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Archiv-Artikel

„Ich war ein Kind, das gern allein war“

EIGENSINN Sahra Wagenknecht hat sich geweigert, in den Kindergarten zu gehen. Sie hat gehungert, als sie Krieg spielen sollte. Und als die Mauer fiel, las sie Kant. Ein Gespräch über Anpassung und Widerstand

Sahra Wagenknecht

■  Privat: Geboren 16. Juli 1969 in Jena. Kindheit bei den Großeltern in Thüringen. Ab Schulbeginn lebt sie bei ihrer Mutter in Ostberlin. Abitur 1988, SED-Eintritt im März 1989. Philosophie- und Literaturstudium 1990 bis 1996 in Berlin, Jena und Groningen. Seit 1997 verheiratet mit dem Geschäftsmann Ralph-Thomas Niemeyer.

■  Politik: In der Nachwende-PDS macht Wagenknecht als Wortführerin der umstrittenen Kommunistischen Plattform von sich reden. 1991 bis 1995 und 2000 bis 2007 ist sie Mitglied des Parteivorstands der PDS und Linkspartei.PDS, seit 2007 im Vorstand der Partei Die Linke. 2004 bis 2009 Mitglied des EU-Parlaments, seit 2009 Mitglied des Bundestags, dort wirtschaftspolitische Sprecherin.

■  Termine: Am 9. Mai tritt Wagenknecht in Düsseldorf zur Landtagswahl in NRW an. Die Umfragen sehen die Linke bei vier bis sechs Prozent. Am 15. Juni kandidiert sie beim Bundesparteitag in Rostock für das Amt der stellvertretenden Parteivorsitzenden. Dafür lässt sie ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform ruhen.

INTERVIEW ANJA MAIER UND STEFAN REINECKE

taz: Frau Wagenknecht, das Stuttgarter Arbeitsgericht hat festgestellt, dass Ostdeutsche kein eigener Volksstamm sind. Was halten Sie von dem Urteil?

Sahra Wagenknecht: Das geht in Ordnung. Es ist jedoch ein Skandal, dass jemand, der Arbeit sucht, abgelehnt wird, weil er oder sie aus dem Osten kommt. Aber Ostdeutsche zur Ethnie zu stilisieren, halte ich für Quatsch.

Fühlen Sie sich denn noch als Ostdeutsche?

Da sind zwar meine Wurzeln, aber inzwischen habe ich an vielen unterschiedlichen Orten gelebt. Ich habe in Groningen studiert, schon 1998 in Dortmund Wahlkampf gemacht, war fünf Jahre in Brüssel. Jetzt lebe ich in Düsseldorf. Ich fühle mich auch nicht als Westdeutsche, es ist eher so, dass dieses Thema keine große Rolle für mich spielt.

Gibt es kein ostdeutsches Wir-Gefühl mehr?

Das Wir-Gefühl sollte die verbinden, deren Lebensbedingungen durch neoliberale Politik immer schlechter werden. Es gibt auch in einer reichen Stadt wie Düsseldorf Menschen, die von Hungerlöhnen oder Hartz IV leben müssen, es gibt viele, die im Osten arbeitslos sind. Aber es geht ihnen nicht schlecht, weil sie Ost- oder Westdeutsche sind, sondern weil der Kapitalismus immer hemmungsloser wird. Im Westen wird den Leuten eingeredet, dass Sozialabbau wegen der hohen Kosten der Einigung nötig ist, was nicht stimmt. Solche geschürten Ressentiments muss man bekämpfen.

Wir möchten mit Ihnen über Ihre ostdeutsche Herkunft sprechen. Die allermeisten Kinder in der DDR waren im Kindergarten, Sie nicht. Warum?

Ich wollte nicht. Ich habe die ersten Jahre bei meinen Großeltern in einem Dorf bei Jena gelebt. Meine Oma war bei meiner Geburt erst 39. Sie ist ein Jahr zu Hause geblieben, dann hat sie halbtags im Konsum gearbeitet. Da war ich oft bei ihr, das waren ja kurze Wege. Ich war auch ziemlich viel allein zu Hause.

War das schlimm?

Nein, ich war ein Kind, das gern allein war.

Wie alt waren sie da?

Na, so drei, vier Jahre.

Sie passten auf sich selber auf?

