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Archiv-Artikel

Liebevoll verkorkste Menschen

FAMILIENFILM Frau Mutter wird 65 und feiert mit ihren drei Kindern im alten Ferienhaus am See: „Alles Liebe“ (20.15 Uhr, ARD) hält souverän die Balance zwischen Kitsch und Routine

Zum Glück gelingt es Buch und Regie, dass der Film keine strapaziöse Selbstfindungsnummer ist, sondern ein leicht verregnetes Sommerstück mit teilweise brillanten Dialogen

VON STEFFEN GRIMBERG

Kathrin ist weder eine oberbayerische Kommunalpolitikerin noch die Frau von Jürgen Drews (obwohl man sich auch das ganz gut vorstellen könnte). Kathrin, 37, ist Inhaberin einer gut laufenden Münchner PR-Firma, mit ihrer Arbeit verheiratet – und wie ihre Mutter.

Und die ist das Problem, genauer gesagt: Die Dame wird muntere 65, und ihre drei Kinder – neben PR-Kathrin die leicht esoterisch-pippilangstrumpfhafte Annette, die aus Rache immer nur Nettchen genannt wird, und der smarte Dauerstudent Laurenz – wollen Frau Mama etwas ganz Besonderes schenken. Auch weil es den Papa dazu schon eine ganze Weile nicht mehr gibt.

Allein die Zeit hat an allen genagt. Die Familie hat sich prachtvoll auseinandergelebt. Kathrin (großartig hölzern gespielt von Karoline Eichhorn) ist eine Art Führer-Maschine, die immer weiß, wo es langgeht, selbst wenn sie es nicht weiß. Annette (Julia Brendler) wollte „niemals werden gruß“, was ihr mit 34 Lenzen mindestens so gut gelungen ist wie ihre 13-jährige Tochter Louisa (Ricarda Zimmerer), die sie ob ihres Freundesverschleißes eher mal allein erzieht. Und Nesthäkchen Laurenz slackt auf hohem Niveau durchs außeruniversitäre Leben, wobei er seiner Mutter weiter auf der Tasche liegt.

Diese Irma (Hannelore Elsner) ist natürlich viel zu klug, um das nicht zu durchschauen, aber in ihrer Rolle als traditionelle Bürgerfrau von Drehbuch wie den gesellschaftlichen Gepflogenheiten gefesselt. So kommt alles zueinander – und die Familie endlich mal wieder zusammen, für ein langes Wochenende ins alte Ferienhaus am See. Hier beginnt denn auch programmgemäß das in deutschen Fernsehfilmen vorgesehene familientherapeutische Aufbrechen der diversen liebevoll verkorksten Persönlichkeiten. Zum Glück gelingt es Buch (Beate Langmaack) wie Regie (Kai Wessel), daraus keine strapaziöse Selbstfindungsnummer zu machen, sondern ein leicht verregnetes Sommerstück mit teilweise brillanten Dialogen.

Denn natürlich war Irma nicht wirklich glücklich – nicht in dem ollen Haus, das stets Baustelle mit leckendem Dach blieb, nicht mit dem Gatten als solchen. Doch bevor sich die Familie wie in vielen anderen Filmen dieses Genres nur noch um sich selbst dreht und die Zuschauer getrost zum Bügeln übergehen können, tauchen die Überraschungsgäste auf. Die wurden für den eigentlichen Festtag von Irmas drei Kindern dazugebeten. Nun kommen sie pünktlich und verhindern, dass sich die Familie allzu sehr in bedeutungsschwangeren Ritualen ergehen kann. Sie passen nämlich gar nicht und sorgen so wunderbar für die Ab- und Umlenkung der eigentlich schon in Angriff genommenen Selbstzerfleischung. Die findet natürlich trotzdem statt, aber eher sotto voce und immer wieder durch das beglückende Chaos von außen gebrochen – plötzlich ist Louisa weg, Überraschungsgast Baptistens Zunge landet im Hals von Überraschungsgästin Helen, was sich wiederum nicht ganz schickt, weil Helen doch eigentlich Laurenz’ Freundin ist …

Schließlich landen doch alle Wahrheiten auf dem Tisch, ohne dass es allzu weh tut. Angerührt merken das auch die ProtagonistInnen, und dass dies weder rein routiniert runtergespielt daherkommt noch übermäßig aufgekitscht wirkt, ist die große Leistung dieses Mehr-Generationen-Familienensembles. Zum guten Schluss gibt es eine kathartische Quarkspeisenschlacht. Und als kurz danach auch noch die Sickergrube überläuft, bleibt eine – in diesen sarrazinischen Zeiten auch nicht ganz unproblematische – Erkenntnis: Die Menschen sind nicht ganz schlecht. Und Blut ist eben doch oft dicker als Wasser. Auch wenn’s von oben reinregnet.