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Archiv-Artikel

Kaufmannsladen für Erinnerungen

KUNST ZUM MITMACHEN In jedem Sommer betreibt die Künstlerin Seraphina Lenz im Neuköllner Carl-Weder-Park die „Werkstatt für Veränderung“. Dabei trotzt sie dem Wetter genauso wie dem Vorurteil, Sozialarbeit zu leisten

Das Ziel ist etwas, was sich kaum leicht greifen lässt: den Blick der Beteiligten zu ändern

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Eine schöne Regenjacke und ein paar Gummistiefel in leuchtenden Farben: Das will sich Seraphina Lenz gerne kaufen. Denn dieses Jahr hat es wieder geschüttet, als sie am 14. August die letzte „Werkstatt für Veränderung“ im Carl-Weder-Park in Neukölln eröffnet hat. Das Wetter hat in jedem Jahr für Überraschungen gesorgt, seit sie 2003 mit der Werkstatt begann. Jetzt sitzt sie während eines kräftigen Schauers unter dem Dach des Pavillons, der bis zum 4. September jeden Nachmittag für die Werkstatt aufgeschlagen wird, und denkt über eine Frage nach: Hat sie vor fast zehn Jahren, als sie bei einem Wettbewerb für die Parkgestaltung ihr Konzept einreichte, vorausgeahnt, wie sehr sie damit eine Entscheidung für ihr eigenes Leben als Künstlerin prägte? Eigentlich nicht.

Ein Junge bringt Kuchen und verabschiedet sich dann, entschuldigend: Sein Hase, den er im Arm hat, müsse jetzt nach Hause, es sei zu nass. Vier schmale Mädchen in Rosa und Lila kommen noch, „Seraphina, was kam man hier machen?“ Sie zeigt ihnen Ringe aus kleinen Blüten und Pailletten, die dieses Jahr gebastelt werden: Das ist gedacht als Souvenir an das Jahr 2006, als Seraphina Lenz unter dem Motto „Balkon für alle“ Blumeninseln im Park anlegte. Die vier wollen wieder kommen. Einen größeren Jungen fragt sie, ob er gerne schreibt, und als er ja sagt, ist er eingeladen für die letzte Werkstatt, „mitschreiben“: Denn dieses Jahr will sie dokumentieren, was bisher geschah.

Auch zehn Jahre nach seiner Entstehung sieht der Carl-Weder-Park, der über der Deckelung eines Autobahntunnels angelegt wurde und vom Britzer Damm abzweigt, noch immer wie ein Parkanfänger aus. Jedes Jahr begann die Werkstatt deshalb mit einer Reinigung der Wiese. Die Entscheidung der bezirklichen Kulturverwaltung, hier keine Skulptur als Verschönerung abzusetzen, sondern über mehrere Jahre den Bewohnern mit der Werkstatt ein Angebot zu machen, ist nach wie vor ungewöhnlich. Denn partizipatorische Kunst ist aufwändig in der Organisation und Budgetierung. Jedes Jahr engagiert Seraphina Lenz andere Spezialisten für die Workshops, diesmal für eine Schreibwerkstatt und fürs Buchbinden.

Eine schöne Kassette mit Werkstattbriefen gibt es schon, mit großen Fotos auf der einen Seite der zusammengefalteten Bögen: Da sieht man das weiße Pferd, das 2005 eine Koppel im Park bezog, einsam, ein wenig surreal, Fantasien erzeugend. Oder einen Prinzessinnenreigen von langhaarigen Mädchen, die in weißen Kleidern auf der Wiese tanzten. Einmal wurde Gemüse gepflanzt, wurden Rezepte gesammelt und in einer Broschüre zusammengefasst, am Ende wurde geerntet und alles bei einem Eintopffest verspeist.

Die Handschrift der Künstlerin schlug sich dabei oft unmerklich nieder, in den Proportionen der Pferdekoppel, in den ausgesuchten Materialien, in der Strukturierung von Abläufen. Das Ziel ist etwas Ungreifbares und doch real Existierendes: den Blick der vielen Beteiligten, Kinder und Familien, auf den Park zu ändern, mit anderen Erinnerungen zu belegen. Dass man, trotz so unterschiedlicher Ausgangspunkte, etwas zusammen auf die Beine gestellt hat.

Dass solche partizipatorischen Kunstkonzepte leicht wie Sozialarbeit angesehen werden, hat Seraphina Lenz, die seit 1997 in Berlin lebt, hinzunehmen gelernt, obwohl ihre Motivation eine andere ist. „Die Leute brauchen mich nicht, um sich kennenzulernen“, fasst sie einmal ihre Erfahrung zusammen, aber sie als Künstlerin braucht die Leute, um deren Blick auf die Dinge zu erfahren. Das nimmt die Bildhauerin mit in ihr Atelier.

Schaut man auf ihre Skulpturen und Installationen, dann sind auch die von einer Balance zwischen Präsenz und Zurücknahme geprägt: Etwa eine Gruppe „leichter Säcke“, aus Papier und luftgefüllt. Das Zarte und das Gewichtige so miteinander zu verknüpfen, dass beide doch eigentlich entgegengesetzte Eigenschaften miteinander verschmelzen, ist schon eine besondere bildhauerische Aufgabe. In einer Serie von Zeichnungen und Collagen setzt sich das fort: bildhauerische Formen gehen mit Ästen, Blättern und Wurzeln, die in der Luft zu ankern scheinen, eigenartige Verbindungen ein.

Vor zwei Jahren gründete Seraphina Lenz mit sechs andern Berliner Künstlern den Projektraum oqbo in der Brunnenstraße. In einem Papierschrank im Hinterzimmer sind immer Arbeiten von allen zu sehen. Das ist auch wieder eine unauffällige und kollektive Form der Vorratshaltung von Kunst und Information. Man muss weiße Handschuhe anziehen, wenn man durch die Zeichnungen, Collagen oder Fotografien in den Schubladen blättern will, und diese kleine Geste ist ein sinnlicher Ausdruck des Respekts vor der Kunst.

Abläufe organisieren, Kontexte erzeugen, Reaktionen erfahren und einbeziehen: Das ist etwas, was Seraphina Lenz in ihren acht Jahren im Carl-Weder-Park immer wieder neu geprobt hat. „Veränderung braucht wahnsinnig viel Zeit“, sagt sie. Einige der Kinder, die ihr diesmal bei der Herstellung der Souvenirs helfen, wurden zu Beginn der Werkstatt im Kinderwagen durch den Park geschoben.