: An den Seiten schnüffeln
KUNDEN Wo kaufen Autorinnen und Autoren eigentlich ihre Bücher? Wir haben vier von ihnen gefragt
KONZEPT STEFAN WEISS UND KERSTEN AUGUSTIN
Nieder mit Amazon!
Amazon ist ein widerlicher Monopolist. Ich vermeide es, dort etwas zu bestellen. Unlängst musste ich es leider tun, weil in Italien der Buchhandel nicht mehr normal funktioniert, die Läden reihenweise eingegangen sind – eben wegen Amazon. Eine grauenhafte Entwicklung!
Am meisten empört mich, dass auch Leute meiner Generation, die in jungen Jahren lauthals gegen den Monopolkapitalismus gekräht haben, ungeniert bei einem der größten Monopolisten bestellen und dabei überhaupt kein Problem sehen. Mich ärgert, dass ich zu Hause in Berlin ständig wegen doofer Pakete herausgeklingelt werde, die von Nachbarn bei Amazon bestellt wurden. Um ein Buch zu kaufen, muss ich es in die Hand nehmen, darin blättern, zwei, drei Seiten lesen. Hässliche Bücher kaufe ich sehr ungern.
Ob ein Buch gut oder schlampig oder eben hässlich gemacht ist, das sieht man erst, wenn man es in die Hand nimmt. Ich orientiere mich auch weniger an den Rezensionen, ich halte ein Buch lieber in Händen, beschnüffele es gleichsam. Unsere Städte werden belebt durch kleinere Geschäfte, werden belebt durch die persönlichen Kontakte, die wir mit den Ladeninhabern oder deren Personal pflegen. Kurzum, ich liebe den Einzelhandel, liebe Verkäufer, die sich freuen, wenn ich ihren Laden betrete, tausche zwei, drei lustige Sätze mit ihnen aus, und schon ist die Stimmung ein wenig gehoben.
Mir sind direkte menschliche Kontakte äußerst wichtig. Sie beleben den Alltag. Wirklich gute Buchhändler, die ihr Geschäft mit Liebe betreiben, kennen ihre Kunden. Sie empfehlen mir mitunter Bücher, auf die ich selbst vielleicht nicht gekommen wäre. Im Übrigen habe ich immer gern Bücher gekauft. Sie sollen ruhig etwas kosten. Ich hasse es, wenn man mir Bücher unverlangt schickt. Mit dem Bezahlen drücke ich aus, dass ich das Objekt ehre und es ernst mit ihm meine. Unverlangt an mich abgeschicktes Zeug landet in der Papiertonne. Nieder mit dem planlosen Herumschicken! Nieder mit Amazon!
■ Sibylle Lewitscharoff, 59, ist Schriftstellerin. Im Jahr 2013 erhielt sie den Büchnerpreis. Gerade erschien von ihr „Pong Redivivus“
Wie Kino und Brief
Zuletzt habe ich „Angela Merkel – die Kanzlerin und ihre Welt“ von Stefan Kornelius gelesen. Gekauft habe ich es in der „Literaturhandlung“ in München. Diese von Rachel Salamander gegründete Institution für jüdische Literatur ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie wichtig es auch heute noch ist, von versierten Experten beraten zu werden.
Nicht ohne Grund ist Buchhändlerin ein Ausbildungsberuf. Ich lasse mich gerne beraten und bin offen für Tipps, die auf meine Vorlieben ausgerichtet sind. Freilich können mir auch Internetportale per Algorithmus individualisierte Vorschläge machen. Aber ich bin nun mal eine Verfechterin des direkten zwischenmenschlichen Kontakts. Unser Zusammenleben beruht auf Dialog. Ich möchte nicht akzeptieren, dass dieser elementare Bestandteil gesellschaftlichen Miteinanders immer mehr durch digitale Prozesse ersetzt wird.
