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Archiv-Artikel

„Angst vorm knackigen Muslim“

FÜHRERFIGUREN Haider-Experte Klaus Ottomeyer über Rechtspopulisten in Österreich und Deutschland und die Frage, wie man Sarrazin therapieren könnte

Klaus Ottomeyer

■ ist Professor an der Uni Klagenfurt und Leiter der Abteilung für Sozialpsychologie, Ethnopsychoanlyse und Psychotraumatologie. Im Haymon Verlag ist 2010 erschienen „Jörg Haider – Mythos und Erbe“.

INTERVIEW AMBROS WAIBEL

taz: Herr Ottomeyer, wie geht Kärnten zwei Jahre nach seinem Unfalltod mit der Ära des Rechtspopulisten und Landeschefs Jörg Haider um?

Klaus Ottomeyer: Es ist ein ziemlicher Trübsinn ausgebrochen, die Absetzbewegungen sind nicht zu übersehen. Die Haider-Sonderausstellung ist geschlossen, die Jünger gedenken seiner offenbar auch zum diesjährigen Todestag am 11. Oktober nicht. Es scheint doch manchem zu dämmern, dass man einem Betrüger aufgesessen ist. Es sind so viele Finanzskandale aufgeflogen, in die Haider verwickelt war, dass die Heroisierung nicht mehr funktioniert.

Es gibt einen Erben: Heinz Christian Strache von der FPÖ will sich Sonntag zum Wiener Bürgermeister wählen lassen. Ist er Haider 2.0?

Strache ist der verstoßene Ziehsohn. Nach Haiders Tod hat er zunächst das Erbe angetreten, sich bei Bekanntwerden der Finanzskandale aber wieder abgesetzt. Jetzt gibt er den jungen Haider, ohne das Vorbild zu erwähnen. Aber er ist genauso bösartig.

Wie schwappt die Sarrazin-Debatte aus Deutschland nach Österreich?

Ich war heute in einer Buchhandlung in der Kärntner Provinz. Da lag das Buch stapelweise aus. Es scheint auch hier ein Bestseller zu werden.

Und wie wird es diskutiert? Heißt es: „Die Piefke merken’s jetzt auch“?

Schon. Strache wirbt mit „Freie Frauen statt Kopftuchzwang“ und sagt, dass das jetzt auch deutsche Linke fordern, er zitiert Alice Schwarzer.

„Strache, du bist mein Sexgott“, jubelte eine Anhängerin jüngst in Wien. Diese Erotisierung, die es ja auch in Bezug auf Haider gab, die funktioniert mit Sarrazin ja nicht, oder?

Nein, attraktiv-erotisch ist Sarrazin nicht. Das macht aber offensichtlich nichts. Ich habe immer gedacht, Deutschland sei nicht so schlimm wie Österreich, wo eine ausländerfeindliche Bewegung ein Viertel der Wähler erreicht. Jetzt weiß ich es besser.

Die Leute hier warten offenbar noch auf ihren Führer. Wie müsste der in Deutschland aussehen?

Es müsste jemand sein, der das Feindbilddenken von Thilo Sarrazin mit dem Unterhaltungswert von Thomas Gottschalk verbindet. Dazu der Flair des Bier trinkenden Kumpels, wie ihn Gerhard Schröder in seinen besten Zeiten hatte. Dann noch ein Prise Heiratsschwindler oder Hochstapler, der fühlt, was Menschen brauchen und der ihnen die Verwirklichung ihrer Träume verspricht – darin war Haider genial. Etwas vom Macho und Hasardeur à la Möllemann. Und schließlich den Naziverharmloser, der die Kriegsgeneration mitnimmt, indem er die deutsche Schuld relativiert. Sarrazins Gerede von den „jüdischen Genen“ ist da wohl kein Zufall – trotz Entschuldigung. Und man braucht Geld, auch illegales: Sponsoren, wie Helmut Kohl sie hatte.

Braucht man eine multiple Persönlichkeit?

Man muss schamlos verleugnen, was man gestern gesagt hat: die Politik des folgenlosen Dementis. Und charmant sein. Aber vielleicht ist Deutschland dafür zu heterogen. Ob Straches eigentümlicher Charme in Hamburg ankommen würde? Gibt es in Hamburg überhaupt Charme?

Hitler konnte sehr charmant sein.

Beim Nationalsozialismus darf man die reale, ungeheure Traumatisierung durch den Ersten Weltkrieg nicht vergessen. Das war eine ganz andere historische Situation. Diese Kompensationsdynamik gibt es zum Glück in Deutschland im Moment nicht.

Heute fehlt die Wunde?

Wenn der soziale Absturz weitergeht, dann genügt vielleicht auch die Masse der persönlichen Verletzungen.

Herrscht in Deutschland nicht auch ein anderes Bild von Männlichkeit vor als in Österreich?

Der Neomachismo ist hier schon sehr virulent, das Bild vom „feschen Burschen“. In Deutschland gibt es mehr Subkulturen. Bei Sarrazin ist die Gemengelage eine ganz andere. Das ist ja ein alter Mann und repräsentiert andere ältere Menschen, die Angst haben vor den jungen, knackigen, männlichen Muslimen – die auf viele Menschen aber auch attraktiv wirken.

Verunsicherte alte Menschen, die virile, junge Männer beneiden? Da sind wir aber mitten bei Freud.

Das ist umgekehrter Ödipus, ja.

Wie würden Sie denn dieser Verunsicherung begegnen?

Es gibt ein Gefühl der Erosion des Individuums durch die vielen Anpassungsleistungen, die die Menschen im Kapitalismus leisten müssen. Viele wünschen sich Kohärenz statt Verwirrung. Das kann man dann gut bei den Ausländern abladen: In Abgrenzung zu denen fühlt man sich dann wieder irgendwo zugehörig und klar definiert. Als Therapeut müsste man die Sarrazin-Menschen zunächst mal würdigen: ihre Lebensleistung, dass sie etwas aufgebaut haben, damit sie sich wertgeschätzt fühlen. Sie dürfen nicht das Gefühl haben, abgeschafft zu werden. Aber man darf ihnen nicht nach dem Mund reden, so wie Haider es tat.