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Archiv-Artikel

The „Times“ They Are a-Changin’

MEDIENKRISE Viele US-amerikanische Städte haben keine tägliche Printzeitung mehr. Das Sterben ist nicht aufzuhalten

Die Werbeeinnahmen der Printzeitungen haben sich seit 2006 mehr als halbiert, die Onlineerlöse sind nur gering gestiegen

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Als Ray Nagin Bürgermeister von New Orleans wurde, war sein angekündigter Kampf gegen die Korruption wochenlang Titelthema der lokalen Tageszeitung The Times-Picayune. Elf Jahre und zwei bürgermeisterliche Amtszeiten später, als der Politiker am Freitag vergangener Woche selbst in 21 Punkten wegen Korruption und Bestechung angeklagt wurde, war das am nächsten Tag in keiner gedruckten Meldung der Lokalzeitung nachzulesen.

Denn die 175 Jahre alte Times-Picayune gibt es seit Oktober nur noch dreimal die Woche am Kiosk, trotz zum Schluss immer noch mehr als 134.000 täglichen Exemplaren sowie schwarzen Geschäftszahlen. An allen anderen Tagen müssen die LeserInnen ins Internet gehen, wenn sie wissen wollen, was in ihrer Stadt geschieht. Genau wie Detroit, Birmingham (Alabama) und immer mehr andere Städte hat New Orleans seine gedruckte Tageszeitung verloren. Für Times-Picayune-Verleger Steve Newhouse scheint die Reduzierung derweil nur eine Generalprobe gewesen zu sein. Als Nächstes erwägt er, auch seine Zeitung The Plain Dealer in Cleveland seltener erscheinen zu lassen.

15 Jahre Restlebenszeit

US-weit scheinen die Tage der newspapers gezählt. BranchenkennerInnen geben den meisten der noch existierenden rund 1.300 Tageszeitungen (1970 waren es noch 1.750) allenfalls eine Lebenszeit von 15 Jahren. Danach, so ihre Prognose, werden nur noch drei oder vier überregionale Blätter sowie eine Handvoll großer Lokalzeitungen auf Papier und in einer täglichen Fassung erscheinen. Der Rest wird entweder ganz vom Markt verschwunden sein oder allenfalls noch zwei- oder dreimal die Woche – an den werbungsreichsten Tagen – gedruckt werden und ansonsten digital erscheinen.

„Die Tageszeitung ist ein Relikt der Vergangenheit“, sagt Paul Gillin, „die tägliche Erscheinungsweise macht heute keinen Sinn mehr.“ Der Technologiejournalist aus Massachusetts hat schon im Jahr 2005 in einem Essay den Kollaps der Tageszeitungen prognostiziert. Dabei war 2005 eines der einnahmestärksten Jahre in der Tageszeitungsgeschichte der USA, niemand ahnte die kommende Finanzkrise und den Einbruch der Werbeeinnahmen. Gillin leitete seine Analyse aus den Möglichkeiten der damals noch jungen sozialen Medien ab.

Nachdem keine nationale Zeitung sein Essay wollte, schuf er im Frühling 2006 eine eigene Webseite mit dem ahnungsvollen Titel „Newspaper Death Watch“. Sie ist zu einer Chronistin des Niedergangs der Branche geworden, seit ihrem Entstehen sind dutzende Tageszeitungen verschwunden. Einige davon listet Gillin auf seiner Seite auf (R.I.P.), direkt darunter stehen Zeitungen, die ihren Erscheinungsrhythmus reduziert haben und/oder ganz aufs Web umgestiegen sind (W.I.P.).

„Der kommende Tod der Sieben-Tage-Erscheinungsweise“ betitelte Martin Langeveld einen Text, den er im vergangenen Dezember bei der Nieman Foundation an der Universität Harvard veröffentlicht hat. Darin sagt der Journalist und Blogger voraus, dass wegen der rasanten Verbreitung der Tablet-Computer schon 2015 nur noch die Hälfte der Tageszeitungen in den USA im heutigen Rhythmus erscheinen wird. Ihre Onlineversionen werden Medien künftig nicht mehr nur mit Paywalls (also: Gebühren) finanzieren, sondern auch mit zusätzlichen Dienstleistungen für die LeserInnen. Langeveld nennt sie „Mitglieder“. Und geht davon aus, dass sie von ihren Zeitungen zunehmend andere Angebote bekommen werden: von Zugang zu Kultur über Reisen bis hin zu Sport.

