: Ein Pluralist auf Mission
AUFBAUHELFER Nur wenige irakische Medien sind unabhängig, sie leiden unter Geldnot. Im kurdischen Norden hilft ein Deutscher, einen Anzeigenmarkt zu etablieren. Gegen die alltägliche Repression ist aber auch er machtlos
■ Irak: Zu den irakischen Publikationen mit der höchsten Auflage gehören die unabhängige Tageszeitung al-Mada und die vom irakischen Nationalkongress herausgegebene Tageszeitung al-Mutamar. Der meistgesehene Fernsehsender soll al-Irakija sein, der der irakischen Regierung gehört. Schätzungen zufolge wird er von 40 Prozent der Bevölkerung geschaut.
■ Kurden: Die größte kurdische Zeitung soll Hawlati sein (erscheint 2 x wöchentlich, geschätzt 20.000 Exemplare). Laut anderer Quellen ist es die von der Regierungspartei KDP herausgegebene Tageszeitung Khabat. Zu den wichtigsten TV-Sendern in Kurdistan gehören Satellite TV und Zagros TV (ebenfalls KDP) sowie KurdSat und Geli Kurdistan TV, die der Regierungspartei PUK gehören.
AUS ERBIL FRIEDERIKE OTT
Mit hoher Geschwindigkeit fährt ein weißer Hyundai über die Schnellstraße von Erbil Richtung Suleimania im nördlichen Irak. Der Wagen holpert über Schlaglöcher, jagt vorbei an Ölfeldern und kargen Landschaften. Vorn auf dem Beifahrersitz sitzt der Düsseldorfer Thomas Koch. Er hat eine Mission: Er will mehr Demokratie in den Irak bringen, indem er Medien hilft, unabhängiger zu werden. In Suleimania will er mehrere Redaktionen besuchen.
Normalerweise finanzieren sich Zeitungen in demokratischen Staaten neben den Verkaufserlösen über Werbung. Mediaexperten wie Thomas Koch sorgen dafür, dass Unternehmen ihre Anzeigen da schalten, wo sie mit ihrer Werbung potenzielle Kunden erreichen. Das Geld, das sie von den Anzeigenkunden bekommen, macht es ihnen möglich, weitgehend unabhängig berichten zu können.
Ganz anders die Situation im Irak: Hier gibt es keinen funktionierenden Anzeigenmarkt und auch keine Mediaexperten. Die Wirtschaft ist nach drei Kriegen so geschwächt, dass es kaum Unternehmen gibt, die Werbung schalten wollen, die Gefahr von Anschlägen hält viele vom irakischen Markt fern.
Parteiische Verleger statt Unabhängigkeit
Die meisten Medien werden von Parteien oder anderen Interessengruppen finanziert, die massiven Einfluss auf die Berichterstattung nehmen. Unabhängige Zeitungen sind hingegen ständig klamm. Sie haben niedrige Auflagen, erscheinen unregelmäßig und werden oft nicht pünktlich ausgeliefert, weil es kein richtiges Vertriebssystem gibt.
Thomas Koch arbeitet seit 39 Jahren in der deutschen Mediabranche. Er war viele Jahre Mediaplaner in großen Werbeagenturen, hatte später eine eigene Agentur und berät heute Unternehmen und Verlagshäuser. Der 59-Jährige gilt als Koryphäe in dem Geschäft.