Ich habe mich wohlgefühlt. Da hat auch mal eine Nachbarin nach mir geguckt. Meine Oma und auch meine Mutter wollten, dass ich in Krippe und Kindergarten gehe. Ich habe so ziemlich alle Mittel eingesetzt, mit denen ein Kind seine Familie mürbe machen kann. Ich habe geweint und gebockt und war ziemlich stur. Ich wollte eben nicht.

Und warum nicht?

Ach, ich fand’s langweilig. Wenn ich da irgendwas hätte lernen können, eine Sprache etwa, das hätte mir Spaß gemacht. Aber einfach nur im Sandkasten spielen fand ich langweilig. Ich habe ja früh lesen gelernt.

Wie alt waren Sie da?

Vier. Ich habe gern gelesen. Und im Kindergarten ging das nicht. Da war immer Tumult.

Hatten Sie keine Freunde?

Doch. Es gab Kinder, mit denen ich gespielt habe. Aber ich wollte mich immer auch zurückziehen können.

Waren Sie ein vergeistigtes Kind?

Ich hab ja nicht mit vier Jahren Goethe gelesen!

Mit Schulbeginn sind Sie zu Ihrer Mutter nach Berlin gezogen. Sie hat als Galeristin gearbeitet. Dürfen wir uns ein bildungsbürgerliches Leben ostdeutschen Zuschnitts vorstellen?

Unser Bekanntenkreis, das war so Künstlerszene. Es ging ziemlich locker zu, meine Mutter hat mich auch früh zu Künstlerpartys mitgenommen.

Kein typisches DDR-Leben?

Sicher nicht so, wie man sich die DDR als Klischee vorstellt. Ich glaube aber, dass viele Menschen nicht in solchen Klischees gelebt haben.

Warum haben Ihnen Ihre Eltern den Namen Sahra gegeben?

Das müssen Sie meine Eltern fragen. Es ist ein persischer Name. Mein Vater war Iraner.

Haben Sie als Erwachsene je Kontakt zu ihm gesucht?

Dazu möchte ich nichts sagen.

Sind Sie in der DDR als Ausländerkind aufgefallen?

Das spielte eigentlich keine Rolle. Höchstens dass andere Kinder mich wegen meines Aussehens ärgerten. Das war nervend, aber ich habe mich gewehrt.

Wo haben Sie in Ostberlin Abitur gemacht?

In Marzahn an der Einstein-EOS.

Hatten Sie dort ZV, Zivilverteidigungsunterricht?

Ach, grässlich. Das waren zwei Wochen zwischen der 11. und 12. Klasse, eine schlimme Zeit. Im Gleichschritt marschieren, mit der Gasmaske am Boden robben, das war für mich schrecklich. Das Militärische und Uniforme habe ich gehasst.

Haben Sie rebelliert oder das Ganze still ertragen?

Irgendwo dazwischen. Ich habe nichts mehr gegessen. Der Gruppenzwang tagsüber und dann noch zu viert im Zimmer, das war für mich schlimm. Außerdem war doch klar, dass das Ganze im Falle eines Atomschlags sinnlos war.

Was hat Sie mehr gestört? Der ideologische Drill oder die fehlende Selbstbestimmung?

Es war einfach sinnlos. Ich habe damals schon Marx gelesen und mich als Marxistin verstanden – aber dieser Drill war genau das Gegenteil von Marx.

Was wollten Sie studieren?

Philosophie. Das hat zunächst nicht geklappt. In meiner Beurteilung stand zwischen den Zeilen, dass ich kompliziert bin und mich nicht ins Kollektiv einordne. Ich sollte dann vor dem Studium zwei Jahre an der Humboldt-Uni arbeiten. Ich habe diese Arbeit stoisch angetreten. Es war aber eine ganz stupide Tätigkeit in der Univerwaltung. Abtippen von Texten und so. Da habe ich nach drei Monaten gekündigt.

Warum?

Ich hatte angefangen, die Philosophen zu lesen, Hegel, Kant, Aristoteles. Ich wollte damit weiterkommen und keine Zeit verlieren. Mit der Kündigung war der Studienplatz allerdings weg.

Eine typische Ausreisesituation. Haben Sie daran gedacht?

Nein, ich habe mir die DDR anders gewünscht, nicht dass sie kaputt geht. Die Bundesrepublik war für mich nie eine Alternative. Ich wollte nicht im Kapitalismus leben.

Wo waren Sie am 9. November 1989?

Da war ich in meiner Wohnung in Berlin und habe Kants „Kritik der reinen Vernunft“ gelesen.