Alle Statistiken bestätigen, dass die Printbranche ihre besten Zeiten hinter sich hat. Laut dem Zeitungsverlegerverband Audit Bureau of Circulations lagen die Einnahmen der Tageszeitungen in den USA im Jahr 2011 nicht einmal mehr halb so hoch wie noch 2006. Der wichtigste Verlustposten ist dabei die Werbung. Sie ging von einem Volumen von 49,44 Milliarden Dollar im Jahr 2006 auf 23,94 Milliarden Dollar zurück. Diese Zahlen beinhalten sowohl die Werbung in den Print-, als auch in den Onlineausgaben. Den dramatischen Absturz der Werbeeinnahmen im Printbereich konnte der Onlinebereich nicht annähernd ausgleichen – hier stiegen die Erlöse im fraglichen Zeitraum nur minimal, von 2,66 Milliarden auf 3,25 Milliarden Dollar. Die Anzeigenkunden suchten sich längst neue Plattformen: Im vergangenen Jahr verdiente Google erstmals mit Werbung mehr als sämtliche US-Printmedien zusammen.

30 Prozent weniger Leser

Steil nach unten weist auch die Zahl der LeserInnen, von denen die Printausgaben der US-Tageszeitungen zwischen 1990 und 2010 rund 30 Prozent verloren. Ende 2008 richtete die Journalistin Erica Smith die Webseite Paper Cuts ein. Auf www.newspaperlayoffs.com fordert sie KollegInnen auf, neue Entlassungen zu melden. Schon im ersten Jahr (2009) dokumentierte Smith den Abbau von 7.979 journalistischen Arbeitsplätzen.

„Immer mehr amerikanisches Leben geschieht im Schatten“, hat Tom Rosenstiel, Medienforscher im Pew Research Center bereits 2009 vor einem Komitee im US-Kongress erklärt. Untersuchungen in Städten, die schon länger keine Tageszeitung mehr haben, zeigen, dass dort die Wahlbeteiligung sinkt, dass weniger Menschen bereit sind, öffentliche Ämter zu übernehmen und dass auch andere Formen von öffentlicher Aktion nachlassen. In den neuen Nachrichtenwüsten der USA schauen keine ReporterInnen mehr Ratsleuten und Bauunternehmen auf die Finger. Die vielerorts entstehenden und meist von den LeserInnen finanzierten Onlineportale haben selten genügend Personal, um die Lücken zu füllen.

Einen finanziell erfolgreichen Onlineauftritt haben bislang nur die größte Tageszeitung der USA, das 2 Millionen Printexemplare starke Finanzblatt Wall Street Journal – das schon seit 1996 auf Paid Content setzt und einen Teil seines Onlineauftritts nur für AbonnentInnen bereit hält – sowie die New York Times mit einer Auflage von 1,5 Millionen auf Platz drei, geschafft. Letztere ist 2011 dazu übergegangen, Online-LeserInnen nach den ersten Artikeln zur Kasse zu bitten.

Diese Modelle lassen sich nicht unbedingt auf kleinere Zeitungen übertragen. Ihnen raten ExpertInnen, allenfalls ihre exklusiven Informationen aus der Region mit einem Paywall zu schützen. Selbst der zweitgrößten Tageszeitung USA Today (Auflage: 1,8 Millionen) ist der Einstieg ins Internet bislang nicht wirklich gelungen.

Der Abwärtstrend der gedruckten Tageszeitungen ist nicht global. In Indien und Brasilien etwa entstehen noch neue Zeitungen und steigen noch tägliche Auflagen. Europäische Tageszeitungen hingegen scheinen sich – mit geringfügiger zeitlicher Verzögerung – auf demselben Weg zu befinden wie die US-amerikanischen.

An ihre Adresse hat Gillin von newspaperdeathwatch.com drei Ratschläge mit Lehren aus den USA. Die Einnahmen diversifizieren: „80 Prozent des Einkommens aus Anzeigen ist gefährlich.“ Den Mut haben, sich selbst zu zerstören: „Print beibehalten, so lange es Geld bringt. Aber alle Investitionen in Digital stecken.“ Und – vor allem – den Nachwuchs verstehen: „Die LeserInnen über 55 mit Print versorgen. Und den Jungen elektronisch Zusatzleistungen bieten.“