: Der Pfad führt nach innen
Exquisitere Schrecken: Harry Potter selbst ist noch lange nicht erwachsen geworden. Aber die Verfilmung ist es: Alfonso Cuaróns Film „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“
VON DIRK KNIPPHALS
Die ersten beiden Verfilmungen passten noch prima in eine Lesart, die die „Harry Potter“-Saga als Ritterroman versteht: als Fantasieproduktion eines armen Jungen, der seine bösen wirklichen Eltern wegdenkt und sich eine edlere, gleichsam adlige Abstammung imaginiert, mit allem, was dazugehört – Zauberer, Schlösser, Freunde, Feinde und wunderbare Begebenheiten. Doch diese Lesart passt nun zum dritten Teil nicht mehr. Dem Gesetz der Serie gehorchend, beginnt zwar auch „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ in der Realwelt bei den Stiefeltern. Aber von der ersten Einstellung an ist klar: Diese Muggels sind für Harry gar keine Gegner mehr, sie können ihm in Wahrheit nichts mehr anhaben.
Der Film beutet den unvermeidlichen Wohnzimmer-Showdown mit Onkel Vernon und den anderen bösen Verwandten denn auch nur noch für eine Groteske aus, tricktechnisch wie der ganze Film großartig gemacht, aber dramaturgisch Episode bleibend. Handlungstreibend ist etwas anderes. Harry und seine Freunde sind inzwischen 13 Jahre alt. Sie besitzen mehr Selbständigkeit, mehr Fähigkeiten, mehr Macht. Aber auch die Schrecken, denen sie ausgesetzt werden können, sind exquisiterer Natur. Hier, in diesem dritten Teil, kommt die Psychologie ins Spiel; der Pfad des Schreckens führt nach innen. Verstärkt sind zudem die Ambivalenzen des Personals; mit diesem Teil wird das Harry-Potter-Universum von einer ganzen Reihe von Figuren bevölkert, die zwischen Gut und Böse changieren. Da gibt es böse Figuren, die sich im Verlauf des Films als gut erweisen. Es gibt harmlos wirkende Figuren, die sich als böse herausstellen, und gute Figuren, die gegen ihren Willen dennoch manchmal böse sind. Und es gibt die so genannten Dementoren, fiese, Furcht einflößende Luftgeister, die aber seltsamerweise die Kinder von Hogwarts beschützen sollen (aber es natürlich nicht tun).
Die märchenhaften Züge sind also zurückgedrängt; statt einer kindlich-eindeutigen herrscht eine vorerwachsen-ambivalente Sicht der Dinge. Dass eine reine Fortsetzung der ersten beiden Teile langweilig gewesen wäre, war ja eh klar. Aber die Konsequenz, mit der hier ein Bruch markiert wird, ist unbedingt überraschend: Der dritte Teil setzt mit aller Entschiedenheit auf die Aspekte eines Entwicklungsromans, die in der Saga ja durchaus angelegt sind. „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ ist zwar immer noch ein Fantasyfilm, aber all dies Zauberhafte – das Mischwesen aus Pferd und Adler, die fliegenden Besen, die Zaubersprüche – hat schon etwas von Staffage. Sinnsuche, Rollenfindungsprobleme, Selbständigwerdenmüssen, Nichtmehrgeborgensein – diese Schrecken der Pubertät scheinen dafür deutlich als die eigentlichen Themen der Handlung durch. Für Sex ist es zwar noch zu früh, aber pubertäre Selbstunsicherheiten erleidet Harry schon mal jede Menge.
Dafür, inhaltlich zwar weiterhin der Saga zu folgen, ästhetisch und dramaturgisch aber einen Neuanfang zu setzen, steht vor allem eine Entscheidung: diejenige, Alfonso Cuarón mit der Regie zu beauftragen. Cuarón, in Mexiko City geboren, fiel zuletzt durch die Filme „Y tu mamá también – Lust for life“ und „A Little Princess“ auf. Er gibt gar nicht vor, für die Feinheiten einer britischen Internatsgeschichte ein Gespür zu haben; viele Einstellungen verflacht er durch irgendeinen Kameratrick extrem, bis sie wie Comicbilder wirken. Das traditionelle Invertar der Potter-Welt beutet er entweder für Schauwerte aus (die lebenden Bilder an der Wand; die Gespenster, die das Haus bevölkern), oder er behandelt es als Folklore (der ständige Streit mit den Slytherins, das Quidditch-Spiel). So schafft er Raum für die Entwicklungsgeschichte – und für einen Schluss, der sich eher an coolen Gangsterdramaturgien denn an denen eines einfachen Happy-Ends orientiert.
Man sieht in diesem Teil genau, wo es darum ging, den Regeln des Genres, der Serie, der Kompatibilität für ein kindliches Publikum Genüge zu tun. Und man nimmt es nie übel, weil bei allem eine Handschrift erkennbar ist. Schöne Gastauftritte von Emma Thompson und Gary Oldman tragen dazu bei, diese Verfilmung nun auch filmisch ernst nehmen zu können. Harry Potter ist noch längst nicht erwachsen geworden. Aber die Harry-Potter-Verfilmungen sind es.