: Freiheit, die unglücklich macht
GESELLSCHAFT Der Soziologe Heinz Bude untersucht die Angst
Eine Versicherung, die Jahr für Jahr nach Ängsten der Deutschen fragt, meldete im September: Der Angstindex ist so niedrig wie seit zwanzig Jahren nicht. Ein Buch über Angst hat 2014 etwas Antizyklisches. Das muss kein Nachteil sein.
Der Soziologe Heinz Bude wirft in seinem neuen Buch „Gesellschaft der Angst“ einen Blick auf Beziehungsmärkte und Arbeit, auf Familien, auf Geld- und Datensysteme, die sehr verschiedenen Angsterfahrungen der Generationen in Deutschland. Die Angst hat, so die plausible Grundthese, etwas Abgedämpftes. Sie ist kein panischer Affekt, sondern wie das Geräusch eines Springbrunnens. Nicht laut, aber immer hörbar.
Obwohl es Deutschland, anders als Südeuropa, materiell gut geht, ist das Aufstiegsversprechen passé. Die, folgt man Bude, trotz allen Untergangsprognosen stabile Mittelschicht treibt weniger der Traum vom besseren Leben voran als die Angst, schon bald nicht mehr dazuzugehören.
Als Furchtverstärker wirkt die Befreiung des Individuums von starrer Arbeitsmoral und dem Korsett kollektiven Normen. Die Rückseite der Freiheit ist der Zwang zur Selbstverwirklichung: Wer sein Leben in den Sand setzt – und wer tut das zumindest zeitweise nicht? – ist heute ganz alleine Schuld. Dieser Befund ist seit Alain Ehrenbergs und Byung-Chul Hans „Müdigkeitsgesellschaft“ nicht neu. Bude formuliert ihn mit einem allerdings dezenten katholischen Subton. Im Katholizismus wusste man ja schon immer, dass zu viel Freiheit unglücklich macht.
Bude schreibt flüssig, mitunter elegant. Das Problem dieses Buchs ist nicht Mangel an Originalität, es ist die Form des Essays. Denn was selbst beobachtet ist, was Vermutung, was These, was Wissen ist, all das fließt recht frei ineinander. Zahlen und Belege fehlen weitgehend. Den empirischen Nachweis mag man von einem Essay nicht verlangen. Vom Soziologen, der in kühnem Rundumblick gleich die ganze Gesellschaft auf die Couch legt, allerdings sehr wohl. STEFAN REINECKE
■ Heinz Bude: „Gesellschaft der Angst“. Hamburger Edition 2014, 150 Seiten, 16 Euro