundesregierung zur Stabilisierung der Finanzmärkte erläutern“. Meinen Themenplan für die einzelnen Artikel zeige ich dem Mitarbeiter auch gleich. Die Banken würden keine Anzeigen schalten wollen, sondern nur für die Veröffentlichung der Texte zahlen. Die Kosten muss er erst ausrechnen, sagt der Mitarbeiter. Ein paar Tage später kommt sein Angebot per Mail: „Ein vierseitiges Banken Spezial ohne Anzeigen in der Gesamtausgabe kann ich Ihnen zum Gesamtpreis von 117.500 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer anbieten.“
So langsam zeigt sich ein Muster: Viele Zeitungen verkaufen vor allem Einfluss auf Artikel über Autos, Reisen, Geldanlage, Immobilien, Technik, Literatur oder Weiterbildung. Es sind Themen, bei denen die Leser Empfehlungen zu konkreten Kaufentscheidungen erwarten und besonders auf objektive Informationen angewiesen sind.
Die Chefredaktion: „Die Unabhängigkeit unserer Berichterstattung ist die Grundlage für das Ansehen dieser Zeitung“, sagt der leitende Redakteur Thomas Wels. Über die Verlagssonderveröffentlichungen könne er allerdings nichts sagen, denn für die sei die Hauptredaktion nicht zuständig. Also frage ich bei Unternehmenssprecher Paul Binder nach. Der stellt fest: „In unseren Verlagssonderveröffentlichungen können nur Anzeigen gekauft werden, keine Texte.“
Bild-Zeitung
Die Anzeigenabteilung: „Absolutes No-Go“, sagt der Mitarbeiter des Axel Springer Verlages in Berlin auf meine Frage, ob der Autokunde zu seiner Anzeige auch noch einen Artikel bekommt. „Darunter leidet die Glaubwürdigkeit des Titels.“ Er könne sich in seiner „neunjährigen Springer-Karriere nicht erinnern, dass so etwas jemals geklappt hätte“. Alle gekauften Inhalte seien als „Anzeige“ gekennzeichnet. Auch mit meinen anderen Schleichwerbungsangeboten bei Bild scheitere ich.
Nur im Schwesterblatt Bild am Sonntag kann ein Unternehmen „exklusiver Partner“ eines achtseitigen „Journals“ werden. Dort schreibt die Redaktion über Zahngesundheit, Fernreisen oder Autos, daneben erscheinen die Anzeigen des Unternehmens. „Voraussetzung ist die Zustimmung der Chefredaktion“, heißt es in den Verkaufsunterlagen. Die Seiten werden weder als „Anzeige“ noch mit einem Begriff wie „Sonderveröffentlichung“ gekennzeichnet.
Die Chefredaktion: Die Trennung von Anzeigen und Artikeln ist „natürlich absolut zwingend für unsere Arbeit“, sagt Bild-Chefredakteur Kai Diekmann. „Bei uns arbeiten Redaktion und Anzeigenabteilung komplett getrennt voneinander.“ Über die Bild am Sonntag könne er allerdings nichts sagen und verweist auf deren Chefredakteur Walter Mayer. Der sagt: „An den Versuch einer Einflussnahme von Anzeigenkunden auf redaktionelle Inhalte kann ich mich nicht erinnern.“ Die Leser seiner Zeitungen gingen allerdings, „wie der moderne Medienmensch generell, souverän mit Werbung um. Wir müssen also bestimmt kein ‚Achtung, hier wird Ihnen was verkauft!‘-Warnschild vor jeder Anzeige aufstellen.“
Neues Deutschland
Die Anzeigenabteilung: „Wir haben hier auch richtig redaktionelle Beiträge, die wir uns über Produktionskostenzuschüsse bezahlen lassen“, sagt der Mitarbeiter in den Räumen der sozialistischen Tageszeitung, in einem grauen Plattenbau im Osten Berlins. Produktionskostenzuschuss bedeutet, dass ich nicht für eine Anzeige bezahle, sondern direkt für einen Artikel, den das Neue Deutschland, ND, druckt. Er zeigt einen Artikel über eine Organisation, den deren Pressesprecher geschrieben und bezahlt habe.
Für die Leser ist nicht erkennbar, dass der Artikel gekauft ist. „Das sieht man nun jetzt hier gar nicht“, sagt der Mitarbeiter. Im Titelkopf der Seite steht: „ND Extra – Beilage der Tageszeitung Neues Deutschland“. Auf diese Seiten habe er den meisten Einfluss, sagt der Mitarbeiter. Alle paar Wochen erscheinen die Seiten zu speziellen Themen, etwa „Vereine und Verbände“ oder „Aktiv im Alter“ oder „Geschenkideen zu Weihnachten“.
