: Der Spielplatzbauer
JUNGE REGISSEURE II Antú Romero Nunes liebt offene Versuchsanlagen. Er ist mit Schillers „Geisterseher“ bei Radikal Jung dabei
■ Zum sechsten Mal lädt das Volkstheater München vom 9. bis 16. April zum Festival Radikal Jung ein. 40 Inszenierungen hat sich die Jury, der die Schauspielerin Annette Paulmann, der Theaterkritiker Bernd C. Sucher und der Chefdramaturg Kilian Engels angehören, in deutschen Stadttheatern angesehen, um neun davon (aus Hamburg, Dresden, Berlin, Leipzig, Frankfurt und Bochum) in ihr schönes Haus nach München zu holen. Antú Romero Nunes ist mit seinen 26 Jahren unter ihnen der Jüngste und schon viel beschäftigt, aber auch Simon Solberg, der das drittemal ans Volkstheater kommt, ist erst knapp Anfang dreißig. Drei der Stücke sind dabei Uraufführungen, „Himmelangst“ von Daniela Dröscher, „Im Pelz“ von Katharina Schmidt und „Eros“, eine Romanadaption, von Christine Eder für das Volkstheater München eingerichtet. Radikal Jung ist übrigens das einzige größere Theaterfestival, das regelmäßig ebenso viele Regisseurinnen wie Regisseure vorstellt.
■ Infos unter: www.muenchner-volkstheater.de
VON ANNE PETER
Am liebsten spricht er über die Proben. Wenn Antú Romero Nunes davon erzählt, wie Schauspieler auf der Bühne „vor Energie sprühen“, wie sie „abdrehen“, rutscht dem ernsthaften jungen Mann unter den dunklen, verwuschelten Haaren ein breites Lächeln in den Dreitagebart – Spielfreude ist die schönste Freude. Dass das eine Arbeit sein soll, für die man auch noch bezahlt wird, verwundert den 26-Jährigen immer noch: „Man lacht zusammen, findet Sachen raus – das macht so Spaß!“
Am Making-of lässt Nunes auch den Zuschauer immer noch ein Stück weit teilhaben. Das Spiel wirkt so locker improvisiert, die Theatersituation wird so selbstverständlich mitgespielt, als befinde man sich immer noch ein bisschen auf der Probe. Dafür müssen die Schauspieler verstehen, warum sie etwas tun. Es gilt eine Erzählweise zu finden, in der sie selbstständig mit- und weiterdenken können: „Wenn der Spielplatz erst mal gebaut ist, muss ich dem Schauspieler nicht mehr sagen, wie er zu rutschen hat.“ Nunes will nicht, dass die Spieler „lügen“, eine Als-ob-Fiktion herstellen. „Wichtig ist nicht, dass der Schauspieler weint, sondern dass das Publikum weint.“
Was an seiner Arbeit ebenso besticht wie im Gespräch, ist die Mischung aus Denkarbeit und Lässigkeit. Seine Inszenierungen wirken unangestrengt, leichthändig, nicht verkopft. Und doch ist da eine Ernsthaftigkeit, die sie trotz ihres hohen Unterhaltungsfaktors nie ins Seichte driften lässt. Als er begann, Schillers unvollendet gebliebenen Fortsetzungsroman „Der Geisterseher“ zu proben, in dem ein Prinz in Venedig unter gauklerischem Einfluss immer mehr dem Glauben und sich selbst abhandenkommt, hat Nunes mit den Darstellern Paul Schröder und Jirka Zett erst einmal anderthalb Wochen philosophische Texte von Schiller gewälzt. Er frage immer: „Was bedeutet dieser Text für mich? Wo dockt man emotional an?“ Irgendwann sei der Text und seine Lebenssinn-Fragen den beiden Spielern „ins Herz gerutscht“. Als sie nämlich eines Abends verzweifelten, weil ihnen die radikale Verweigerung eines teleologischen Sinns in Schillers Stück unzumutbar für die Zuschauer erschien. Dass aber die Inszenierung deshalb mittendrin abbricht, wie Schillers Text auch, ist eben einer dieser mitnehmenden Momente.
Im Studio des Berliner Maxim Gorki Theaters kann man den beiden Spielern beim Fabulieren, Erfinden, Entdecken der Geschichte zusehen, als entstünde das alles gerade jetzt und hier. Als wären wir die glücklichen Zeugen eines Theaters, das seine eigene Verfertigung nicht verbirgt. Ohne Bühnenbild oder Requisiten erspielen sie sich den „Geisterseher“, in dem auch Erasmus-Studenten und Interrail vorkommen. Ein paar Lichteffekte, Nebel, Musik – und fertig ist der Budenzauber.
Nunes Diplominszenierung gastiert dieser Tage beim Münchner Festival Radikal Jung. Seine Studienzeit an der renommierten Ernst-Busch-Schule in Berlin beschreibt er als keine glückliche. „Es wurde einem der geschützte Raum suggeriert, aber wenn man etwas ausprobiert hat und gescheitert ist, wurden sofort die Messer rausgeholt.“ Die Stimmung am BAT-Studiotheater sei mies gewesen, „einfach kein gutes Umfeld“. Man legte ihm nahe, lieber etwas anderes zu machen. Nunes bewarb sich auf der Filmhochschule in Kuba, hat dann aber doch durchgehalten.
Als Sohn einer chilenischen Mutter und eines portugiesischen Vaters ist er in Tübingen aufgewachsen und hat dort Schultheater gemacht. Wenn er heute davon erzählt, wie er einmal vor 900 Leuten den Melchior aus „Frühlingserwachen“ gespielt hat, lacht er und winkt ab: „Völliges Untalent! Ich stand da und wusste: Was ich hier gerade mache, ist richtig schlecht.“ Nach dem Abi ist er für sechs Monate nach Chile gegangen und hat dort bei Theater- und Filmproduktionen assistiert.
Heute stehen die Intendanten regelrecht Schlange bei ihm. Gerade hat er in Essen inszeniert, davor am Hamburger Thalia Theater und noch mal am Maxim Gorki Theater. Mit Anika Baumann und Michael Klammer hat er dort Oliver Klucks „Prinzip Meese“ als charmante Matratzenlager-Lümmel-Nummer eingerichtet: eine überdrehte Skizze jener gut ausgebildeten, sich aber bloß mit temporären Jobs und ohne Visionen über Wasser haltenden Generation Privatfernsehen. Klucks nicht eben formübliches Stück zoomt sich in den monologisch vor sich hin sprudelnden Kopf eines Twentysomethings hinein, ohne Figuren oder Dialoge zu umreißen. Nunes mag solche Texte, bei denen „man sich etwas einfallen lassen muss“. Erfrischend zupackend und ohne Ehrfurcht geht er dabei zu Werke, streicht, ironisiert, lässt dazuimprovisieren – und tut dem Stück dabei nur Gutes. Auch das ein Zuschauglück.
■ „Der Geisterseher“ beim Festival Radikal Jung am Münchner Volkstheater: 10. April ■ „Das Prinzip Meese“ im Gorki-Studio Berlin: 19. und 27. April ■ „Sinn“ am Schauspiel Essen: 26. und 27. April■ „Invasion“ am Thalia Theater Hamburg: 11., 15. und 17. April