: Einbinder mit Ausstrahlung
NACHRUF Mit SR-Intendant Fritz Raff hat die ARD einen großen Kommunikator und die deutsche Medienwelt ein Original verloren
VON STEFFEN GRIMBERG
Er hatte das Glück, zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein, auch wenn ihm das am Anfang vielleicht die wenigsten abnehmen mochten: Als Fritz Raff Anfang 2007 den Vorsitz der ARD übernahm, überwog skeptische Verwunderung. Der Intendant des Saarländischen Rundfunks, dieser kleinen Anstalt kurz vor Frankreich, sollte die große ARD führen? Ohne Hausmacht, dafür konfrontiert mit der schärfsten medienpolitischen Auseinandersetzung der letzten Jahre? Die EU-Kommission, Zeitungs- und Zeitungsverlage, die Privatsender und ihre gut geölten Lobbys – sie alle machten Druck auf die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Medienpolitik sekundierte mal mehr, mal weniger halbherzig.
Doch wer so dachte, hatte die Rechnung ohne Raff gemacht: Vielleicht war er sogar der einzig denkbare Mann für die ARD in dieser Schlacht – der König (fast) ohne Land, der seinen eigenen Saarländischen Rundfunk aber klug und gewitzt mehrfach vor Fusions- und anderen Gelüsten der größeren ARD-Partner und der Politik bewahrt hatte. Und der den SR seit seinem Amtsantritt auf dem Saarbrücker Halberg 1996 konsequent nicht schönredete, sondern auf Machbarkeit und Effizienz trimmte, ohne dass die Qualität oder das eigene Profil dabei auf der Strecken blieben.
Unter Raffs Führung steuerte die ARD durch die zwei wichtigsten Neubestimmungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk seit Jahrzehnten: Der – reichlich verkorkste – Kompromiss bei den umkämpften Spielregeln der Onlinewelt und die digitalen Entwicklungsmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wie die Reform der Rundfunkgebühr wurden unter Raff eingeleitet. Dass er dabei nicht wie die großen Sender der ARD mit Gewicht, Geld und Einfluss operieren konnte, erwies sich bald als Stärke: Der Kommunikator vom Halberg war ein Meister des strategischen Kompromisses, auch über landsmannschaftliche und politische Grenzen in der ARD hinweg. Er war ein „Einbinder“ par excellence, der es ehrlich meinte. Der auch ein paar Wege mehr auf sich nahm, um die letzten Zauderer zu überzeugen und ans Ziel zu kommen. Und dem die Auseinandersetzung immer diebisch Spaß gemacht hat.
Doch alle strategische Brillanz, aller medienpolitische Erfolg steht zurück hinter dem Menschen Fritz Raff. Da waren seine entwaffnende Ehrlichkeit und die unter öffentlich-rechtlichen Granden nicht eben ausgeprägte Fähigkeit, Kritik nicht nur zuzulassen, sondern ernst zu nehmen. Raff, der zu allem eine Meinung hatte und sie auch hörbar kundtat, war zuallererst ein begnadeter Zuhörer, sich seiner Position und seines Einflusses immer bewusst. Selbst seinen größten Widersachern konnte er herzlich verbunden sein, lud sie ein in den Sender zum geistreichen Schlagabtausch im kleinen Kreis. „Ich war nie devot“, hat er einmal gesagt. „Man muss aufpassen, dass man sich nicht kleiner macht, als man ist oder sein sollte“ ist noch so ein Raff-Satz, der hängen bleibt. Das Handelsblatt verpasste ihm für so viel Souveränität den Titel „Napoleon von der Saar“, doch Raff war nicht auf Eroberung oder Selbstüberhöhung aus.
Ein Schloss hatte er ja schon, das sich einst ein Industrieller in neugotischer Geschmacklosigkeit auf den Saarbrücker Hausberg zimmern ließ und das heute der SR bewohnt. Das französische Restaurant im Erdgeschoss, natürlich längst extern verpachtet, ist aus diesem Kosmos kaum wegzudenken: Der „Chef“, wie sie ihn auf dem Halberg nannten, war – obwohl gebürtiger Schwabe – längst im Saarland angekommen, das heißt: schon fast Franzose. Mit seiner Leidenschaft für das Nachbarland, für Kunst und Geist hätte Raff auch einen wunderbaren Arte-Präsidenten abgegeben.
Ein politisches, ein gesellschaftlich engagiertes Tier war Raff dabei sein ganzes Leben, übrigens ein linkes. Aus seiner SPD-Mitgliedschaft hat er nie ein Hehl gemacht, und bis zuletzt war er stolz darauf, die nordbadische Kreisstadt Mosbach von der CDU erobert zu haben. 1985 bis 1990 war er hier direkt gewählter Oberbürgermeister – „und das in einer Stadt, in der ich politisch immer zur Minderheit gehört habe“. 1990 holte ihn sein Freund, der damalige SR-Intendant Manfred Buchwald, nach Saarbrücken, zunächst als Verwaltungsdirektor.
Eines der letzten Gespräche mit dem Machtmenschen Raff drehte sich natürlich um die Zukunft der ARD und seines Senders, dem er fast wörtlich bis zu letzten Minute diente. Seine schwere Krankheit konnte ihn nicht abhalten, der Kopf war noch voll arbeitsfähig, den Rest konnten andere für ihn erledigen. Stuttgart 21 hatte ihn beschäftigt, auch was mögliche Folgen für das öffentlich-rechtliche System angeht: Denn dies sei in seiner aktuellen Situation der Politik und ihren Entscheidungen doch ähnlich: Formal legitimiert, aber zu oft ohne echte Verbindung zueinander. „Die Gebührenakzeptanz ist nicht stillschweigend zu erhalten“, sagte Raff, der öffentlich-rechtliche Rundfunk müsse sich „den Diskussionen stellen, wo sie stattfinden und dorthin gehen, wo die Skeptiker und Zweifler sind“. Macht war für Raff dabei aber immer relativ: Er war sich ihrer bewusst, in seinem ersten Job als Hauptgeschäftsführer des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) wie später als Oberbürgermeister. Am liebsten war ihm die als Intendant: Die sei „nicht laut, sondern leise“, sagte Raff – „und trotzdem ist sie nicht so mächtig, wie man denkt“. Am vergangenen Donnerstag ist Fritz Raff nach kurzer schwerer Krankheit 62-jährig gestorben.