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Archiv-Artikel

Hör- und Sichtweite sind relativ

ASYL II Polizei verteidigt im Innenausschuss ihre Strategie, Gegner und Befürworter bei den Flüchtlingsdemonstrationen auf Abstand zu halten. Demos seien zunehmend von Rechten unterwandert

Gegner von Flüchtlingsheimen machen zunehmend mobil. Neun Demonstrationen hat die Polizei allein im November gezählt. Weitere sind angemeldet. Die als „Anwohnerproteste“ deklarierten Aufzüge würden zunehmend von Rechtsextremen instrumentalisiert, sagte der Leiter des Staatsschutzes, Oliver Stepien am Montag. Die Versammlungen würden auch zunehmend von Neonazis angemeldet – auch die sogenannten Montagsdemonstrationen.

Die rassistischen Aufmärsche und die Gegendemonstrationen waren am Montag Thema im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Rund 3.000 Engagierte aus Parteien, Gewerkschaften und linken Gruppen hatten am Samstag in Marzahn einen Aufmarsch von Rechten und Flüchtlingsgegnern verhindert (taz berichtete). Polizeipräsident Klaus Kandt, der von „Flüchtlingsgegnern und -befürwortern“ sprach, bezeichnete die Situation in Marzahn als „sehr emotional“. Es sei nicht einfach gewesen, die Lager voneinander zu trennen.

Rund drei Stunden habe die Polizei die Flüchtlingsgegner nicht loslaufen lassen können, so Kandt. „Eine Räumung der Wegstrecke war nicht möglich.“ Die umfangreichen Blockaden führten schließlich dazu, dass die Uniformierten Flüchtlingsgegner zum S-Bahnhof brachten. Laut Staatsschutzchef Oliver Stepien handelte es sich bei der Mehrheit der circa 800 Personen um „aktions -oder parlamentsorientierte Personen der rechten Szene. Für die Gegendemonstranten war der Abzug ein großer Erfolg.

Mit Blick auf die anstehenden Demonstrationen forderten die Abgeordneten der Oppositionsparteien vom Polizeipräsidenten am Montag eine klare Strategie. Es gehe nicht an, dass Gegendemonstranten – wie in den letzten Wochen geschehen – von der Polizei kriminalisiert und Pressevertreter von Rechten gejagt würden, sagte Oliver Höfinghoff (Piraten). In Marzahn, Köpenick und Buch hatte es wie berichtet ausgesprochen unschöne Szenen gegeben, als engagierte Menschen für eine Willkommenskultur im Umgang mit den Flüchtlingen demonstrierten.

In Köpenick habe die Polizei, überrascht von einer großen Zahl Heimgegner, die Gegendemonstranten einfach in eine Art Waldstück abgedrängt, sagte Canan Bayram (Grüne). Ein Protest in Hör- und Sichtweise, wie es die Verwaltungsgerichte vorschrieben, sei nicht möglich gewesen.

Udo Wolf (Linke) beklagte, dass die Polizei eine Demonstration der Rechten direkt an einer Flüchtlingsunterkunft vorbeigeführt hatte. Der Justiziar des Polizeipräsidenten erwiderte, die Topografie vor Ort habe nichts anderes zugelassen. Für die Flüchtlinge sei aber keine Prangersituation entstanden, weil die Demonstranten lediglich vorbeigezogen seien. „Es gab keine Kundgebung.“

Gegendemonstranten hätten zwar Anspruch auf einen Protest in Hör- und Sichtweite, das sei ein Abstand von ungefähr 50 bis 60 Metern, so der Polizeijustiziar; bei Gefahrensituation könne die Entfernung aber auch größer sein. Zum Vorwurf, Journalisten in Marzahn nicht vor den Rechten geschützt zu haben, sagte der Polizeipräsident, es gebe bei solchen Einsätzen auch eine Selbstverantwortung. „Wir sind keine Personenschützer.“

PLUTONIA PLARRE