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Archiv-Artikel

Urban-apokalyptische Kulisse

FANTASY FILMFEST Eine kriminelle Londoner Gang steht einer Alieninvasion im eigenen Viertel gegenüber: Mit der britischen Produktion „Attack the Block“ zeigt das Festival zum Abschluss den Film der Stunde

Unter den jungen Horrorregisseuren ist Lucky McKee am ehesten der Autorenfilmer

VON THOMAS GROH

Eine Aphrodite ist es nicht, die da aus dem Wasser steigt, eher die Fleisch gewordene Männerfantasie eines Hinterwäldlers: eine wilde Frau, die nackt im Fluss badet, sich ihr Essen mit Händen und Zähnen erlegt und in ihrem Verhalten eher an eine Wölfin erinnert – ein erotisiertes Naturversprechen, das erobert, überwältigt sein will. So sieht das Chris Cleek (Sean Bridgers), ein überzivilisiert auftretender Provinzanwalt, der gern mal im Wald auf Jagd geht und kaum seinen Augen traut, als er die wilde Frau über Kimme und Korn seines Gewehrs anvisiert.

Die Frau als Freiwild. Schlicht „The Woman“ heißt der Film von Lucky McKee, der im Rahmen des heute beginnenden Fantasy Filmfests zu sehen ist. Minutiös und unbarmherzig gegenüber seinem Publikum erzählt er die höchst beunruhigende Geschichte einer Misshandlung, die einem nur umso mehr den Boden unter den Füßen wegzieht, je selbstverständlicher der unbekümmerte, ja nicht mal gehässig auftretende Cleek dabei zu Werke geht: Die Frau wird überwältigt, im Keller eingesperrt, gedemütigt – alles unter den Augen von Ehefrau und Nachwuchs, die entweder mitmachen oder es nicht wagen, sich zu sträuben –, schließlich auch in Übereinkunft von Vater und Sohn vergewaltigt.

Abscheulichkeiten im Horrorkino ist man gewohnt, was „The Woman“ aber zu einem so herausragenden Film macht, ist die glasklare Verortung der Gewalt, die keiner kranken Psyche, sondern direkt dem patriarchalen Konsens entspringt: Cleek steht für die Mitte der Gesellschaft, aus ihm spricht die Selbstsicherheit eines ungebrochenen Patriarchen mit einem an schlafwandlerischer Gewissheit grenzenden Gottvertrauen darauf, mit jeder noch so offen ausgelebten Scheußlichkeit davonzukommen, dass einem das kalte Frösteln kommt. Zumal es sich um ein konkretes Echo handelt, das einem die reale Möglichkeit dieser Geschichte stets vor Augen hält. Denn es ist kaum möglich, bei diesem Film nicht an den Fall Fritzl zu denken, der vor drei Jahren Schlagzeilen machte.

Unter den jungen Horrorfilmregisseuren ist Lucky McKee noch am ehesten ein „Horror-Auteur“ mit eindeutigem Projekt: Das im Subtext des Genres häufig angelegte feministische Potenzial, das Kulturwissenschaftlerinnen wie Carol Clover und Judith Halberstam in ihren Analysen herausgearbeitet haben, wird von McKee seit „May“, seinem Debüt von 2002, immer wieder konkretisiert: Auffallend häufig stehen bei ihm starke, ambivalente Frauen und die Gewaltverhältnisse, die sie zum Manövrieren zwingen, im Vordergrund. Seit de Palmas „Carrie“ in den 70ern wurden keine so offen feministischen Horrorfilme mehr gedreht. Die Kontinuität, mit der das Fantasy Filmfest diese Karriere abbildet, zählt zu dessen großen Verdiensten.

Ti West ist ein zweiter Regisseur unabhängig produzierter, ambitionierter Horrorfilme, den das Festival genauer in den Blick nimmt. Vor zwei Jahren stellte er hier mit „The House of the Devil“ eine formell nahezu makellose Hommage an den Geisterhaus- und Okkultismusfilm der 70er Jahre vor und empfahl sich damit als einer der vielversprechendsten Ästheten seines Fachs, der überdies auch dem amerikanischen Regienachwuchs des digitalen oder 16mm-Indiekinos nahe zu stehen scheint: Auf der diesjährigen Berlinale spielte er in Joe Swanbergs zu Herzen gehendem Beziehungsdrama „Silver Bullets“ einen jungen Horrorfilmregisseur, quasi sich selbst. Ob es ihm gelingt, seine Versprechen von vor zwei Jahren mit dem nun präsentierten „The Innkeepers“ – ebenfalls ein Geisterhausfilm mit knarrenden Treppen und dunklen Kellern – einzulösen, zählt zu den spannendsten Fragen des aktuellen Festivaljahrgangs.

Fast schon visionär nimmt sich der britische Abschlussfilm des Festivals, „Attack the Block“, aus (Kinostart Ende September). Hier sieht sich eine offen kriminelle Londoner Gang von „Hoodies“, jener Gruppe Jugendlicher also, von denen die Ausschreitungen in der britischen Metropole ihren Ausgang nahmen, einer Alieninvasion im eigenen Viertel gegenüber: vom Straßendieb zum Helden in wenigen Minuten. Von zentralem Interesse sind hierbei nicht nur die zu reißen drohenden sozialen Spannungen – Kampf gegen Aliens und Flucht vor der Polizei gehen Hand in Hand –, sondern auch die lustvoll inszenierte, souveräne Wendigkeit der Kids in der brutalistischen Sozialbauarchitektur vor urban-apokalyptischer Kulisse. Mit Blick auf die Medienbilder der vergangenen zwei Wochen: der passende Film zur Zeit.

■ Bis 24. 8. Alle weiteren Infos: www.fantasyfilmfest.com