: Anarchie schadet nie
PUNK Der Dokumentarfilm „Noise and Resistance“ von Julia Ostertag und Francesca Araiza Andrade macht mit einer lebendigen Subkultur vertraut: mit der Do-it-yourself-Szene. Premiere ist heute im Freiluftkino Kreuzberg
VON THOMAS GROH
Kaum ein popkulturelles Feld ist in den jüngsten Jahren so ergiebig in Kino-, TV- und Radiodokumentationen beleuchtet worden wie die Punk- und Hardcoreszene, aus der sich offenbar nahezu jede tragende Säule des hiesigen, heutigen Kulturbetriebs zusammensetzt: Jeder will dabei gewesen sein. Eigen ist all diesen Beiträgen die historisierende, meist verklärende Rückschau: Ach, damals im Ratinger Hof in Düsseldorf; wie schön war's doch im CBGB's in New York um 1980. Die gegenwärtige Punkszene dagegen war bislang keine Filmförderung wert. Über kulturelles Kapital verfügt sie ohnehin kaum: Weder die Saufkumpanei-Angebote von Campino und Co noch die vielleicht sympathischen, aber kaum weltbewegenden Karrieren jüngerer angepunkter Rockmusiker im halbarrivierten Sektor sind von Interesse. Und für die poplinke Musikkritik, die in den vergangenen Jahren vermehrt Interesse an extremeren Musikgattungen gezeigt hat, sind Punk und Hardcore, zumal in den radikal politischen Ausprägungen, ästhetisch seit Jahren als „bedeutungslos“ abgeschrieben.
Oder aber sie findet – der Überentblößtheit subkultureller Phänomene im MySpace-Zeitalter zum Trotz – schlicht keinen Zugang: Bis heute existiert eine international hochvernetzte Szene, die sich strikt jenseits kommerzieller Strukturen verortet. Ihr Credo: DIY – do it yourself. Mach deine eigene Band, dein eigenes Fanzine, dein eigenes Konzert – notfalls im Keller, in verlassenen Großstadtruinen oder im eigens besetzten Haus. Und verdrahte dich mit Gleichgesinnten – als „Network of Friends“ besang dies die Szenelegende Heresy Jahre vor allen sozialen Netzwerken im Internet.
Gender-Bending
Für den Dokumentarfilm „Noise and Resistance“ sind die Regisseurinnen Julia Ostertag und Francesca Araiza Andrade tief in diese lebhafte Szene vorgedrungen. Dabei kommen vor allem die heutigen Protagonisten ausführlich zu Wort. Der alte Szeneslogan „It's more than music“ bewahrheitet sich hier bei jedem Umschnitt: Für alle Gesprächspartner ist der DIY-Untergrund kein Feierabendamüsement, sondern bestimmender Lebensinhalt und damit eine Alternative zum bürgerlich vorstrukturierten Lebenslaufideal.
Doch zeigen sich darin regional je unterschiedliche Konkretionen. Während spanische Anarchopunks Häuser besetzen und die anarchistische Tradition ihres Landes historisch verwalten, blüht in Schweden eine neue, maßgeblich von Frauen im solidarischen Verbund initiierte, selbstbewusst postfeministische Szene in der Blicknähe von Gender-Bending-Aktivismus und akademischer Queer Theory. In Norwegen organisieren sich Punks in einer autarken Waldhüttensiedlung und verwirklichen damit einen entspannten, wenngleich etwas angekitschten Traum vom Leben im Einklang mit der Natur. Für die russischen Punks hingegen ist der szeneinterne Zusammenhalt buchstäblich überlebensnotwendig: Übergriffe aus der starken rechtsradikalen Szene wie aus der Normalbevölkerung sind nicht außergewöhnlich. Viele der sich klar als links verstehenden Punks tragen Messer zum Selbstschutz bei sich, seit einer von ihnen vor wenigen Jahren auf offener Straße von Nazis ermordet wurde.
Ihren Ursprung hat diese internationale Szene in den Aktivitäten des britischen Punkkollektivs Crass, das der ersten Ausverkaufswelle von Punkrock in den späten 70ern mit ernsthaft vertretenen anarchistischen Überzeugungen und ästhetischen Strategien aus der Avantgarde begegnete. Die bierselig frivole, quietschbunte „Anarchy in the U. K.“-Lümmelei der Sex Pistols wurde von einer apokalyptisch anmutenden No-nonsense-Ästhetik in klarem Schwarz-Weiß abgelöst, die zugleich jede zuvor noch bestandene Verbindung zum Rock 'n' Roll, zu dessen hierarchischen Strukturen und seinen Konzernen weit hinter sich ließ. „Man kann diese Gesellschaft nicht durch etwas bekämpfen, was diese Gesellschaft spiegelt“, kommentiert Crass-Schlagzeuger und Texter Penny Rimbaud an einer Stelle im Film die ästhetische und politische Haltung seiner Band. Crass spielten fortan auf linken Veranstaltungen und in besetzten Häusern, heute leben die Kernmitglieder als Kommune auf dem Land.
Solche nüchtern vermittelten Geschichtsstunden bilden in „Noise and Resistance“ keinen nostalgisch verklärten Fluchtpunkt, wie es in der Szene ohnehin nur wenig ausgeprägten Heldenkult gibt. Vielmehr kennzeichnen sie flache Hierarchien und ein angenehmer Mangel an zentralen Fixpunkten sowie eine Vielzahl an Stimmen aus aller Welt. Was durch Crass angestoßen wurde, differenziert sich auch ganz ohne deren weiteres Zutun unter jeweiligen Bedingungen immer wieder neu aus. Do it yourself heißt eben auch: Mach DU es selbst.
■ „Noise and Resistance“. Regie: Julia Ostertag, Francesca Araiza Andrade. Dokumentarfilm, Deutschland 2011, 91 Min. Heute um 21.30 Uhr im Freiluftkino Kreuzberg, ab Donnerstag regulär im Kino