: daily dope (606): Vollgepumptes Küken
Im Großen und Ganzen sei seine gesamte Radsportkarriere eine einzige Dopinggeschichte gewesen. Von 1998 bis 2010 habe er „so gut wie ohne Unterbrechung“ verbotene Mittel benutzt: „Ich habe mit allem gearbeitet: Epo, Wachstumshormone, Testosteron, Insulin, Bluttransfusionen.“ Das gestand der 38-jährige dänische Radprofi Michael Rasmussen am Donnerstagnachmittag auf einer Pressekonferenz. Er erklärte: „Ich bin froh, jetzt nicht mehr lügen zu müssen.“
„Kyllingen“, Küken, wie der schmächtige Bergspezialist in seiner Heimat genannt wird, wird vom dänischen Radsportverband nun vermutlich eine zweijährige Sperre erhalten. „Das Küken ist am Ende“, hatte die Kopenhagener Zeitung Berlingske Tidende schon 2007 getitelt. Damals war Rasmussen auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Nach zweimaligem Gewinn der Tour-Bergwertung (2005 und 2006) war er 2007 Träger des gelben Trikots, als bekannt wurde, dass er in den Monaten vorher mehrere Dopingkontrollen absichtlich verpasst hatte. Auf Druck der Tour-Verantwortlichen suspendierte der niederländische Rennstall Rabobank seinen Kapitän. Rasmussen wies damals alle Dopingvorwürfe weit von sich.
Dabei wäre eigentlich schon da eine gute Gelegenheit zum Auspacken gewesen. Zwei Monate vor seinem Tour-Hinauswurf hatte ein anderer dänischer Radsportler, Bjarne Riis, zugegeben, bei seinem Tour-de-France-Sieg 1996 Dopingmittel benutzt zu haben. Doch offenbar muss erst die Karriere zu Ende sein, bevor ein Radprofi sich zu einem Geständnis durchringen kann. Nach der zweijährigen Sperre, die er wegen der verpassten Dopingkontrollen erhalten hatte, wollte keiner der großen Rennställe mehr mit Rasmussen zu tun haben. 2010 gründete er zusammen mit einer Londoner Uhrenhändlerin sein eigenes Team „ChristinaWatches/Onfone“ und fuhr dann 2011 angeblich die erste „saubere“ Saison seit 14 Jahren.
Noch in der letzten Woche hatte Rasmussen jegliche Erklärung zum Thema Doping abgelehnt. Der Mediendruck auf ihn war gewachsen, nachdem Thomas Dekker, ein geständiger Rabobank-Teamkollege, über die dort verbreitete Dopingkultur berichtet und angekündigte hatte, weitere Namen zu nennen. Sein langes Schweigen entschuldigte Kyllingen am Donnerstag mit einem laufenden Rechtsstreit mit Rabobank und einer drohenden Konventionalstrafe aufgrund einer „Verschwiegenheitsklausel“ in seinem Vertrag.
Rasmussen habe mit der dänischen Anti-Doping-Behörde und der Anti-Doping-Agentur Wada Kontakt aufgenommen und werde „umfassend auspacken“ erklärte Claus Hembo, Direktor von Rasmussens jetzigem Team bei der gestrigen PK: „Wir glauben, er kann damit ein Schlüssel der Aufarbeitung der Dopingvergangenheit und ein Eckstein für die Zukunft des Radsports werden.“ Dank Rasmussen habe man nun „einen detaillierten Einblick in eine bislang verschlossene Welt“ erhalten, lobte der dänische Sportverband DIF – ohne zunächst weitere Einzelheiten zu nennen.
REINHARD WOLFF