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Archiv-Artikel

DVDESK Verstörende Kippfigur

Abbas Kiarostami: „Certified Copy“, 2010, als UK-Import zu beziehen via www.play.com

Die Bühne ist leer, dann tritt der britische Essayist James Miller (William Shindell) auf. Florenz ist der Ort, die Vorstellung seines neuen Buchs die Gelegenheit. „Certified Copy“ – „Beglaubigte Kopie“ – ist der Titel des Buchs und des Films, den Abbas Kiarostami in Italien gedreht hat. Das erste Mal hat er damit für einen Spielfilm den Iran als Schauplatz verlassen. Und auch das Milieu bürgerlicher Intellektueller stellt er so erstmals ins Zentrum. Dennoch bleibt er sich treu. Wie stets bei ihm wird, was auf den ersten Blick simpel aussieht, auf den zweiten zum verspiegelten Labyrinth.

Ein Mann, eine Frau, was könnte einfacher sein. Miller unternimmt mit einer Frau, deren Namen der Film niemals nennt (gespielt wird sie von Juliette Binoche) einen Ausflug. Sie war bei seinem Vortrag, sie hat sechs Kopien seines Buchs, die soll er signieren. Man gewinnt den Eindruck, sie kannten sich nicht. Wie sie überhaupt aneinander gerieten, bleibt unklar. Sie diskutieren über Fragen von Original und Kopie. Sehr konkret geht es darum, warum man das Original höher schätzen soll, wenn die Kopie selbst großartig ist. Der Ausflug führt sie zu einem Kunstwerk, das die Kopie eines römischen Originals ist.

Hochzeit vor 15 Jahren

Der Ort, den sie aufsuchen, heißt Lucignano. Hier geschieht nun etwas sehr Merkwürdiges. Der Mann und die Frau setzen sich in ein Café. Er geht kurz nach draußen für ein Handy-Telefonat. Die Bedienung des Cafés kommt mit der Frau ins Gespräch und unterstellt mit großer Selbstverständlichkeit, dass diese mit dem Mann verheiratet sei. Nicht nur widerspricht die Frau nicht, schlagartig verändert sich nun vielmehr ihr Verhältnis zu dem Mann. Sie sprechen – und streiten – miteinander wie ein lang verheiratetes Ehepaar. Ja, Lucignano wird in ihren Gesprächen zum Ort, an dem sie fünfzehn Jahre zuvor ihre eigene Hochzeit feierten.

Dieser Umschlag macht den Film zur verstörenden Kippfigur. Wer will, kann aus den Dialogen vor der Kehrtwendung der Geschichte Signale entnehmen dafür, dass die Fremdheit zuvor nur gespielt war. Und umgekehrt lässt sich, was nach ihr passiert, durchaus als spontanes Spiel der beiden mit einer Fiktion begreifen. Das Entscheidende aber ist, dass der Film selbst die Eindeutigkeit völlig verweigert. Zwei Deutungen bleiben, blickt man vom Ende her auf das Ganze, zugleich möglich.

Zwei Inszenierungsarten des Zusammenseins von Mann und Frau wechseln sich ab. Mal sieht man sie und ihn, gehend und sitzend und redend, in Bildern, die den Raum beweglich durchschreiten. Zwischendurch aber nimmt Kiarostami eine scharfe Schuss-und-Gegenschuss-Raumaufteilung wieder auf, mit der der Film schon begann. Frontal blicken dabei einmal der Mann, dann – um 180 Grad gedreht – die Frau in die Kamera. Es bleibt zwischen ihnen dabei kein gemeinsamer Bildraum. So setzt sich auf der formalen Ebene die inhaltliche Kippfigur fort. Der Film ist neben einer bitteren Dialog-Erzählung von der ernüchternden Wirklichkeit einer (möglicherweise fiktiven) Ehe auch die fortgesetzte Aushandlung darum, ob die beiden Figuren im selben Bild, im selben Film, in der selben Geschichte sind.

In transparenten Bildern bleibt „Certified Copy“ so völlig opak. Einerseits geht Kiarostami tief ins schmerzliche Beziehungsdetail, gibt andererseits auf die Frage nach Spiel oder Wirklichkeit keine Antwort. Es gibt keinen eindeutigen, souveränen Blick auf den Film. Die letzte Einstellung setzt die alte Metapher vom Kunstwerk als Fenster zur Welt sehr buchstäblich ins Bild. Als ironische oder ernste Reminiszenz an Roberto Rossellinis Film „Reise in Italien“, auf den sich Kiarostami durchweg bezieht, hört man die Glocken schlagen. Ob sich das Wunder der Erneuerung einer Liebe, das dort geschah, hier wiederholt, bleibt ganz und gar offen.

EKKEHARD KNÖRER