Natürlich verschließe ich mich nicht der Realität. Auch ich habe schon online Bücher bestellt. Amazon und seine Mitstreiter haben freilich die Branche revolutioniert und das Lese- und Kaufverhalten des Publikums verändert. Jedoch, die kleinen Buchläden haben ihren speziellen Charme und ich möchte mir nicht vorstellen, dass auch sie weitere vermeintliche Relikte der Vergangenheit sein sollen. Ich wünsche mir, dass solche liebenswerten Einrichtungen auch in Zukunft ihren Platz, ihre Existenzberechtigung und eine reale Überlebenschance haben – ebenso wie das Kino, die Zeitung und der geschriebene Brief.
■ Charlotte Knobloch, 80, ist Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München. Sie schrieb das Buch: „In Deutschland angekommen“
Auf die Wichsleber!
Meine Buchhändlerin heißt Anna Jeller. Vielleicht ist sie die beste Buchhändlerin der Welt, wenigstens Wiens, das sich selbst als Welt genügt. Ich saß bei ihr und trank Kaffee, eine schottenberockte junge Frau, Jurastudentin, was in Österreich Jusstudentin heißt, fragte nach einem Buch von Philip Roth. Die Studentin hätte einen Schmiss im Gesicht gehabt, hätten Frauen dort fechten dürfen. Sie hatte sich offenbar in die Jeller’sche Gegenwelt verirrt. Die Jeller empfahl „Portnoys Beschwerden“, weil ihr die Wichsleber über die Maßen gut gefiel. Die Schottenberockte, ohne jede Affinität zu Onanielebern, ging langsam und rückwärts aus Anna Jellers Laden und einer ihr fernen Welt raus. Die Jeller und ich wussten, dass die Schottenberockte, sollte sie einmal in einer Nobelpreisjury sitzen, nicht für Roth stimmen wird. Wir beide aber redeten noch lange über die Leber. Ich verließ die Buchhandlung mit einem Roman von Mordecai Richler im Papiersackerl, auf dem Anna Jellers Motto steht: „Verlassen Sie das Land“.
■ Dirk Stermann, 47, ist Autor und Kabarettist. Zuletzt erschienen: „Stoß im Himmel: Der Schnitzelkrieg der Kulturen“
Unterwegs als Paul Weber
Wenn ich in einer Buchhandlung etwas bestelle, nenne ich mich seit langer Zeit Paul Weber. Dann muss ich meinen Namen nicht buchstabieren, und natürlich ist es auch eine Eitelkeit. Das Sozialverhalten des Schriftstellers als Kunde in einer Buchhandlung ist schwierig: Mit den Leuten dort sprechen? Nicht sprechen? Das Nichtsprechen thematisieren? In welchem Winkel soll ich an meinen eigenen Büchern vorbeiblicken, 30 Grad oder 45 Grad, oder soll ich mich mit dem Rücken zu ihnen stellen, sofern sie überhaupt da sind? Da ist ein Tarnname ein Glück.
Ich mag die Zeit am liebsten, wenn die Buchhändler das Spiel durchschauen, aber es eine Weile mitspielen. Dieses verschwörerische Leuchten in ihren Augen, bis sie den Fehler begehen, mich darauf anzusprechen, und ich bald nicht mehr hingehe. Unlängst ist mir das in einer Hamburger Design-Buchhandlung passiert, in der meine Tochter gern auf dem Boden sitzt und in den Kinderbüchern blättert. Ich war bei den Bestsellern, als eine Stimme in meinem Rücken sagte: „Aber wir haben ihr Buch auch, Herr G…“ Vielleicht war es dieses „aber“, der Trost darin, den ich nicht brauche. Ich habe jedenfalls ziemlich unwirsch reagiert.
Zuletzt habe ich dort gekauft „Gehen“ von Tomas Espedal, nach der Empfehlung eines Freundes, sowie „Black Box“ von Jennifer Egan, weil ihr Roman „Der größere Teil der Welt“ mir Eindruck gemacht hat wie lange kein anderer Roman mehr.
■ Norbert Gstrein, 52, ist Schriftsteller und Träger des Ingeborg-Bachmann-Preises. Im Jahr 2013 erschien sein Roman „Eine Ahnung vom Anfang“