Finden Sie das nicht merkwürdig: Draußen passiert die Weltgeschichte und Sie lesen Kant?

Ja, Gott, Frau Merkel war in der Sauna, soweit ich gehört habe.

Wann waren Sie in Westberlin?

Erst deutlich später. Rom, Paris, Athen waren Städte, die mich interessiert haben. Westberlin nicht so. 1990 bin ich mal dorthin gefahren, weil ich ein Buch aus der Bibliothek brauchte.

Woran ist die DDR denn gescheitert?

Das ökonomische System war überzentralisiert, und das politische hat über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden. Es gab zwar formal Volkseigentum – aber das haben die Menschen nicht als ihres wahrgenommen, sie hatten ja keinen Einfluss darauf. Es gab einen dauernden Mangel, und da meine ich jetzt nicht Bananen. Aber man musste manchmal Kopfstände machen, um irgendwelche Ersatzteile zu kriegen. Wenn es wenigstens ein politisches Klima gegeben hätte, in dem man offen über die Probleme diskutiert hätte. Stattdessen wurde den Leuten erzählt, dass sie alles haben. Da fühlten sie sich einfach verarscht, und damit hatten sie ja auch recht.

Musste die DDR untergehen?

Meine Hoffnung damals war, dass sich die DDR reformiert, hin zu einer wirklichen Demokratie und einer anderen ökonomischen Politik. Ein Ansatz hätte vielleicht das Neue Ökonomische System aus den Sechzigern sein können, Reformen, die leider abgewürgt wurden.

Das DDR-Volk wollte aber 1989 nicht zurück zu Ulbricht, sondern in den Westen.

Die großen Demonstrationen im Herbst 1989 liefen unter der Losung „Für einen besseren Sozialismus“. Aber es gab keine politische Strategie dafür. Kohls CDU dagegen hatte eine.

Kannten Sie 1989/90 Bürgerrechtler?

Persönlich nicht.

Haben die Sie nicht interessiert?

Je nachdem. Manche wollten den Sozialismus reformieren. Andere den Anschluss an die Bundesrepublik. Pfarrer Christian Führer aus Leipzig etwa, der später auch die Anti-Hartz-IV-Proteste organisiert hat, ist für mich überzeugend. Der wollte nicht Kapitalismus brutal. Aber es gab auch Bürgerrechtler, die ihre Biografie in der CDU beendet haben. Was ist da von den vorgeblichen Idealen übrig geblieben?

Kennen Sie persönlich Opfer des DDR-Regimes?

Ich habe eine ganze Reihe Gespräche geführt. Und ich kriege Post von Menschen, die in der DDR Schlimmes erlebt haben. Wobei interessant ist, dass selbst mancher, für den die DDR wirklich die Hölle war, jetzt sagt, dass er die heutigen Verhältnisse ebenfalls unerträglich findet und nach Alternativen sucht. Ich glaube, dass unabhängig von der DDR viele das Gefühl haben, dass es so nicht weitergeht.

Was sagen Sie jemandem, der als politischer Häftling im DDR-Knast saß?

Ich kann nicht ungeschehen machen, was ein Bautzen-Häftling erlitten hat. Ich bedaure, dass es diese Repression gab, sie steht in völligem Kontrast zu den sozialistischen Idealen.

Wie hat sich denn Ihr Verhältnis zur DDR seit 1989 verändert?

Unmittelbar nach 1989 habe ich fast nur positiv über die DDR geredet. Das war eine Trotzreaktion auf dieses gesellschaftliche Klima, in dem ein Schauermärchen über die DDR das nächste jagte. So, wie es damals dargestellt wurde, war das Leben in der DDR eben nicht. Ich hatte damals das Gefühl: Jede Kritik an der DDR unterstützt dieses Klima. Das war natürlich Unfug, aber ich habe das damals so gesehen und deshalb die DDR in einer Weise gelobt, wie mir das vor 1989 nie in den Sinn gekommen wäre. Ich wollte einfach nichts gemein haben mit jenen, die pünktlich ab 1990 begannen, die DDR in schwärzesten Farben zu malen, während ihnen zu DDR-Zeiten kein kritisches Wort über die Lippen gekommen wäre.

1992 haben sie noch den Mauerbau gerechtfertigt, jetzt klingt das anders. Wann hat sich Ihr DDR-Bild verändert?

