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Archiv-Artikel

kucken se ma: auf Bremens Leinwand Der rettende Arztroman: „Die Frau, die an Dr. Fabian zweifelte“

Ein Groschenheft als Antidot bei einem Drogenentzug – das ist doch schon mal eine originelle Idee: Erst wenn der ewige Medizinstudent Paul den Arztroman, nach dem Regisseur Andi Rogenhagen auch gleich den ganzen Film benannte, auswendig gelernt hat, erst dann wird ihn sein Vater wieder aus dem Hundezwinger lassen!

Eine echte Ross- oder besser gesagt: Köterkur hat sich der im tiefsten Westfalen auf einem halbverfallenen Bauernhof lebende Willi da für seinen Sprössling ausgedacht. Aber der ist ja auch nach einer Überdosis nur knapp dem finalen Kick entkommen. So nimmt also der subproletarische Pappa den prä-akademischen Sohn unter seine massiven Fittiche, auch wenn der ihn noch so oft durch die Käfigstangen als „Cromagnon-Menschen“ beschimpft. Paul soll, so des Vaters Wunsch, endlich sein Studium beenden. Leider findet sich im Dorfladen kein medizinisches Lehrbuch. Vielleicht lernt der Sohn ja aus einem Arztroman, sich wie ein Arzt zu benehmen. So kommt es zu der unorthodoxen Drogentherapie.

Es gibt noch mehr absurde Wendungen und makabere Pointen im Drehbuch, das der junge Filmemacher Andi Rogenhagen für seinen ersten Spielfilm selbst geschrieben hat: Zwei völlig durchgeknallte Brüder und Drogendealer, deren Tasche voller Pillen zusammen mit Paul verschwunden sind, heften sich an dessen Fährte, genauso wie seine Freundin Lena. Und Willi versucht komisch unbeholfen, seine Exfrau Maria, Pauls Mutter, zurückzuerobern. Mitunter erinnert „Die Frau, die an…“ an die Filme aus der besten Phase von Detlev Buck: Das bäuerliche Milieu wird sehr komisch und liebevoll gezeichnet. Da weiss einer, wie es im sommerlichen Münsterland zugeht, wie es dort riecht, was getrunken und gegessen wird. Und er kann es auch filmisch so glaubwürdig und gewinnend umsetzen, dass man sich gerne hineinziehen lässt in diese Familiengeschichte und ihr auch dann noch willig folgt, wenn der Plot endgültig abhebt und sich in einen grotesken Schocker mit viel Pengpeng und Theaterblut verwandelt.

Rogenhagen traut sich hier was: solch ein Spiel mit den Genres kann leicht misslingen. Das Umkippen des Films in einen Thriller wäre vielleicht zum Problem geworden, wenn der Regisseur nicht auch bei der Besetzung solch ein gutes Händchen bewiesen hätte. Bis zu den tranigen Dorfpolizisten hin scheint jede Nebenrolle ideal verkörpert. Und Robert Glatzeder gelingt eine besondere Gratwanderung: Zuerst spielt er den Paul so unsympathisch, dass man ihm alles Schlechte im Hundezwinger an den Hals wünscht. Doch mit jedem auswendig gelernten Kapitel des Arztromans wächst er einem mehr ans Herz.

Der Star des Film ist aber Dieter Pfaff, der als Willi rührend mit seiner Unbeholfenheit und Körperfülle kämpft. Wenn er versucht, sich als ehemaliger Rocker nochmal in die alte Lederkluft zu zwängen, oder wenn er wackelig auf seinem Motorrad durchs Dorf brettert, dann ist sein Willi in diesen Bildern mit zärtlicher Ironie auf den Punkt gebracht.

Der auswendig gelernte Roman rettet Paul übrigens tatsächlich noch das Leben, aber da kucken se ma selber. Wilfried Hippen

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