: Voll durchgeklont
Erfahrungsarm: Caryl Curchills „Die Kopien“ in der Berliner Schaubühne zeigt Reproduktionsgrusel à la RTL
Die Geschichte klingt nach Prime-Time-Thriller auf Super-RTL. Ein junger Mann entdeckt, dass es ihn in mehrfacher Ausfertigung gibt, und erfährt vom Vater, dass die anderen neunzehn, die so aussehen wie er, seine Klone sind. Als Bernhard, so heißt der Sohn, dann ein bisschen tiefer bohrt, räumt der Vater ein, auch ihn geklont zu haben. Das Original, der Ur-Bernhard sozusagen, sei samt Mutter als Fünfjähriger ums Leben gekommen. „Ja, so war es“, sagt der Vater und pflückt akribisch einen Fussel von der hellen Auslegware.
Aber das ist bloß die halbe Wahrheit. Plötzlich steht der Originalsohn da und fragt: Vati, wieso hast du eine Kopie von mir geklont und mich dafür weggegeben. Vati klemmt etwas verlegen in seiner Sofaecke und rückt nur zögernd mit den Details der unschönen Geschichte heraus: dass er nach einem fehlgestarteten Leben noch mal vor vorn beginnen und den Ballast des alten ins neue Leben nicht mitnehmen wollte, den Sohn also auch nicht. Am Ende ermordet der so betrogene Bernhard 1 seine Kopie Bernhard 2, der ja auch nichts dafür kann, und begeht Selbstmord. Doch nun sind ja noch die anderen achtzehn Klonsöhne übrig, Michael zum Beispiel, ein fröhlicher Bursche, den es nicht kümmert, auf welchem Weg er ins Leben kam. Das individuelle Drama ist zwar groß, der Verlust in toto verschmerzbar.
Leider entpuppt sich die Science-Fiction im Theater, genauer gesagt in der Schaubühne am Lehniner Platz, als eher müde Veranstaltung. Zwar verläuft Jan Pappelbaums abschüssige Bühnenplattform in einiger Höhe schräg und bedrohlich nach unten. Die Inszenierung von James Macdonald, Gastregisseur vom Royal Court Theater in London, bleibt aber ziemlich flach: als Kammerspiel eines klassischen Vater-Sohn-Konflikts von nicht mal Strindberg’schen Ausmaßen.
Wenn wenigstens ein thrillermäßiges Zukunftsszenario dabei herausgekommen wäre. Doch vom Klonen wissen die Macher am Lehniner Platz und auch die Dramatikerin Caryl Churchill offensichtlich auch nicht mehr als der normale Zeitungsleser, dessen Kenntnisstand irgendwo zwischen Dolly und der Raelianer-Sekte schwankt.
Hier liegt der wesentliche, aber gravierende Unterschied zwischen der Schaubühne und, sagen wir RTL. Während RTL wahrscheinlich wissenschaftliche Berater beschäftigt hätte, glaubt das Theater, dass es ausreicht, quasi mit zitterndem Zeigefinger auf eine Zukunft zu weisen, in der so gruselige Reproduktionstechniken wie das Klonen das schöne bürgerliche Konzept von der Einzigartigkeit des Individuums unterwandern.
Auch die Einsichten, die den Beteiligten angesichts des Verlusts der Aura im Zeitalter ihrer Reproduzierbarkeit kommen, sind eher banal und auf den Aufregungsfaktor „Klonen“ gar nicht angewiesen. Die Frage „Wer bin ich, wenn ich ein anderer ist?“ wurde schon besser, subtiler und spannender behandelt, auch das alte Thema vom Brudermord. Und so manches verlassene Scheidungskind wird wohl ein schmerzlicheres Lied davon singen, wie es ist, wenn der Vater allein in ein neues Leben aufgebrochen ist und man ins Heim oder sonst wie in die Wüste geschickt wurde. Die verstörende Erfahrung, als Kopien gleichnamiger, aber verschwundener Geschwister aufzuwachsen, haben nach 1945 etwa Nachkommen von KZ-Überlebenden gemacht, deren erste Kinder im KZ ermordet worden waren. Natürlich sind das ganz andere Geschichten. Aber sie belegen die Erfahrungsarmut, vor deren Hintergrund „Die Kopien“ mit Bedeutung hubert.
Den mehrfach ausgefertigten Sohn spielt Mark Waschke, unterstützt von Kostüm und Maske, die das Individuum im Klon unterstreichen: als Bernhard 2 ist er fahrig, verunsichert und verletzt, als Bernhard 1 dann ein melancholischer Schläger. Sein Klonbruder Michael schließlich ein naiver und freundlicher junger Mann, fast wie James Mac Donald, der zum Schluss mit der leibhaftig erschienenen Caryl Churchill den freundlichen Applaus entgegennahm. Erdschweres Zentrum der Aufführung ist Josef Bierbichler als Vater Salter. der als einzige Behauptung auf dem Sofa sitzt: Hier sitze ich und konnte nicht anders. Er druckst und zögert, mal peinlich berührt von den Geständnissen, die ihm der Sohn entlockt, mal zärtlich verlegen und immer: unterfordert. ESTHER SLEVOGT