Ich sage, dass auch ein Autohersteller zu unseren Kunden zählt. Der würde sich fragen, ob nicht eines seiner Fahrzeuge vorgestellt werden könnte. „Da kann ich Ihnen überhaupt keine Zusagen machen“, sagt der Mitarbeiter, „weil der Autoredakteur ein großer Stinker ist, der es schon fertig gebracht hat, unseren fast einzigen Autokunden so richtig mies runterzumachen redaktionell.“ Der Hersteller habe anschließend drei Jahre lang keine Anzeigen mehr geschaltet.
Doch es findet sich ein Weg, den störrischen Redakteur zu übergehen. Der Mitarbeiter schlägt vor, „dass wir redaktionell in ein ‚ND Extra Reise‘ gehen“. Das finde ich gut, sage ich, dann könne man das Auto ja unter Reisegesichtspunkten vorstellen, vielleicht als Auto für Langstrecken.
Dem Mitarbeiter ist es übrigens lieber, wenn wir die Artikel schreiben. „Ich krieg das hier besser durch, wenn Sie sagen, dass die Daten geliefert werden“, sagt er. Das sei leichter, als einen Redakteur dazu zu bekommen, einen Text auf Bestellung zu schreiben: „Die fangen eben vielleicht auch noch an zu meckern und sagen: Darüber wollte ich jetzt aber gerade nicht schreiben.“ Diese Redakteure „sind ja Künstler“, sagt er, und verdreht die Augen.
■ Ort: Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, Berlin
■ Anbindung: Der Bus 100 hält direkt vor der Tür. Vom Hauptbahnhof sind es 13 Minuten zu Fuß.
■ Eintrittskarten: Wir stellen es den BesucherInnen frei, einen Preis zu wählen: 10, 20 oder 30 Euro. Karten gibt es im tazshop (Rudi-Dutschke-Str. 23), online unter www.tazlab.de oder direkt vor Ort.
■ Freitag, 8. April: Um 19 Uhr hält Evgeny Morozov den Eröffnungsvortrag: „Revolution, Demokratie, Utopie: Vom Internet übermittelt?“
■ Samstag, 9. April: Ab 9.30 Uhr gibt es mehr als 30 parallele Vorträge, Diskussionen und Workshops. Um 13.30 Uhr etwa: „Wem gehört der Journalismus? Wie die Unabhängigkeit der Medien gesichert werden kann.“ Das volle Programm: www.tazlab.de
Ich spreche ihn noch auf die Anzeige eines Reiseveranstalters an, die ich in der Zeitung gesehen habe: Darin ist als Adresse zur Bestellung der Reise nicht der tatsächliche Reiseveranstalter angegeben, sondern das Neue Deutschland. Der Mitarbeiter erklärt: „Die ND-Leserschaft ist dem ND derartig verbunden, dass das für den Kunden ein Vorteil ist. Der Leser weiß dann nämlich: Das kann nur gut sein, wenn das vom ND kommt. Und wenn ich es auch noch ans ND schicke, dann ist das doppelt gut.“ Dabei schickt das Neue Deutschland die Bestellungen lediglich an den Reiseveranstalter weiter. Aber die Leser fallen darauf rein. „Die lesen das ND wie die Bibel“, sagt der Mitarbeiter.
Wer beim Neuen Deutschland einen Artikel kauft, erhöht aber nicht nur die Glaubwürdigkeit seiner Werbebotschaften. Es ist auch billiger. Die Zeitung gibt nämlich einen Rabatt von 66 Prozent, wenn man einen Artikel statt einer Anzeige kauft. Eine farbige Anzeige über eine Viertelseite in der Samstagsausgabe kostet 3.000 Euro, rechnet der Mitarbeiter vor, ein gleich großer Artikel kostet nur 1.000 Euro.
Die Chefredaktion: Für Chefredakteur Jürgen Reents ist die Trennung zwischen redaktionellen Texten und dem Einfluss von Anzeigenkunden „sehr wichtig“, um „die Unabhängigkeit und Seriösität unserer Berichterstattung zu garantieren“. Das gelte auch für das ND Extra: „Auch da kann man bei uns nicht Texte kaufen.“ Er habe aber den Eindruck, dass es bei manch anderen Zeitungen so eine Vermischung gebe, ohne konkrete Beispiele nennen zu können. Er findet das jedenfalls „ärgerlich, weil so etwas insgesamt die Glaubwürdigkeit der Presseerzeugnisse beeinträchtigt“.
