: „Fruchtbarer Boden für Nazis“
THOMAS STEENSEN, 56, leitet seit 1987 das Nordfriesische Institut in Bredstedt und lehrt an der Universität Flensburg.
taz: Herr Steensen, die jüngste Tagung des Nordfriesischen Instituts widmete sich der Frage, warum sich die Nazis in Nordfriesland leicht etablieren konnten. Warum war das so?
Thomas Steensen: Einerseits handelt es sich um eine ländliche Region. Die SPD war deshalb sehr schwach. Weil Nordfriesland evangelisch-lutherisch geprägt war, existierte die katholische Zentrumspartei dort nicht. Hinzu kam einerseits eine Krise der Landbevölkerung, andererseits eine seit Ende des 19. Jahrhunderts etablierte Ideologie, die „Deutschtum“ und „Scholle“ verherrlichte. Der deutsch-dänische Grenzkampf ab 1919 verstärkte diese Tendenz noch.
Worin bestand die Krise des bäuerlichen Milieus?
Die Bauern hatten während des Kaiserreichs sehr gute Zeiten erlebt. In der Weimarer Republik verloren sie ihre Vorzugsstellung: Die Schutzzölle für Bauern fielen weg, viele gerieten in eine Überschuldung. Die Folge waren Zwangsvollstreckungen und Unruhen – eine Protestbewegung, von der die Nazis profitierten.
Warum waren die „sturen“ Friesen so anfällig für Heldenkult und Gefolgschafts-Ideologie?
In ihrer Propaganda appellierten die Nationalsozialisten an „Abziehbilder“ von den „hehren“ Friesen. Das kam bei manchen an. Der Nordfriesische Verein aber wollte sich zum Beispiel nicht gleichschalten lassen. Es gab Bauern, die sagten: Eines freien Friesen ist es nicht würdig, das, was im gegenwärtigen Zwangsregiment geschieht, sklavisch zu bejubeln.
Aber die Mehrheit tat es.
Ja, und zwar ab 1932. Das Phänomen ist sehr ambivalent: Es gibt eine starke Tradition friesischer Freiheit. Etliche Menschen merkten aber nicht, dass die Nazis das pervertierten, wenn sie sich zur „Freiheitsbewegung“ stilisierten. Selbst die SA hat in einem ihrer Lieder den Friesen-Wahlspruch „Lieber tot als Sklave“ verwendet.
Warum haben sogar die Friesinnen den frauenfeindlichen Nazis zugejubelt?
Rational ist das nicht zu erklären. Eigentlich hatten die Frauen eine starke Position in der friesischen Gesellschaft – besonders in den frühen Seefahrergemeinschaften auf den Inseln. Aber die NS-Parolen wurden offenbar nicht im Widerspruch zum friesischen Frauenbild gesehen.
INTERVIEW: PETRA SCHELLEN