: Der Hoffnungsträger
DORFDISCO Der Sender ZDFNeo sollte eigentlich den Talenten des Zweiten eine Plattform bieten. Stattdessen werden alte Hits gespielt und die Perlen versendet. Vielleicht wird „Letzte Spur Berlin“ (21.15 Uhr) eine Ausnahme
VON LEA STREISAND
Das nur vorneweg: Ich bin unter 60 und mag das ZDF, das gerade 50 Jahre alt wird. Ich gehöre in die sogenannte werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Mit Anfang dreißig gehöre ich sogar zu den 25- bis 49-Jährigen, die der Sender mit seiner Tochter ZDFneo ansprechen will. Ich mag den „Fernsehfilm der Woche“ und „Das kleine Fernsehspiel“, ich liebe skandinavische Krimis. Außerdem gucke ich häufiger „heute journal“ als „Tagesschau“, weil ich um 20 Uhr oft noch arbeite. Nur sonntags gucke ich „Tatort“.
Blöd für den Sender ist nur: Ich gucke via Mediathek. Dadurch ist meine Sympathie für die Quote irrelevant. Und die Quote ist wie Heroin für Fernsehsender. Es tut ihnen nicht gut, aber sie würden fast alles dafür tun. Weil aber bald nur noch die Generation 60+ vor richtigen Fernsehapparaten sitzt, glaubt das ZDF, weiter „Herzkino“ und die 25. Sokoeinheit auf Verbrecherjagd produzieren zu müssen, während sich unsereins online längst die Rosinen aus dem Kuchen gepickt hat. Und ZDFneo dümpelt bei einem Marktanteil von ungefähr 1 Prozent.
In der Mediathek ist das Logo von ZDFNeo oft ein Garant für gute Unterhaltung. Die vierteilige Sitcom „Lerchenberg“ über das ZDF habe ich dort längst komplett online gesehen, bevor sie ab kommenden Freitag im ZDF-Hauptprogramm läuft, natürlich erst fast um Mitternacht. Im normalen Tagesprogramm allerdings wirkt das vor dreieinhalb Jahren gestartete ZDFNeo wie eine Dorfdisco – lauter alte Schlager und ein paar verschwendete Highlights. Am heutigen Dienstag laufen zum Beispiel erst Naturfilme bis halb zehn, dann Kochsendungen bis eins. Danach kommen die größten US-Fernsehhits der 60er, 70er und 80er: zweimal „Raumschiff Enterprise“, danach „Agentin mit Herz“, zweimal „Hart aber herzlich“ bis fünf und danach wieder zweimal Enterprise. Das lief alles in den 90ern, wenn ich aus der Schule kam. Ich freue mich schon auf „Bonanza“.
Ab 18.45 Uhr wird es dann wieder klassisch ZDF-dröge mit seichten Krimiproduktionen – erst „Küstenwache“, 19.30 „Soko Wismar“, 20.15 „Der Kriminalist“.
Und dann, um 21.15 Uhr nach einem ganzen Tag voller Wiederholungen, läuft die Premiere von „Letzte Spur Berlin“. Es ist die zweite Staffel der Serie, die unter dem Titel „Die letzte Spur“ für den Grimme-Preis nominiert war. Die Serienidee klingt spannend. Vier Ermittler der Berliner Vermisstenstelle suchen nicht den Täter, sondern das vermeintliche Opfer eines Verbrechens, das vielleicht gar keines war.
Mit jeder neuen Folge beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. In der ersten Folge, „Hoffnungsträger“, verschwindet unmittelbar vor seiner wichtigsten Ansprache der designierte Kanzlerkandidat einer nicht näher benannten Volkspartei. Er sieht aus wie Karl-Theodor zu Guttenberg und wird herrlich schmierig gespielt von Roman Knizka. Die Folge beeindruckt vor allem durch ihre Bildästhetik. Die Farben leuchten wie Technicolor, Hell-dunkel-Kontraste verleihen den Räumen plastische Tiefe. Die Vermisstensuche besteht immer aus Rekonstruktionen der letzten Stunden in weichgezeichneten Rückblenden. Leider können die teilweise nervigen Dialoge bei der Dominanz der Bilder nicht mithalten.
Die vier Hauptdarsteller, Hans Werner Meyer, Jasmin Tabatabai, Susanne Bormann und Florian Panzer, laufen wie hübsch angezogene Mannequins durchs Bild – Tabatabai in Erdtönen, Bormann in Eisgrau. Selbst Meyer, der den besorgten Hauptkommissar glaubhaft verkörpert, steht mitunter wie eine Schaufensterpuppe in der Kulisse. Aber die Serie hat das Potenzial für Besseres. Und sie kommt sogar zu einer Zeit, in der meine Eltern noch nicht schlafen.
Doch warum wurden Perlen wie „Downton Abbey“ und „Mad Men“ bei ZDFneo versendet? Unsereins hat längst alle Staffeln im englischen Original gesehen. Aber auch Ältere hätten an solch gut gemachten Produktionen sicher ihren Spaß.
Warum gibt man Geld für einen Sender aus, den keiner guckt? Man könnte das Geld in hochwertige Produktionen stecken, die man online stellt, bevor sie im Hauptprogramm versendet werden. Für die Zuschauer käme es aufs Gleiche raus.