Es ist nicht grundsätzlich anders als früher. Ich habe Anfang der Neunziger einfach bestimmte Sachen weggelassen. Ich habe nie gesagt: Die Bespitzelung der Leute durch die Stasi war sinnvoll. Ich habe einfach nichts zur Stasi gesagt. Die Mauer habe ich schon damals als „Übel“ bezeichnet …

als „notwendiges Übel“.

Haben Sie mit Anfang zwanzig nicht auch manchmal Sachen gesagt, die Sie heute nicht mehr gedruckt sehen wollen? Ich ging damals davon aus, dass es keine Alternative zur Mauer gab. Heute meine ich, es hätte eine geben müssen.

Ihnen ist also nie ein Licht aufgegangen?

Ich habe die DDR ja nie rosarot gesehen. Und anders als andere habe ich das auch schon zu DDR-Zeiten gesagt. Gerade weil ich wollte, dass sie sich verändert und nicht untergeht. Anfang der Neunziger sah es dann so aus, als hätten wir uns auf hundert Jahre Kapitalismus einzurichten. Die DDR war tot, warum also noch Schlechtes über sie reden? Das war natürlich falsch, aber ich denke, dass die Debatte über die Vergangenheit nicht den Blick auf aktuelle Probleme verstellen sollte.

Sie sind im März 1989 in die SED eingetreten, ausgerechnet eine Massenorganisation, zu einer Zeit, da Ihnen der Staat das Studium verweigert hat. Warum?

Weil ich mich als Sozialistin und Marxistin verstand und weil ich hoffte, die DDR verändern zu können. Das war natürlich auch eine Selbstüberschätzung.

In der PDS gab es in den Neunzigern viele junge Frauen. Hatten Sie das Gefühl, das Image der Partei aufpolieren zu sollen?

Nein.

Kennen Sie nicht diese Sprüche: Das ist ’ne Kluge, und schöne Beine hat sie auch?

Ich glaube nicht, dass ich in der Partei jemals wegen meiner Beine in eine Funktion gekommen bin. In den Medien spielt das Äußerliche eine Rolle, ja. Gerade bei Frauen. Über einen Mann mit Vollbart würde niemand schreiben, dass der Marx nachmacht.

Ist die Aufmerksamkeit für Ihr Äußeres nicht eine Chance?

Ich will nicht mit meiner Frisur Politik machen.

Sie lenken darüber die Aufmerksamkeit auf sich, auf das, was Sie wollen.

Die Aufmerksamkeit wird dadurch eher von dem abgelenkt, was ich will, wenn man über meine Frisur und mein Gesicht schreibt, aber nicht über meine politischen Positionen. Die Medien haben früher ein Gruselbild von mir gezeichnet. So nach der Art: Die will Gulags in Deutschland einführen – und dann sieht sie auch noch schön aus.

Hat Sie das gekränkt?

Eher erschreckt. Damals zumindest. Ich war da noch Studentin, und plötzlich ist man auf Titelbildern, verbunden mit Horrorschlagzeilen: Stalinistin, Gulag. Ich hatte das Gefühl, keinen Einfluss darauf zu haben, wie ich wahrgenommen werde. Bild und Spiegel nutzen ihre ganze Macht.

Haben Sie Hass erlebt?

Ganz selten. Ich hatte bisher nur ein wirklich schlimmes Erlebnis, das waren Nazis. Die haben mich in Berlin am Bahnhof auf widerliche Weise attackiert: Rote Sau, wenn du so weitermachst, machen wir dich kalt. Ich bin weggelaufen und sie haben mich zum Glück laufen lassen. Das saß mir trotzdem lange in den Knochen.

Haben sich Ihre politische Anschauungen seit 1990 gar nicht verändert?

Na ja, wer sich in zwanzig Jahren überhaupt nicht verändert, ist wohl ziemlich borniert. Ich habe mich ja erst in den letzten zehn Jahren intensiv mit moderner Ökonomie befasst, ich verstehe den Kapitalismus heute viel besser als früher. Aber die Grundüberzeugung, dass Kapitalismus Kriege produziert, Armut und soziale Kontraste, warum hätte ich die verändern sollen?

Sie werden in zwei Wochen in Rostock wohl zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. 1995 hat Gregor Gysi gesagt: Entweder Sie oder er.

Das ist lange her. Inzwischen haben wir ein deutlich besseres Verhältnis.

Als Vizevorsitzende müssen Sie Ihre Mitgliedschaft in der Kommunistischen Plattform ruhen lassen. War das Gysis Bedingung?

