: Abledern gegen Autoren über fünfzig
PLAUDERTON Verweigern, treideln, in Fahrt kommen: Juli Zeh bei den Frankfurter Poetikvorlesungen
Die Frankfurter Poetikdozentur als Totalverweigerung. Das kennt man schon. Thomas Meinecke war es, der zuletzt den riesigen Vortragssaal der Frankfurter Goethe-Universität mit seinem „Ich als Text“ so radikal leerverweigerte, dass am Ende nur noch ein dünnes Häuflein Aufrechter zuhörte, wie Meinecke Fremdrezensionen zu seinen eigenen Romanen vortrug. Juli Zeh, so liegt es in ihrer Natur, verweigert vehementer, expliziter und eloquenter. Und am Ende, das weiß man heute schon, steht dann doch eine Poetik, wenn auch in Fragmenten, Spuren, Hinweisen, zusammengesetzt aus Öffentlichem und Privatem, was ohnehin schwer zu unterscheiden ist.
Dass man das heute schon weiß, obwohl die Reihe erst am 9. Juli enden wird, liegt daran, dass bereits zur ersten der fünf Vorlesungen das gebundene Exemplar derselben druckfrisch auf dem Büchertisch lag. Juli Zeh stand also am Pult und las das vor, was jeder bereits hätte mitlesen können. Im Grunde genommen gibt es allerdings dann auch wenige Argumente dafür, die Vorlesung weiter zu besuchen.
Zum Auftakt jedenfalls begann Juli Zeh, E-Mails und Briefe vorzulesen. An die Leitung der Goethe-Universität mit einer Absage. An Klaus Schöffling, ihren Verleger, darin etwas schärfer: „Man ist entweder Autor oder Poetikbesitzer. Ich bin doch nicht mein eigener Deutsch-Leistungskurs.“ An ihren Mann („Chef“), an eine befreundete Lyrikerin und an einen befreundeten Theaterautor in Schweden. Das Kommunikationsnetzwerk weitet sich im Verlauf der Vorlesung aus auf Steuerberater und Hotelbesitzer, auf Zeitungsredakteure und die Kommunalverwaltung des Wohnortes der Autorin in Brandenburg, mit der Juli Zeh einen so erbitterten wie (einseitig) amüsant zu lesenden Kampf um eine zweite Papiermülltonne führt.
Auf diese Weise entfaltet sich zweierlei: einerseits eine Vorstellung der realen, konkreten Bedingungen von Literaturproduktion, von Alltag, Leerlauf, Mühsal und Absurdität. Andererseits, gegen den zunächst erklärten Willen, eine Reflexion über das eigene Schreiben und über die Rolle, die man im Literatur- und Talkshowbetrieb zugewiesen bekommt.
Doch zunächst einmal ledert Juli Zeh ab gegen eine Versorgermentalität der Schriftsteller, über die schreibenden Männer über 50, die ihre Sexualprobleme für gesellschaftlich relevant erklären müssen, um die Dringlichkeit ihrer Texte rechtfertigen zu können. „Treideln“, der Titel, den Juli Zeh ihrer Vorlesung gegeben hat, ist das von ihrem fiktiven Helden Karl Treidel abgeleitete Verb. Karl Treidel dient als Leitmotiv der Vorlesung, an ihm erprobt die Autorin die Möglichkeiten von Erzählperspektiven und Figurenkonstellationen.
Auch vom Studium am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und dem parallelen Studium der Rechtswissenschaften ist die Rede. Im Plauderton entwirft Juli Zeh eine Künstlerbiografie der Gegenwart. Überhaupt steckt eine Menge drin in diesen Vorlesungen. Die Zeh’schen Grundthemen, Freiheit und deren freiwillige Aufgabe, das Gezwungensein des Menschen zu Freude, Gesundheit und Wohlergehen, sind in „Treideln“ aufgehoben in der lockeren Form eines Dialogs, dessen imaginären Partner man sich stets mitdenken kann.
Richtig in Fahrt kommt Juli Zeh anhand der (hoffentlich fiktiven) fünf Fragen, die ein Zeitungsredakteur der Autorin zumailt: „Mit beinahe übermenschlicher Intuition haben Sie die von mir am meisten gehassten Fragen getroffen.“ Der bedauernswerte Redakteur erhält darauf („Frau Zeh, steht hinter Ihrer politischen Einmischung eine mediale Strategie?“) eine ausführliche, hochkomplexe Antwortsalve. So genau wollte der Mann das bestimmt niemals wissen. Wir schon.
CHRISTOPH SCHRÖDER
■ Juli Zeh: „Treideln. Frankfurter Poetikvorlesungen“. Schöffling & Co, Frankfurt a. M. 2013, 198 Seiten, 18,95 Euro