: Der Geist und das Strukturproblem
THEATERWISSENSCHAFT Geschichtsvergessen scheint die Entscheidung, das Institut für Theaterwissenschaften in Leipzig wegzusparen. Heute Nachmittag wird zum Protest dagegen eingeladen
Im Januar wurde bekannt, dass an der Universität Leipzig 24 Stellen eingespart werden sollen, davon allein 5 am Institut für Theaterwissenschaft, dessen Überleben damit ernsthaft in Frage steht. Der Schritt wird mit sinkenden Studentenzahlen begründet. Tatsächlich kann das Institut von um die 200 Bewerbern pro Semester stets nur etwa 60 zum Studium aufnehmen. Tendenz der Bewerbungen: steigend, sagt Micha Braun, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut. Einen Kriterienkatalog, nach dem eine Bewertung des Instituts stattgefunden hätte, das die Maßnahmen rechtfertigen würde, gebe es ebenfalls nicht.
Das Leipziger Institut für Theaterwissenschaften ging aus der berühmten Leipziger Theaterhochschule „Hans Otto“ hervor, an der unter anderem der Regisseur (und Leipziger Ex-Intendant) Sebastian Hartmann oder der Schauspieler und Oscar-Preisträger Ulrich Mühe ausgebildet wurden. Nach ihrer Abwicklung 1992 wurde die Schauspielausbildung der Hochschule für Musik und Theater angegliedert, die Theaterwissenschaft der Fakultät für Geschichte, Kunst- und Orientwissenschaften der Uni Leipzig. Hier ist sie nun zwanzig Jahre nach Aufnahme des Lehrbetriebs erneut bedroht.
Damit aber würde einem Institut der Garaus gemacht, dessen wissenschaftliches Profil in diesem Land ziemlich einmalig ist: es ist eines der letzten theaterwissenschaftlichen Institute, das Theater als kulturelle Praxis noch von ihrer Geschichtlichkeit denkt und erforscht. In vielen anderen Instituten dieses Fachs ist Theatergeschichte als Medien- und Öffentlichkeitsgeschichte und nicht zuletzt auch politische Geschichte längst marginalisiert oder ganz abgeschafft.
Nicht zuletzt wird in Leipzig auch die Geschichte des DDR-Theaters erforscht. Darüber hinaus verfügt das Institut über gute Netzwerke zu osteuropäischen Theaterkulturen und Institutionen, auch das ein Leipziger Alleinstellungsmerkmal.
Institutsmitarbeiter Micha Braun sieht keine politischen oder andere inhaltlichen Gründe hinter den Streichungsplänen, sondern eher Strukturprobleme und das Auslaufen des Solidaritätspaktes im Jahr 2019 dräuen, der bis dahin den neuen Bundesländern unter der Überschrift „Aufbau Ost“ noch Ausgleichszahlungen garantiert. Bis 2020 müssten 1.000 Stellen an sächsischen Universitäten eingespart werden. Doch an den Geisteswissenschaften lasse sich bereits jetzt nichts mehr sparen.
Über 10.000 Menschen haben inzwischen eine Petition für den Erhalt des Instituts unterschrieben, darunter eine Reihe prominenter Namen aus Theaterwissenschaft und Theaterpraxis, wie Annemarie Matzke, Mitglied der Performance-Gruppe She She Pop und Hildesheimer Theaterprofessorin, der Regisseur Volker Lösch, der bedeutende russische Germanist und Theaterwissenschaftler Vladimir Koljazin, Matthias Lilienthal, Charlotte Roche oder der legendäre Frankfurter Theaterwissenschaftler Hans-Thies Lehmann („Postdramatisches Theater“). Zu dessen wissenschaftlichen Mitarbeitern gehörte u. a. Patrick Primavesi, bevor er Professor in Leipzig wurde. Heute, am 7. Februar lädt das Institut unter der Überschrift „Die Theaterwelt läuft Sturm“ um 15 Uhr zu einer Solidaritäts- und Protestveranstaltung ins Schauspiel Leipzig ein. „Wir hoffen“, sagt Micha Braun, dass wir das Thema bis zum August dieses Jahres in der Öffentlichkeit präsent halten können.“ Dann finden in Sachsen die Landtagswahlen statt.
ESTHER SLEVOGT
Link zur Petition: www.change.org/de/Petitionen/tw-in-le-muss-bleiben