Nein, das gilt ja für alle. Wer zur engeren Parteispitze gehört, darf nicht mehr für eine Parteiströmung arbeiten. Das ist vernünftig. Eine stellvertretende Vorsitzende muss für die Partei stehen, nicht nur für eine Strömung. Ich gebe damit natürlich nicht meine Überzeugungen auf.

Dieser Beschluss ist doch eine Lex Wagenknecht, geboren aus der Furcht, dass Sie als Vizechefin nicht loyal zur Partei sind.

Unfug. Ich halte den Kurs, den die Linke seit ihrer Gründung eingeschlagen hat, für richtig. Warum soll ich da nicht loyal sein? Vieles, was ich politisch will, ist doch in der Partei heute Mehrheitsposition.

Die Partei hat sich also auf Sie zubewegt?

Es ist eine neue Partei und nicht mehr die alte PDS. Auch der Kapitalismus ist heute anders als vor fünfzehn Jahren, weil die brutalen Auswirkungen von Liberalisierung und Privatisierung auf der Hand liegen. Es hat sich gezeigt, wohin das führt.

Die Linkspartei will laut dem Entwurf für ihr Grundsatzprogramm eine Wirtschaft, die wie DDR-light klingt. Kaum Markt, viel Regulierung.

Das ist eine Unterstellung. Wir wollen keine zentrale Planung jeder Schraube wie in der DDR. Wir wollen auch keine vollverstaatlichte Wirtschaft. Die kleinen und mittleren Unternehmen sollen privat bleiben oder genossenschaftlich. Aber bei Banken, der Daseinsvorsorge, Infrastruktur und bei strukturbestimmenden Großunternehmen soll das kapitalistische Eigentum überwunden werden. Sonst kann doch von einer Überwindung des Kapitalismus keine Rede sein.

Staatsfixierte Wirtschaften neigen dazu, unproduktiv zu sein.

Dann haben Sie den Programmentwurf nicht gelesen. Das Problem ist doch, dass große Unternehmen heute so viel ökonomische Macht haben, dass sie ganze Staaten erpressen können. Da, wo es solche Erpressungsmacht gibt, ist privates Eigentum mit Demokratie unvereinbar. Wenn die Wirtschaft die Politik diktiert, gibt es nur noch eine Politik für die oberen Zehntausend. Um das zu ändern, braucht man andere Eigentumsverhältnisse.

Das könnte noch ein bisschen dauern. Hat die Linkspartei eine Zukunft als Protestpartei?

Wir sind keine reine Protestpartei. Wir haben konkrete Antworten: die Einführung von Mindestlöhnen, andere Steuern, die Überwindung von Hartz IV. Man muss auch sehen: Es gibt gar keine plausible Strategie aus dieser Krise heraus, die die kapitalistischen Macht- und Eigentumsverhältnisse unangetastet lässt. Die Herrschenden hoffen einfach, dass sich das Unwetter irgendwie verzieht und die Ungleichgewichte wieder kleiner werden. Obwohl sie politisch alles dafür tun, dass die Ungleichgewichte sich weiter vergrößern, indem sie nur auf den Export setzen.

Die Linkspartei war zuletzt ziemlich erfolgreich. Andererseits zeigen Umfragen, dass 80 Prozent der Wähler die Partei fundamental ablehnen. Wie wollen Sie das ändern?

Na ja, dass 20 Prozent sich vorstellen können, uns zu wählen, ist ja nicht schlecht. Viele lehnen uns ab, weil sie glauben, was die Medien über uns berichten. Also dass wir angeblich Kleinbetriebe verstaatlichen wollen oder Wahlen außer Kraft setzen. Das ist natürlich Unsinn.

Ein Ergebnis der Manipulation durch die bösen Medien?

Natürlich müssen wir als Linke auch immer sehen, wie wir dem entgegenwirken. Vor zehn Jahren war die Ablehnung noch viel größer, gerade im Westen. Nach Auftritten in Talkshow bekomme ich heute viele positive Rückmeldungen, selbst von Leuten, die schreiben, dass sie früher CDU oder FDP gewählt haben. Ärzte und Anwälte, sogar Banker.

Dann sind die Medien, die Ihnen so viel Übles angetan haben, ja doch ganz nützlich …

In einer Talkshow kann ich ohne Filter argumentieren – soweit ich zu Wort komme jedenfalls.