Im Spätsommer 2010 rief ihn Klaas Glenewinkel von der gemeinnützigen Organisation Media in Cooperation and Transition (MICT) in Berlin an. Die Organisation hat sich auf die Medienentwicklung in Krisenregionen spezialisiert. Sie ist seit 2003 im Irak tätig und schult etwa lokale Journalisten. Glenewinkel erzählte Koch von seinem Plan, unabhängige Medien zu unterstützen, und bat ihn um Zusammenarbeit. Koch überlegte nicht lange und sagte zu. Sie gründeten gemeinsam die Mediaagentur Plural Media Services. Seitdem arbeitet Koch etwa einen Tag pro Woche für Plural. Noch stehen die Projekte am Anfang, aber sobald die Agentur profitabel arbeitet, sollen 30 Prozent des Gewinns in die Ausbildung von Journalisten fließen. Thomas Koch bekommt dann eine Provision. „Es soll eher eine Aufwandsentschädigung sein“, sagt er. „Im Augenblick ist meine Arbeit aber völlig ehrenamtlich.“
Der weiße Hyundai erreicht Suleimania. Als Koch und Glenewinkel zur unabhängigen Wochenzeitung Awene kommen, sitzt Chefredakteur Asos Hardi an seinem dunklen Holzschreibtisch und zieht fast pausenlos an seiner Zigarette. Er erzählt von den finanziellen Problemen seiner Zeitung: Trotz der zwischenzeitlichen Unterstützung durch europäische Nichtregierungsorganisationen ist die Lage miserabel. Der Ableger Awene Sports musste bereits seinen Umfang verringern. Noch hat Hardi niemanden entlassen müssen, doch er hat seine Mitarbeiter gebeten, Strom zu sparen, um die Kosten zu senken. Asos Hardi könnte einen wie Thomas Koch gut gebrauchen.
Tatsächlich lassen die jüngsten Entwicklungen in Kurdistan auf mehr finanzielle Unabhängigkeit hoffen: Anders als im restlichen Irak hat es hier seit drei Jahren keine größeren Anschläge mehr gegeben. Die Wirtschaft brummt, und darauf reagieren die Investoren. Es sind lokale Unternehmen wie der irakische Pharmahersteller Awamedica, aber auch internationale Konzerne wie Siemens oder die Lufthansa, die im vergangenen Jahr ihren Flugbetrieb in den Irak nach zwanzigjähriger Unterbrechung wieder aufnahmen. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass sie Anzeigen schalten, um ihre Produkte für die konsumhungrigen Iraker zu bewerben.
Doch gibt es auf dem kurdischen Markt noch enorme Hürden. Unternehmen könnten sich scheuen, in einem Medium zu werben, das nicht unabhängig ist. „Es ist politisch heikel. Die Kunden fragen sich, ob man einer Partei nahesteht“, sagt etwa Bahram Resul, Geschäftsführer von Awamedica, als Thomas Koch das Unternehmen mit seinem Team besucht. Fernsehsender und Radiostationen messen zudem ihre Reichweiten nicht. Die Zeitungen wissen nicht, wie viele Ausgaben sie verkaufen und wer sie liest. Das sind Daten, auf die internationale Konzerne in der Regel jedoch bestehen, bevor sie Anzeigen schalten. Plural Media Services will den Verlagen klar machen, dass sie solche Daten erheben müssen.
500 Millionen Dollar Medien-Aufbauhilfe
Ein Problem wird sie damit aber nicht lösen können: Dass es die Meinungsfreiheit in Kurdistan zwar in der Verfassung, nicht aber im Alltag gibt. Manchmal, erzählt Awene-Chefredakteur Hardi, würden Kollegen bedroht oder verprügelt, das sei der Alltag in seiner Redaktion. Oder es würden Kampagnen gegen die Zeitung geführt; es sei schon oft passiert, dass Politiker sich gezielt geweigert hätten, Fragen zu beantworten.
Dabei sah die Lage nach Ende des Kriegs so vielversprechend aus. Die Amerikaner pumpten Schätzungen zufolge eine halbe Milliarde Dollar in irakische Medien – weit mehr als in irgendeinem anderen Land. Innerhalb kurzer Zeit schnellte die Zahl der privaten Medien in die Höhe, Satellitenschüsseln breiteten sich auf den Dächern aus, die Iraker hatten plötzlich Zugang zu CNN, al-Dschasira und Dutzenden irakischen Publikationen, die neu entstanden. Inzwischen gibt es schätzungsweise 200 Zeitungen und Magazine, 60 Radiostationen und 30 Fernsehsender, weit mehr als in anderen arabischen Staaten.
