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Archiv-Artikel

Wirtschaftsprognose 2013

DEUTSCHLAND Der Zweckoptimismus der Wirtschaftsweisen führt in die Irre. Das wirkliche Problem, die Binnennachfrage, unterschätzen sie weiterhin

Rudolf Hickel

■ war Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen und dort Direktor des Instituts Arbeit und Wirtschaft. Zuletzt erschien von ihm „Zerschlagt die Banken. Zivilisiert die Finanzmärkte“ (bei Econ).

Die deutsche Binnenwirtschaft zu stärken, das ist die große Aufgabe für 2013. Steuert die Politik nicht aktiv gegen die Spaltung der Arbeitsmärkte durch eine Ausweitung der prekären Arbeit und Niedriglöhne, wird sich die Binnennachfrage weiter negativ entwickeln.

Im alten Jahr gehörten die Aktionäre zu den Gewinnern. Die im DAX zusammengefassten Kurswerte werden erneut steigen. Zum positiven Erbe des letzten Jahres zählt zweifellos, dass eine beschleunigte Inflation vermieden werden konnte. Allerdings werden die pflichtbewussten Sparer auch in diesem Jahr wegen der niedrigen Zinsen und nach Abzug der Inflationsrate ärmer.

Untiefen der Exportwirtschaft

2012 hinterlässt eine tiefe Vertrauenskrise. Die ungelöste Eurokrise hat wie noch nie zuvor die Investitionsentscheidungen der Unternehmen belastet. Mit einer nachhaltigen Erholung der konjunkturellen Entwicklung ist also nicht zu rechnen. Die großen Wirtschaftsforschungsinstitute, der „Rat der fünf Weisen“ und zuletzt die Deutsche Bundesbank haben ihre gesamtwirtschaftlichen Prognosen für 2013 vorgelegt. Zunächst einmal mussten sie ihre noch vor wenigen Monaten getätigten Vorhersagen zum Wirtschaftswachstum 2013 nach unten korrigieren. Der Glaube an die schnelle konjunkturelle Erholung erwies sich als Irrtum.

Während einige mit der Erholung ab Sommer rechnen, sind sich alle einig: Zu Beginn des Jahres wird sich die Konjunktur weiter abschwächen. Auf das gesamte Jahr gerechnet zeigt der Vergleich der aktuellen Prognosen eine Spanne wirtschaftlichen Wachstums zwischen 1 Prozent (Bundesregierung) und 0,3 Prozent. Die Deutsche Bundesbank sowie das Ifo-Institut erwarten 0,7 Prozent.

Nach den vielen Fehlprognosen in den letzten Jahren und angesichts der methodischen Probleme bei Zukunftsvoraussagen überrascht dieser unverdrossene Mut zur Punktprognose. Die große Mehrheit der Autoren unterschätzt die Risiken der konjunkturellen Entwicklung. Natürlich ist Deutschland nach wie vor international wettbewerbsfähig, aber was nützt die Produktionsstärke, wenn Nachfrage fehlt und die Vertrauenskrise die Wirtschaftsakteure hemmt?

Entsprechend wird sich die Exportwirtschaft auf niedrigere Wachstumsraten einstellen müssen. Die Abschwächung der Weltkonjunktur (erwartet 3,3 Prozent) und des Welthandels (3,6 Prozent) tragen dazu bei. Gegenüber diesem Durchschnitt werden die Exporte in die USA sowie in den süd- und ostasiatischen Wirtschaftsraum weiterhin große Relevanz haben. Insgesamt wird Deutschland unverändert an der Spitze der Skala der Exportweltmeister rangieren.

4 Prozent mehr Lohn

Nichtsdestoweniger bleibt die Exportstrategie Deutschlands durch einen Widerspruch gekennzeichnet. Expandierende Exportgewinne hängen von der Lage der Importländer ab. Das zeigt sich gerade bei den Eurokrisenländern. Die Exporte dorthin sind massiv zurückgegangen. Deshalb ist auf Dauer eine aggressive Exportstrategie schädlich.

Stattdessen sollten die wirtschaftlichen Vorteile, die sich aus der deutschen Exportstärke ergeben, an die Binnenwirtschaft weitergegeben werden. Der private Konsum hat sich entgegen den Erwartungen schwach entwickelt. Deshalb ist und bleibt es die Aufgabe, die Nachfrage durch eine angemessene Entlohnung zu erhöhen. Gemessen an der Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (Produktivität) und der erwarteten Inflationsrate sind 4 Prozent an Lohnzuwächsen gerechtfertigt. Zur lohnpolitischen Stärkung der Kaufkraft gehören auch Mindestlöhne sowie die Angleichung der Entlohnung von Leiharbeit an die der Normalbeschäftigten.

Aufgrund der Schuldenbremse wird der Staat bei seinen Ausgaben kürzen, und das wird die Konjunktur weiter belasten. Entsprechend müssen steuerpolitische Maßnahmen umgesetzt werden, allen voran brauchen wir eine Reichensteuer.

Am Arbeitsmarkt wird die Zahl der Erwerbstätigen eher stagnieren und die registrierte Erwerbslosigkeit auf knapp 3 Millionen steigen. Beschäftigungspolitik bleibt damit entscheidend. Immerhin verdient die Entscheidung der Bundesregierung Anerkennung: Die Erweiterung der Kurzarbeitgeldvergabe auf ein Jahr ist, wie die Erfahrung 2009 lehrt, richtig. Damit werden die Stammbelegschaften über die Krise hinweg gehalten. Sie ist aber auch für Leiharbeiter vorzusehen.

Die derzeitig scheinbare Ruhe bei der Eurokrise täuscht. Es wird darauf ankommen, die Weichen klar für den Erhalt der Eurozone zu stellen. Dazu gehört auch die Einrichtung eines Schuldentilgungsfonds. Wenn dies nicht geschieht, wird auch 2013 ein EU-Krisengipfel den anderen jagen.

Und die Kapitalmärkte? Die Zinssätze werden extrem niedrig bleiben. Die EZB wird ihre Niedrigzinspolitik sowie ihre Politik zur Stabilisierung der Finanzmärkte fortsetzen.

Deflation ist die Gefahr der Stunde. Denn die Nachfrage reicht nicht, um die Produktionskapazitäten auszulasten

Inflation steigt wieder nicht

Auch im neuen Jahr ist allen Unkenrufen zum Trotz mit einer gefährlichen Inflationsbeschleunigung nicht zu rechnen. Werden die Kosten für Energie herausgerechnet, dann signalisiert die Kerninflationsrate eher eine deflationäre Situation, das heißt, es fehlt Nachfrage, damit die Produktionskapazitäten ausgelastet werden.

Da die Geschäfte mit Wettpapieren wieder zunehmen und aggressive Schattenbanken expandieren, drohen neue Gefahren für die Gesamtwirtschaft. Neben allgemeinen Regulierungen müssen die systemgefährdenden Banken ihr spekulatives Investmentbanking abbauen. Die auf den Weg gebrachte Bankenunion in der Europäischen Union, die auch präventiv bedrohliche Banken auflösen kann, sollte zügig ausgebaut werden und ihre Arbeit aufnehmen.

Nur der Staat ist in der Lage, öffentliche Güter und Dienstleistungen anzubieten, die mangels Rentabilität einzelwirtschaftlich nicht erzeugt werden, jedoch für die Unternehmenswirtschaft wichtig sind. Ein staatliches Zukunftsinvestitionsprogramms für öffentliche Investitionen in Umwelt, Bildung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist unverzichtbar und muss in den Mittelpunkt gestellt werden. RUDOLF HICKEL