: Angst vor Zeichentrick
TUNESIEN Weil die Pressefreiheit weiter eingeschränkt wird, ziehen sich Reformer zurück
Tunesiens Reformer schmeißen hin. Die Nationale Instanz für die Reform des Informationswesen und die Kommunikation (Inric) stellte ihre Arbeit ein. Der Grund: Die islamistische Regierung unter Premier Hamadi Jebali greife zusehends „zu Mitteln der Zensur und Desinformation“, so der Chef des unabhängigen Komitees Kamel Labidi.
„Die Regierung hat keine konkreten Maßnahmen zur Reform der Branche ergriffen“, schimpfte Labidi. Der Journalist war einst Korrespondent der französischen Tageszeitung La Croix und Vorsitzender von Amnesty International in Tunesien.
Nur einen Monat nach dem Sturz des alten Regimes war Labadi von der damaligen Übergangsregierung mit der Aufgabe beauftragt worden, die Presse und die Gesetzgebung für ein demokratisches Tunesien zu reformieren. Ein Tag vor dem Rücktritt Labidis beklagte die internationalen Organisation Reporter ohne Grenzen, dass Jebali neun Radiodirektoren sowie den Chef des staatlichen Fernsehens eigenmächtig ausgewechselt habe.
Der größte Verstoß gegen die Meinungsfreiheit war zweifelsohne der Prozess gegen den Chef des Privatfernsehens Nessma TV, Kabil Naroui, wegen der Ausstrahlung des Zeichentrickfilms „Persepolis“ der iranischen Regisseurin Marjane Satrapi. Der Streifen kritisiert aus der Sicht eines kleinen Mädchens die Verhältnisse unter dem islamistischen Regime in Teheran. Offizieller Anlass, den Chef von Nessma vor Gericht zu zerren und ihn zusammen mit mehreren seiner Angestellten zu jeweils 1.200 Euro Geldstrafe zu verurteilen, war eine Szene in der Gott zur kleinen Persepolis spricht. Den Prozess hatten Rechtsanwälte aus dem Umfeld von Ennahda angestrebt. Die Regierung unterstützte sie dabei. Das Urteil wurde ausgerechnet am Internationalen Tag der Pressefreiheit verkündet.
REINER WANDLER, MADRID