EIN IRAKISCHER JOURNALIST
Doch das Geld der Amerikaner konnte nicht verhindern, dass die kurdische Regierung massiv gegen kritische Journalisten vorgeht. Alte Gesetze, die teilweise noch aus der Hussein-Ära stammen, berechtigen sie dazu, Redaktionen zu schließen und Reporter zu verhaften. Im vergangenen Jahr wurde der misshandelte Leichnam eines 23-jährigen Journalisten an einer Straße bei Mossul gefunden. Zwei Kugeln waren ihm in den Mund gejagt worden. Er hatte sich in seinen Artikeln kritisch über die kurdische Regierung geäußert. „Einen Journalisten zu töten, ist einfacher, als über eine rote Ampel zu fahren“, sagt ein irakischer Journalist.
Immer wieder sind Journalisten Repressionen ausgesetzt – in Kurdistan durch die Regierung, im Zentralirak hauptsächlich durch Fundamentalisten. Einige berichten von regelmäßigen anonymen Todesdrohungen per SMS, E-Mail oder Fax. Der Irak war viele Jahre das tödlichste Land für Medienvertreter. Zwischen 2003 und 2010 kamen 145 Journalisten ums Leben, 93 der Todesfälle gelten als Morde, doch es gab nicht eine einzige Verurteilung. Kritik an hohen Amtsträgern, religiösen Stammesführern oder am Iran ist besonders für kurdische Medien noch immer ein Tabu.
Nur wenige Journalisten wagen es, frei zu berichten. „Wenn wir das publizieren, was wir für richtig halten, bekommen wir in der Regel Probleme mit den Behörden“, sagt Asos Hardi. Gegen Awene läuft derzeit eine Klage, weil sie in einer Ausgabe titelte: „Oppositionsparteien sagen, dass Erbil keine Ausnahme beim Wahlbetrug bildet.“ In derselben Ausgabe hatte die Redaktion die Frage aufgeworfen, ob Masud Barsani als Präsident im Amt bleiben sollte.
„Wir kommen genau zum richtigen Zeitpunkt“
Thomas Koch sitzt wieder im weißen Hyundai, er ist unterwegs zum Internationalen Flughafen in Erbil, um zurück nach Düsseldorf zu fliegen. Er hat wenig geschlafen. Die Tränensäcke unter seinen blauen Augen hängen ihm tief ins Gesicht. Ein viertägiger Marathon durch Kurdistan liegt hinter ihm. Für seine Mission, mehr Demokratie in den Irak zu bringen, hat er viele Tassen Chai getrunken, unzählige Zigaretten geraucht, Unternehmen und Medien besucht und immer wieder sein Anliegen vorgetragen. Koch weiß, dass er mit seinem Plan, den Zeitungen durch Werbung zu mehr finanzieller Unabhängigkeit verhelfen, die Repressionen durch die kurdische Regierung nicht verhindern kann. Dennoch ist er zufrieden mit seiner kleinen Dienstreise. Gerade hat er einen Anruf von einer irakischen Firma erhalten, die nun mithilfe von Plural Media Services Spots im Fernsehen schalten will. „Wir kommen genau zum richtigen Zeitpunkt“, sagt Koch. „Die Medien stehen vor einer Revolution.“
Der Wagen erreicht den Parkplatz vor dem modernen Flughafengebäude. Thomas Koch steigt aus dem Auto. Kurdistan ist seine erste Station. Bald will er sich die Medien im restlichen Irak vornehmen, später die im Sudan und in Afghanistan. Er nimmt seinen Koffer und wirft eine letzte Zigarette auf die staubige Straße, dann verschwindet er in der Sicherheitsschleuse.