Der Spiegel
Die Anzeigenabteilung: „Unsere Redaktion ist komplett unabhängig, da haben wir keinen Einfluss drauf“, sagt der Mitarbeiter der Anzeigenabteilung, der neben dem Spiegel auch für das Schwesterblatt Manager Magazin zuständig. „Das garantiert dem Leser ja auch die Qualität und Güte und Unabhängigkeit im Blatt, dass da nicht Gefälligkeitsjournalismus stattfindet.“
Ich habe wirklich viele schöne Vorschläge ins Hamburger Spiegel-Gebäude mitgebracht: Schleichwerbung für Carsharing, Schleichwerbung für Geldanlage in Österreich und Schleichwerbung für Leasing. Doch der Mitarbeiter bekennt sich offensiv zur Trennung von Artikeln und Werbeinteressen. Er sei da „persönlich ein großer Fan davon, weil ich freue mich, dass man in Deutschland unabhängig informiert werden kann“. Am Ende kann ich nur feststellen: „Scheint so, als kämen wir nicht zusammen.“
Mir fällt auf, dass die Mitarbeiter in den Anzeigenabteilungen insgesamt viel formaler gekleidet sind als die oft locker angezogenen Journalisten. Die Männer in den Anzeigenabteilungen tragen Anzug und Krawatte, die Frauen Kostüm oder Hosenanzug. Offenbar haben viele eine kaufmännische Ausbildung. Bei einigen merkt man noch etwas Restscham beim Verkauf von Artikeln an Anzeigenkunden. Die meisten erklären aber einfach nur professionell, welche Inhalte in ihrer Zeitung käuflich sind und welche nicht.
Die Chefredaktion: „Uns ist extrem wichtig, dass wir die Trennung von Anzeigen und redaktionellen Texten einhalten“, sagt Hans-Ulrich Stoldt, Co-Leiter des Deutschland-Ressorts. „Das ist für uns eine Frage der Glaubwürdigkeit, und davon leben wir.“ Es gibt im Spiegel auch keine „Anzeigen-Sonderveröffentlichungen“. Nicht einmal solche, bei denen allein die Redaktion den Inhalt und Umfang plant. Stoldt: „Es geht um die redaktionelle Unabhängigkeit. Wenn wir Unternehmen zusagen würden, dass wir in einer bestimmten Woche ein Thema groß im Heft hätten, und sie unter dieser Voraussetzung Anzeigen schalten würden, könnten wir nicht mehr auf aktuelle Entwicklungen so reagieren, wie wir es wollen.“
Geo Saison
Die Anzeigenabteilung: „Wenn Sie sagen, Sie wollen so ein Extraheft machen, dann würde die Redaktion mit Ihnen und den Kunden zusammensitzen und man würde dann über die Ideen sprechen“, sagt der Mitarbeiter. Ich habe gerade gefragt, ob die Redaktion über Thüringen als Reiseland berichtet, wenn wir im Gegenzug ein paar Anzeigen vermitteln. Das komme häufiger vor, erläutert der Mitarbeiter. Es gebe dann sogar einen eigenen Beihefter nur über dieses Thema. „Geo Saison – Eine Beilage zur Ausgabe 3/2011“ steht dann etwa auf der Titelseite. Einen Hinweis darauf, dass das Reisemagazin ohne die Anzeigen aus Thüringen nicht so groß über Thüringen berichten würde, findet sich nirgendwo.
Zwar kann man das Thema des Heftes gemeinsam absprechen, erklärt der Mitarbeiter. Doch für den Inhalt der einzelnen Artikel sei allein die Redaktion zuständig: „Wie sie das nachher schreiben, das ist dann wieder deren Sache.“ Auch der Auftraggeber, der dafür bezahlt, profitiert davon: Ein Qualitätsabfall sei „nicht feststellbar für die Leser“. Der glaube, er habe ein ganz normales Geo-Saison-Heft vor sich: „Weil es muss ja so aussehen, dass der Leser denkt: Das ist ganz normal meins.“
Die Chefredaktion: „Das Image von Geo ist Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit“, sagt Geo-Saison-Chefredakteur Lars Nielsen. „Und wenn die Leser dann das Gefühl haben, dass wir Anzeigen und Artikel nicht sauber trennen, dann sind sie wirklich beleidigt.“
Und die Beilagen? Die würden ja immer mit der Redaktion abgesprochen, sagt Nielsen: „Wir entscheiden, ob wir das machen, wann wir das machen und was wir da machen.“ Aber es sei schon richtig: „Eine Beilage erscheint, wenn zwei Dinge zusammenkommen: Unser inhaltliches Interesse, eine Region vorzustellen, und die Anzeigen dazu.“ Wenn eine Region aber einfach nicht interessant sei – er nennt als Beispiel Nordkorea und Weißrussland –, dann könne es dazu keine Beilage geben.
Die Beilagen werden auch stets auf dem Titelbild angekündigt, sagt Nielsen. Die seien „für uns ein wichtiges Verkaufsargument dem Leser gegenüber. Die sind immer ein nettes Extra.“ Die Zeitung werde inhaltlich attraktiver und bekomme mehr bezahlte Anzeigen: „Keks und Schokolade“, sagt Nielsen.
■ Mehr Details zur Recherche bei den zehn Zeitungen, Abbildungen von vielen gekauften und nicht gekauften Seiten im Layoutvergleich, Gerichtsurteile zur Schleichwerbung und die schönsten Katalogangebote der „Westdeutschen Allgemeinen“: www.taz.de/rechercheblog
■ Sebastian Heiser, 32, ist sonntaz-Redakteur