: Fußball macht den Kopf frei
INTEGRATION Beim Aktionstag „Refugees Welcome“ des SV Babelsberg 03 gewinnt das eigene Flüchtlingsteam gegen den Hamburger FC Lampedusa. Doch Fußball ist ohnehin nur Mittel zum Zweck: Welcome United 03 soll die Isolation von Geflüchteten durchbrechen
HASSAN JUSEINOV, TRAINER UND FLÜCHTLING AUS MAZEDONIEN
VON HILKE RUSCH
Es war ein engagiertes und schnelles, teils ruppiges Spiel, aber nach dem Abpfiff fielen sich alle Spieler in die Arme – und die Verlierer wirkten alles andere als geknickt. Am Samstag gewann das Babelsberger Team Welcome United 03 gegen den Hamburger FC Lampedusa mit 4:3. Ein Freundschaftsspiel zwischen zwei Teams, deren Spieler keinen gesicherten Aufenthalt haben oder nur für die Dauer von ein paar Monaten geduldet sind.
Hassan Juseinov trainiert das Team Welcome United 03 ehrenamtlich. Der Mazedonier betont, wie wichtig der Fußball für die Flüchtlinge ist. „Die Leute kommen aus den unterschiedlichsten Ländern, sie haben dort ebenso wie hier eine Menge Probleme.“ Fußball helfe ihnen, für eine Weile den Kopf frei zu bekommen. Juseinov ist nicht nur Trainer, sondern hat sich am Samstag selbst aufgestellt: Als sein Torwart zu Beginn der zweiten Halbzeit verletzt den Platz verlassen muss, wechselt er ins Tor. „Es war immer mein Traum, einmal im Stadion von 03 spielen zu dürfen,“ sagt Juseinov nach dem Spiel.
Als Trainer von Welcome United müsse er jetzt unbedingt Englisch lernen, sagt der Mann, der sechs Sprachen spricht – darunter fließend Deutsch, weil er jahrelang in Niedersachsen lebte, bevor er nach Mazedonien abgeschoben wurde. 2012 kam er zurück, versucht seitdem, mit seiner Familie Fuß zu fassen. Kurz war er beim SV Babelsberg 03 als Hausmeister beschäftigt, bis die Ausländerbehörde die Tätigkeit untersagte: Geduldete dürfen nicht arbeiten. Immerhin konnten Juseinov und seine Familie Anfang des Jahres vom Flüchtlingsheim in eine eigenen Wohnung ziehen.
Asylpolitik im Stadion
Juseinovs Mannschaft Welcome United 03 gehört seit Juni zum SV Babelsberg 03. Der Potsdamer Verein sagt, er sei der erste Klub, der ein Team aus Geflüchteten aufnahm. Im Stadion hängen Transparente mit den Slogans „Festung Europa sabotieren“ und „Refugees Welcome“. Letzterer ziert für die Dauer der laufenden Saison auch die Trikothosen der 1. Mannschaft. Die gewinnt am Samstag im Hauptspiel des Tages mit 3:2 gegen den 1. FC Union II.
Ein Großteil der gut 2.300 Zuschauer_innen sieht sich das Spiel der Refugee-Teams dann gar nicht mehr an – manche auch deshalb, weil sie an diesem Tag zum ersten Mal von dem Aktionstag hörten. Hätten sie früher davon gewusst, wären sie vielleicht geblieben, sagt eine Gruppe Jugendlicher, jetzt seien sie aber schon verabredet. Die rund 500 Fans, die bleiben, können sich an Info-Ständen unter anderem von Amnesty International, dem Diakonischen Werk, Viva con Agua und dem LSVD informieren, Petitionen für Bleiberecht unterschreiben und Merchandiseartikel der Teams kaufen.
Stadionsprecher Thomas Hintze freut sich über die Zahl der anwesenden Fans; für ihn ein Zeichen dafür, dass diese hinter dem Projekt stehen. Hintze sitzt neben einem niedrigen Tisch, von dem aus ein Mediateam des FC Lampedusa per Ticker und Internetradio live über das Spiel berichtet. „Welcome United muss aufpassen, dass sie sich nicht unbeliebt machen“, lacht Hintze, „die siegen einfach zu viel.“ Das Team hat kürzlich auch die Herbstmeisterschaft gewonnen, die zwischen verschiedenen Mannschaften Babelsberger Fangruppen ausgetragen wurde.
Ab 2015 soll Welcome United 03 in den regulären Spielbetrieb aufgenommen werden. Hassan Juseinov freut sich sichtlich darüber, auch wenn das bedeutet, dass er selber nicht weiter spielen darf, sondern sich laut Regelwerk auf seine Rolle als Trainer beschränken muss.
Jannis Rink darf schon jetzt nicht bei der Partie mitkicken. Er ist bei Welcome United der Einzige mit deutschem Pass. „Jeder darf dort mittrainieren“, sagt er. Welcome United hat sich schließlich auch zum Ziel gesetzt, die Isolierung von Geflüchteten aufzubrechen. Es bleibt aber den Refugees vorbehalten, an den Spielen teilzunehmen. Jannis Rink schaut ein wenig bekümmert. Er gibt zu, dass er gerne angetreten wäre, zeigt aber auch Verständnis und scheint die Regelung als ausgleichende Gerechtigkeit zu empfinden: „Nun ist es halt mal andersherum als üblich, und ich bin derjenige, der ausgeschlossen ist“, sagt er.
In der zweiten Halbzeit vernebelt schwarzer Rauch die Sicht, ein Fan hält ein rotes Bengalo-Feuer in die Luft. Die Zuschauer_innen quittieren die Ein-Mann-Ultraszene mit amüsiertem Klatschen und stimmen als eher untypischen Stadiongesang „Solidarité avec les Sans-Papiers“ an. Verhalten zeigt sich hingegen einer der wenigen älteren 03-Fans, die sich die Partie ansehen. „Wenn sie schon mal hier sind, müssen wir sie natürlich gut behandeln. Aber ganz Afrika können wir nicht aufnehmen“, findet der Mann.
William Mugre ist seit drei Monaten in Deutschland und genauso lange Teil des Teams Welcome United. Nach dem Spiel zeigt er sich einfach nur glücklich. „Die Atmosphäre ist sehr freundschaftlich und es fühlt sich an wie eine Familie“, sagt er.
Wie eine Familie
Sein Teamkollege Youssouff Ibrahim wurde am Samstag nicht aufgestellt und musste die Partie vom Spielfeldrand verfolgen. Vielleicht redet er genau deshalb weniger über die Mannschaft und mehr über seine Situation als Geduldeter – weil er den Kopf nicht frei kriegen kann. Der Weg von Libyen hierher sei sehr schwierig gewesen, sagt Ibrahim – aber dass er seit zwei Jahren nicht arbeiten oder studieren darf, ist für ihn völlig unverständlich. „Wir haben hier keine Rechte“, sagt Youssouff Ibrahim. Zahnarzthelfer würde er gerne werden. Vorerst bleibt ihm nichts anderes, als weiter für sich alleine Deutsch zu lernen.